Krefeld Wulff - der sanfte Mutmacher

Krefeld · Alt-Bundespräsident Christian Wulff war Hauptredner in der Mitgliederversammlung der Volksbank. Er präsentierte sich als Mann, der nach bösem Fall seine Linie gefunden hat. Am Ende wurde er mit langem Applaus gefeiert.

 Klaus Geurden, Vorstandsvorsitzender der Volksbank Krefeld (l.), mit Bundespräsident a.D. Christian Wulff.

Klaus Geurden, Vorstandsvorsitzender der Volksbank Krefeld (l.), mit Bundespräsident a.D. Christian Wulff.

Foto: Lamm

Die Sache mit dem Stolz zeigt vielleicht am klarsten, wie der Redner und politische Denker Christian Wulff sich den Dingen der Welt nähert: Er ist maximal mittig und besänftigt das Extreme. Wulff nannte es traurig, dass vor allem Ausländer positive Bücher über die Deutschen geschrieben haben, listete Beispiele auf und sagt dann: "Es wäre gut, wenn wir uns den Stolz auf unser Land ein bisschen vor Augen führen." Stolz ja, aber nicht "stolz sein", sondern "Stolz ein bisschen vor Augen führen". So rettet man ein schönes, aber missbrauchsgefährdetes Gefühl und rückt es weit weg von Extremisten. Wulff hat in diesem Stil in seiner 55-minütigen Rede alles, was konsensfähig ist, zusammengetragen. Die 1200 Menschen im Saal haben es ihm gedankt und bedachten den Bundespräsident a.D. mit warmem, anhaltendem Applaus.

Die Volksbank hatte in ihrem Jubiläumsjahr, in dem das 125-jährige Bestehen der Bank gefeiert wird, mit Wulff einen besonderen Gast eingeladen. Wulff sprach frei, er hielt keine Standardrede, er ging auf die Situation im Seidenweberhaus, auf die Volksbank, auf Krefeld ein, war er doch 2006 als niedersächsischer Ministerpräsident Krawattenmann des Jahres und Steckenpferdritter der Prinzengarde: "Tatsächlich komme ich sehr gern nach Krefeld."

Wulff ging auch auf das im Schnitt ältere Publikum ein - im Saal, sagte er einmal, sei viel Lebenserfahrung versammelt. Seine Analyse der Weltlage war durchsetzt mit persönlichen Erinnerungen, etwa an seinen Vater, der als Sozialdemokrat wiedergutmachen wollte, dass er als junger Mensch den Nazis nachgelaufen ist, und dem Sohn den Satz mit auf den Weg gab: "Die Demokratie braucht Demokraten." Wulffs Analysen waren grundrichtig - und die Sorgen, die er formulierte, flankierte er stets sorgsam mit einer Portion Mut, warnte etwa vor "Untergangsfantasten" und rückte das Positive nach vorn: Den Deutschen sei es trotz Krise noch nie so gut gegangen wie heute. Geschickt verband Wulff das Volksbank-Jubiläum mit einem historischen Rückblick in 25-Jahre-Schritten; die Essenz war beunruhigend: Wohlstand und Frieden in Europa ballten sich erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, und heute, gut 25 Jahre nach der deutschen Einheit, überwiegt das Krisengefühl. Wulff warnte vor einer Retro-Welle, die europäische Errungenschaften verneint, und davor, dass die Demokratie nicht mehr so beliebt sei wie früher. Sicher ist nichts, wir müssen uns anstrengen, das Gute zu bewahren - das war sein wieder grundrichtiger Appell. Er legte ein vorsichtiges Bekenntnis zum Merkel-Satz "Wir schaffen das" ab, freilich nicht ohne ihn halb zu verneinen: Der Satz sei ein Appell gewesen, es gemeinsam zu versuchen - damit deutete Wulff den Satz um und entschärfte die Rigorosität, die von manchem als ignorante Zumutung empfunden wird. Wulff ging auch auf seinen umstrittenen Satz ein, der Islam gehöre zu Deutschland. Auch hier entschärfte er das Apodiktische und bettete seine Worte in einen Kontext aus Ausgewogenheit ein. Er habe in der Türkei auch gesagt: Das Christentum gehöre zur Türkei. Integration sei eigentlich nicht so kompliziert, sagte Wulff später: Man müsse sich Offenheit bewahren und klare Kante gegen die zeigen, die die Demokratie verhöhnten.

Ausführlich ging er auf die Stärken der Deutschen ein, berichtete, dass die Chinesen den deutschen Facharbeiter als Vorbild sähen. Wulff würdigte deutsche Eigenheiten wie das Vereinswesen, deutsche Tugenden wie Perfektionismus - und er tat dies immer im Gestus der Bescheidenheit, auch dann, wenn er weltläufig von Begegnungen mit Staatsoberhäuptern berichtete. Wulff verirrte sich nie in akademischer Arroganz oder Weltenferne, er blieb immer nah bei denen, vor denen er sprach: "Hier sind viele Handwerker im Saal", ließ er einfließen; eine Passage leitete er ein mit "wenn Sie noch etwas brauchen für die Zufriedenheit des Nachhause-Gehens" - und leitete über zu einem Deutschland-Lob ohne Triumphalismus: "Deutschland wird für vieles bewundert. Deswegen haben wir zur Furcht keinen Anlass, wenn wir unseren Weg entschlossen in Europa mit Freunden und Nachbarn gehen." Nötig sei "ein bisschen Stolz auf das, was wir geschaffen haben, ein bisschen Bereitschaft, das zu verteidigen, und Offenheit für die, die das mitvertreten wollen." Von allem ein bisschen - mehr Mitte geht nicht. Vielleicht braucht es einen Redner wie ihn in der Krise.

(RP)
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