Krefeld Zu Hause bei Afghanistans Fußballtalent

Krefeld · Sie ist Teil einer neuen Bewegung für die Freiheit und Gleichberechtigung von Frauen in Afghanistan. Die 15-jährige Oppumerin Maryam Qasemi wurde in das Frauen-Fußballnationalteam von Afghanistan berufen und reist seither nicht nur für ihren Sport um die Welt, sondern auch, um das Anliegen ihrer in Afghanistan lebenden Mannschaftskameradinnen zu unterstützen. Wir haben die junge Frau und zu Hause besucht.

 Maryam Qasemi im Dress des afghanischen Frauen-Nationalteams.

Maryam Qasemi im Dress des afghanischen Frauen-Nationalteams.

Foto: KTG

Fußball ist für die junge afghanische Frauenmannschaft nicht einfach nur Sport und Freizeitvergnügen. Es ist vielmehr ein Statement für die Freiheit, ein Kampf dafür, Träume von Bildung, Gesundheit und Gleichstellung von Frauen in der Gesellschaft zu verwirklichen. Von den radikal-islamischen Taliban werden die einheimischen Spielerinnen mit dem Tode bedroht. Trainiert werden kann nur im Untergrund, offizielle Spiele können nur im Ausland stattfinden.

Wer ist die junge Krefelderin, die aufgebrochen ist, um mit Fußball für Frauenrechte zu kämpfen?

 Bildung steht für die Qasemis, (v.l. Mutter Shokufa, Vater Naeem, Bruder Mohssen, Nationalspielerin Maryam) an erster Stelle - dafür müssen auch fußballerische Ambitionen zurückstehen. Zur Zeit ist das jedoch nicht nötig: die Gesamtschülerin ist mit einem Notenschnitt von 1,8 auf dem Weg zu einem Top-Abi.

Bildung steht für die Qasemis, (v.l. Mutter Shokufa, Vater Naeem, Bruder Mohssen, Nationalspielerin Maryam) an erster Stelle - dafür müssen auch fußballerische Ambitionen zurückstehen. Zur Zeit ist das jedoch nicht nötig: die Gesamtschülerin ist mit einem Notenschnitt von 1,8 auf dem Weg zu einem Top-Abi.

Foto: Thomas Lammertz

Maryam Qasemi lebt mit ihren Eltern und ihrem kleinen Bruder in einem hübschen, modernen Doppelhaus in Oppum. 1988 ist der Vater, Naeem Qasemi, aus Herat im Südwesten des Landes geflohen. "Es gab keine Zukunft für uns, keine Chance auf Bildung, es war Krieg, alles war ungewiss", berichtet er.

Bildung ist das Stichwort, kommt in der Familie an erster Stelle und definitiv noch vor allen fußballerischen Ambitionen. "Mit meinen Eltern ist abgemacht, dass Fußball zurückstehen muss, falls meine Noten in der Schule viel schlechter werden", sagt Maryam, und ihre Eltern nicken bestätigend. Ärztin oder - Plan B - Pilotin will das 2001 in Göttingen geborene Mädchen werden, die beiden Onkel, auch nach Europa geflüchtet und beide Ärzte geworden, seien das große Vorbild. Die Chancen stehen gut für die 15-jährige. Mit einem Notendurchschnitt von 1,8 in der zehnten Klasse ist die Kurt-Tucholsky-Gesamtschülerin auf einem guten Weg. Und will, wenn die Oberstufe im nächsten Jahr beginnt, noch mal richtig Gas geben. Der Berufs-Zweitwunsch Pilot ist von ihrem Vater inspiriert, der sich diesen Traum nicht verwirklichen konnte. Der gelernte Kommunikationstechniker ist heute als Kaufmann selbstständig, hat früher auch für das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit in einem Entwicklungsprojekt für sein Heimatland gearbeitet. Maryams Mutter Shokufa arbeitet in einer Bäckerei, der kleine Bruder Mohssen ist Schüler der Geschwister-Scholl-Schule. Dass er aufgrund der Entfernung jeden Morgen gefahren werden muss, nehmen die Eltern gerne in Kauf, denn: "Wir haben gehört, dass das eine gute Schule ist", sagt Vater Naeem.

Eine Voraussetzung für die Nationalmannschaft-Nominierung war, dass alle Spielerinnen fließend Dari sprechen. "Es wird sehr genau geguckt, dass wir auch wirklich afghanischer Herkunft sind", erklärt Maryam. Die dem im Iran gesprochenen Farsi ähnelnde Sprache ist Alltagssprache bei dem Qasemis, das Schreiben und Lesen hat Maryam an ihrer ehemaligen Schule in Düsseldorf gelernt. Für die Spielberechtigung im Nationalteam muss sie nun einen afghanischen Pass beantragen - und ist dann die einzige in ihrer Familie, die auch offiziell Afghanin ist.

Im November geht es wieder auf Reisen: ein Trainingslager in Hongkong ist geplant, danach spielt Maryams Mannschaft ein Turnier in Indien. Die Kosten für Reise und Unterkunft wird teils vom afghanischen Fußballverband getragen, ein Großteil der Gelder jedoch von Sponsoren, die das Anliegen der jungen Frauen auf Gleichberechtigung unterstützen. So zum Beispiel der Sportbekleidungshersteller Hummel aus Dänemark, der speziell für das Team Trikots entwickelt hat, die den islamischen Bekleidungsvorschriften gerecht werden. Davon machen allerdings nur einige Spielerinnen Gebrauch, was auch daran liegt, dass etwa die Hälfte des Teams international gecastet wurde, um die im Land selber lebenden wenigen Fußballerinnen zu unterstützen. Allein sieben Spielerinnen mit afghanischen Wurzeln kommen aus Deutschland.

Um die Trainingsfortschritte zu quantifizieren und Kontakt untereinander zu halten, bedient sich das über Kontinente verteilte Team mehrerer Smartphone-Apps. Dort trägt Maryam jeden Tag beispielsweise ein, wie viele Ballkontakte sie hatte. 5000 sind das geforderte Minimum, zählen muss sie selber. Zweimal pro Woche trainiert sie mit ihrem Team beim SV Oppum, hinzu kommen Ligaspiele, Fitnessstudio, Trainingsläufe und Kicken im eigenen Garten.

Auf Maryam aufmerksam geworden sind ihre Trainerinnen übrigens im Internetportal Facebook. "Ich habe dort ein auf Fußball ausgerichtetes Profil und war sehr aktiv. So bin ich dort von einer afghanischen Spielerin gefunden und angesprochen worden und schließlich im Mai zum Auswahlcamp nach Kalifornien eingeladen worden."

(RP)
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