Serie Reformation Vor Ort - Teil 9 Reformation tief im Westen

Erkelenz · Erste Anfänge der Reformation und das Täufertum im Kreis Heinsberg auf unterschiedlichen Wegen.

 Autor Mathias Schoenen ist Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde Gangelt-Selfkant-Waldfeucht.

Autor Mathias Schoenen ist Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde Gangelt-Selfkant-Waldfeucht.

Foto: Johannes de Kleine

Kreis Heinsberg (RP) Die Nachricht von der "neuen Lehre" der Reformation kam auf verschiedenen Wegen in unsere Gegend. Durch den Buchdruck verbreitete sie sich schnell im ganzen Reich. Durch Prediger wurde sie auch in unsere Region getragen.

Die Reformation ging von verschiedenen Personen aus und sie nahm unterschiedlichste Strömungen auf. Da sind die Reformbestrebungen in Kirche und Staat zu nennen, der Ruf nach Erneuerung. Hierzu zählte in unserem Bereich auch die Stimme des Erasmus von Rotterdam, der Sympathie im Jülicher Herzogtum fand. Die verflachte Frömmigkeit und die niedere Bildung des einfachen Klerus auf dem Lande taten das Ihre dazu. "Reformation" bedeutete sowohl Kritik an der römischen Kirche als auch an der Obrigkeit im zersplitterten Feudalsystem der Zeit.

Die Pfarren unserer Gegend wurden zum Teil nur mangelhaft versorgt. In einigen Orten übernahmen Kapläne anstelle der auswärts wohnenden Pfarrer die pfarramtliche Tätigkeit. Die einzelnen Vertreter der Reformation in unserer Gegend haben in dieser Zeit je eigene Entwicklungen durchlaufen. Zumeist kamen sie schon als Flüchtlinge vom Niederrhein und den Niederlanden ins Jülicher Land, so zum Beispiel Dionysius Vinne, Sie predigen in Scheunen und Kirchen, in Häusern und auf Feldern.

Von Luther oder Zwingli herkommend, wandten sich einige von diesen ab, um im sogenannten Täufertum ihren Weg zu beschließen. Dieses spielte bei uns eine wichtige Rolle. Anfänglich als spirituelle, den Einzelnen in seiner Beziehung zu Gott in den Blick nehmende Bewegung, hat sich das Täufertum zu einer auch elitären und radikalen Form der Kritik an Kirche und Staat entwickelt.

Die erste Erwähnung in Kritzraeds Ortschronik Gangelts über die reformatorischen Strömungen bezieht sich auf dieses Täufertum: "Um diese Zeit treten im Amt Millen einige Wiedertäufer auf, und zwar drei aus Hastelradt unter Gangelt." Im Herzogtum Jülich werden viele Wiedertäufer hingerichtet. "Tot midden in het jaar 1536 heeft de scherprechter uit Gulik maandenlang zijn bloedig werk in den verschillende districten van het hjer- togdom verricht." Für gewöhnlich werden die Männer hingerichtet, während die Frauen mit einer Geldstrafe "davonkommen".

Der Wiedertäufer Rennken wird in Millen verbrannt. Im Amt Born sollen 1575 noch 18 Familien Wiedertäufer gewesen sein.

Bereits in den späten 20er Jahren traten im westlichen Bereich des Jülicher Landes eine ganze Reihe von Predigern auf, die von der neuen Lehre der Reformation angesteckt sind. Dabei werden sie heute zum "linken Flügel" der Reformation gezählt.

Geprägt waren sie vom humanistisch-freiheitlichen Geist, wie er in den Niederlanden seine Verbreitung gefunden hatte. Von dort kam nicht nur der Großteil der jungen Prediger ins Herzogtum Jülich. Mit ihnen wurden auch die in Amsterdam, Rotterdam, Maastricht, Roermond und anderen Städten frei gedruckten Bücher ins Land geschmuggelt. Die Prediger fanden nicht allein Gehör beim Volk. Was damals unerlässlich und lebenswichtig war: Sie fanden Unterstützung und Unterschlupf bei den Vertretern der Obrigkeit, allen voran beim Drosten von Wassenberg, Werner von Palant. So sind sie unter dem Oberbegriff "Wassenberger Prädikanten" in die Kirchengeschichte eingegangen.

Dionysius Vinne, ein Brabanter aus Diest, den Wassenberger Prädikanten zugezählt, der in Antwerpen mit der reformatorischen Bewegung in Berührung kam und der als Pfarrer von Oldeneyck bei Maaseyk vor den Nachstellungen des Prins- Bischof Eradus van der Marek fliehen mußte, fand Schutz beim Wassenberger Drosten.

