Krefeld Willkommen in Krefeld

Krefeld · Der Hauptbahnhof ist der erste Ort, den Menschen sehen, die in Krefeld ankommen. Er ist Knoten, Leitfaden und ein Willkommensplakat. Wie sich Bahnreisende von außerhalb sehen. Beobachtungen an einem normalen Nachmittag.

 Der Bahnhof ähnelt einem Museumsbahnsteig. Die alten Stahlträger und -säulen stehen für eine vergangene Zeit, als wollte man den Besuchern sagen: So sahen Bahnhöfe früher aus.

Der Bahnhof ähnelt einem Museumsbahnsteig. Die alten Stahlträger und -säulen stehen für eine vergangene Zeit, als wollte man den Besuchern sagen: So sahen Bahnhöfe früher aus.

Foto: Lothar Strücken

15.04 Uhr, der Regionalexpress aus Düsseldorf fährt ein. Gleis zwei, Hauptbahnhof Krefeld. Zwei Gruppen von Kindern warten am Bahnsteig, die Betreuer haben Mühe, sie am Wegrennen zu hindern. Auf der Bank unterhalb des Fahrplans sitzen zwei Mädchen, sie trinken Kaffee aus Pappbechern, spielen auf ihrem Handy herum und horten ihre braunen Papptüten vom Klamotten-Discounter. Offenbar hören sie Musik, sie teilen sich ein Paar Kopfhörer. Zwei Tauben streiten sich um ein paar Krümel, bis sie von einem angeleinten Hund verjagt werden. Eine Dame erschrickt, als hätte sie das Geflatter der Tauben aus den Träumen gerissen.

Hauptbahnhöfe sind unstete Orte. Menschen gehen, fahren weg, verreisen. Aber Menschen kommen eben auch an, der Bahnhof ist das erste, was sie sehen. Er ist eine Visitenkarte für eine Stadt, ein Knoten, an dem alles zusammenläuft, und im besten Falle ein Willkommensplakat. Wer aus dem Zug steigt, sieht sich um, sucht nach dem Weg. Er findet: Nichts. Hallo Krefeld, will man rufen, wenigstens leise flüstern. Aber Krefeld ist nicht da.

 In der Ferne ist ein Ziegelgebäude zu sehen. "Heeder" steht dort schwarz auf weiß gepflastert.

In der Ferne ist ein Ziegelgebäude zu sehen. "Heeder" steht dort schwarz auf weiß gepflastert.

Foto: Thomas Lammertz

An diesem gewöhnlichen Donnerstagnachmittag führt der Blick in vertrocknetes Gestrüpp, auf zwei ausrangierte Loks, eine Glaspyramide, die ihre Bezeichnung wohl nur zufällig mit der des Louvre teilt. Der Bahnhof ähnelt einem Museumsbahnsteig. Die alten Stahlträger und -säulen stehen für eine vergangene Zeit, als wollte man den Besuchern sagen: So sahen Bahnhöfe früher aus. In der Ferne ist ein Ziegelgebäude zu sehen. "Heeder" steht dort schwarz auf weiß gepflastert. Ein Vater sammelt mit seinem Sohn Pfandflaschen.

Runter vom Bahnsteig. Ein Hinweisschild deutet nach rechts zur "Südstadt" und links zur "City". Südstadt klingt deutlich voluminöser, wärmer und anziehender. Dennoch soll es zur City gehen. Im Foyer schwärmen Plakate vom "Einkaufsbahnhof", der aus einem Handyladen, Minimarkt, Bäcker und Zeitschriftenhandel besteht. "Shoppen und Snacken im Bahnhof, bei uns werden Sie zügig bedient", steht da. Im Glaskasten mit den Modellbahnen ist eine Tanne umgekippt, Blaulicht blinkt von Feuerwehr und Polizei. Zehn Fahrten kosten ein Euro. Es spielt niemand, nur ein Mädchen guckt verloren auf die Minizüge.

Draußen kommt der nächste Pfandsammler vorbei. Triste Bauwerke, Mauern und Fenster, ein Fast-Food-Restaurant wie aus einer anderen Zeit. Pfeile führen nach halb links, dort ist die Industrie- und Handelskammer, die Fußballroute und das Seidenweberhaus. Was das soll, was man dort soll, sagen die kleinen Hinweisschilder nicht. Was sie eigentlich auch nicht sagen: Wie man dorthin kommt und wo jetzt diese City ist.

Vor dem Fast-Food-Restaurant parken zwei Elektroautos; "Stadtmobil" heißen die Wagen, die so sauber aussehen, als hätte sie lange niemand bewegt. Auf der Straße liegt eine Schallplatte: "Drei Märchen nach den Gebrüdern Grimm". Langsam tropft der Regen auf die Scheibe. Zwei stark geschminkte Frauen schieben Kinderwagen daran vorbei, in der freien Hand tragen sie Zigaretten.

Am Hansahaus vorbei trifft man vor der Sparkasse viele junge Männer, die warten. Worauf sie warten? "Geld", sagt einer, schaut nüchtern, dreht ab. Die Straßenbahnlinie 041 nach Tönisvorst fährt in einiger Entfernung vorbei, das Pflaster vibriert. Ein Mann in Lederjacke, Lederhandschuhen, Hemd und Sonnenbrille kommt vorbei, seine Haare hat er zu einem Pferdeschwanz gebunden. Streng schaut er nach vorne, seine Hose hat er ein paar Zentimeter zu hoch gezogen.

Krefeld ist eine ambivalente Stadt, eine Stadt der Gegensätze, des Miteinanders und des Getrenntseins. Eine Stadt wie wir alle also, irgendwie. Alle 50 Meter sitzt ein Mann oder eine Frau in der Hochstraße, angelehnt an Laternenpfähle oder aufgestützt wie ein Hund. Sie gucken gequält oder freundlich, sagen manchmal etwas. Alle gehen an ihnen vorbei, bemerken sie kaum, schauen auf Handys, Kaffeebecher oder Einkaufstaschen. An einem armen Mann laufen drei Jungs vorbei, denen man gesagt hat, dass es cool ist, die Hose soweit hochzukrempeln, dass man ihre Knöchel sieht. Sie essen Frozen Yoghurt, weil sie glauben, dass man das so macht.

Was will Krefeld Gästen bieten, wie sollen sich Reisende fühlen? Und: Kommt überhaupt jemand angereist? Nebenan ist doch Düsseldorf.

An sechs leerstehenden Geschäften vorbei, immer noch die Hochstraße entlang, begegnet einem ein Mann mittleren Alters mit Halbglatze. Er sagt: "Salem Aleikum, mein Freund" und lächelt, als würde man sich ewig kennen. Eine ältere Dame führt ihren Pelz aus und den lebendigen Hund. Zwei Jugendliche küssen sich. Und vor Galeria Kaufhof stehen Verkehrsschilder, die verwirren. "Was soll das? Wissen Sie das?", fragt ein Mann und deutet auf das Kreisverkehr-Schild. Nein, keine Ahnung.

(her)
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