In dieser Zeit wirkten auch die Prädikanten Hendrik Roll und Hendrik Slachtscaep in Breberen, Havert und Höngen. In Höngen nahm Slachtscaep zeitweilig Quartier. Er predigte täglich in Breberen. Es heißt: "... wenn die predicanten kamen so wurde an einer Schelle gezogen; dan kamen sie zusammen wie die bienen zu demkare (Korb)". Heinrich, Gielis, Jan und ihre Anhänger hielten sich wohl eine zeitlang auf Hof Stöcken am Rande des Saeffelbaches auf, von wo sie der Volksüberlieferung nach wegen der Tötung von Schafen vertrieben wurden.

Vinne und Slachtscaep scheinen bereits 1527/28 nach ihrer Vertreibung durch den Bischof von Lüttich ins Jülicher Land gekommen zu sein.

Dass die Wassenberger Prädikanten um das Jahr 1530 im Jülicher Land tätig werden konnten, lag an den jeweiligen Inhabern der landesherrlichen Gewalt. Neben dem Amtmann Werner von Palant sind für den Bereich der heutigen evangelischen Kirchengemeinde Gangelt, Selfkant, Waldfeucht der Drost von Born, Wilhelm von Rennenberg, und der Drost von Millen, Goddart von Hanxler, zu nennen.

Der Höngener Pfarrverwalter und Kaplan Gielis von Breberen "fällt samt Küster Jan Steven und mit dem größten Teil der Gemeinde zum neuen Glauben ab". Gielis (auch Gieles) stammte wohl aus einem Haus am Saeffelbach in Breberen, welches noch Mitte des 19. Jahrhunderts erhalten war.

Der Höngener Pastor selbst war zugleich Kanoniker in Maastricht und residierte außerhalb. Sicherlich führte das geringe Einkommen des Kaplans zu weiterer Unzufriedenheit. So wurde es möglich, dort in der Pfarrkirche die zwinglianische Abendmahlsfeier einzuführen. Die Leitung der dortigen Gemeinde lag nun in den Händen von 12 sog. Richtern. Von Höngen aus kooperierten Slachtscaep und Vinne.

Am 28.02.1534 wird ein Zug von 140 Personen auf dem Wege nach Münster beim Versuch, den Rhein bei Neuss zu queren, zerstreut. Gielis von Breberen, der mit Jakob von Ossenbruch den Zug anführte, wird dabei verhaftet. Die meisten dieses Zuges sterben den Märtyrertod. Gielis kommt jedoch nochmals frei, wohl weil er sich als einfacher und bescheidener Mann ausgibt, der nur im Auftrage seines Herrn von Mulstroe auf Haus Hall Informationen einholen wollte.

Am 20. Juli 1557 wird Gielis von Breberen, der mit seinem Küster Jan Stevens durch die Maaslande gezogen und erneut festgenommen worden war, in Antwerpen nach langem Prozess mit dem Schwert hingerichtet. Er hat in den Verhören wohl den alten Glauben wieder angenommen, weshalb er nicht verbrannt wurde. Überliefert sind seine letzten Worte: "Es war zu viel, Leib und Seele zugleich zu verlieren."

Vikar Emondt in Hoengen und Vikar Pauwels von Dwerhagen in Hoengen, später Pfarrer in Sittard, bekennen sich zur evangelischen Abendmahlslehre. "Die evangelische Bewegung war so stark, dass verschiedene Ortschaften, besonders in den Ämtern Millen, Heinsberg und Wassenberg, völlig frei und ablehnend der alten Kirche gegenüberstanden."

Am 30. November 1551 wird in Linnich Thönis von Hastenrath als Wiedertäufer verbrannt. "Betend und Psalmen singend stand er im Feuer." Auch er hatte Verbindungen zum Hof Stöcken bei Breberen.

Es dauerte noch über 100 Jahre, bis auch in unserer unmittelbaren Umgebung, in Teveren, eine erste kleine evangelische Kirche gebaut werden durfte. Von außen als Kirche noch nicht erkennbar, deutet ihr Inneres bis heute auf die reformierte Prägung dieser ersten Gemeinde hin.

Die für das kleine Gebäude recht hoch zentral über dem kleinen Abendmahlstisch angebrachte Kanzel beherrscht die Stirnseite und ist gerahmt von zwei schlichten Fenstern.

Insgesamt blieben die evangelischen Gemeinden bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs zahlenmäßig klein. Durch den Zustrom von Flüchtlingen, aber auch durch die bauliche Entwicklung der nachfolgenden Jahrzehnte, stieg ganz im Westen die Zahl der Evangelischen soweit an, dass sich in Gangelt, Selfkant und Waldfeucht eine eigene Kirchengemeinde gründete.

Die Zeiten religiöser Intoleranz liegen, was unsere eigene Religionsgeschichte betrifft, nun weit hinter uns. Diese Geschichte mahnt allerdings, in Gegenwart und Zukunft Toleranz zu üben.

MATHIAS SCHOENEN IST PFARRER DER EVANGELISCHEN KIRCHENGEMEINDE GANGELT-SELFKANT-WALDFEUCHT

(RP)
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