Krefeld Wie zwei Brüder im Versteck den Nazis entkamen

Krefeld · Ein neues Buch erzählt die Geschichte der jüdischen Familie Kamp aus Krefeld. Die Brüder Nico und Rolf überlebten als Kinder in den Niederlanden in Verstecken den Holocaust. Am Sonntag werden sie in Krefeld im Rathaus empfangen. Buch und Besuch gehen auf Initiative der Krefelderin Karin Kammann zurück.

 Das Cover des Buches über das Schicksal der Familie Kamp.

Das Cover des Buches über das Schicksal der Familie Kamp.

Foto: RVP

Es ist wie so oft bei solchen Lebensgeschichten: Das Gefühl der Beklemmung wächst beim Lesen, weil die Ungeheuerlichkeit des Erzählten Zug um Zug ins Herz sickert. Am Sonntag wird das jüdische Brüderpaar Nico und Rolf Kamp im Rathaus empfangen. Es sind Nachfahren einer Familie aus Krefeld, die vor den Nazis in die Niederlande geflohen und dort untergetaucht ist.

 Nico und Rolf Kamp; als Kinder flohen sie 1938 mit ihren Eltern Inge und Fritz aus Krefeld in die Niederlande; 1942 tauchten sie dort unter und überlebten den Krieg. 1987 besuchten sie auf Einladung der Stadt mit ihrer Mutter Inge Krefeld. Am Sonntag sind die Brüder wieder in Krefeld und werden von Oberbürgermeister Meyer empfangen.

Nico und Rolf Kamp; als Kinder flohen sie 1938 mit ihren Eltern Inge und Fritz aus Krefeld in die Niederlande; 1942 tauchten sie dort unter und überlebten den Krieg. 1987 besuchten sie auf Einladung der Stadt mit ihrer Mutter Inge Krefeld. Am Sonntag sind die Brüder wieder in Krefeld und werden von Oberbürgermeister Meyer empfangen.

Foto: Nico Kamp

Ein Foto aus Kindertagen zeigt zwei fröhliche Jungs. Nico hätte einmal beinahe alles verraten: Als deutsche Soldaten an dem Bauernhof vorbeimarschierten, in dem er und andere Juden versteckt waren, fing er an zu erzählen: dass er bald sechs wird und dann einen Judenstern tragen muss - alles in fehlerfreiem Deutsch. Es ging nochmal gut. "Alle schimpften mit mir", erinnert sich Nico, "vor allem mein Bruder". Am Ende haben beide überlebt.

Ihre Geschichte wird in einem neuen Buch erzählt, das die Krefelderin Karin Kammann mit herausgegeben hat. Auf ihre Initiative geht auch der Besuch der Brüder Kamp in Krefeld zurück. Sie hat über Zufälle und familiäre Bindungen privat die Kamps kennengelernt und war gefesselt von der Geschichte einer Familie, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts in Krefeld gelebt hat und hochgeachtet war. Dieser Punkt ist Karin Kammann sehr wichtig: Die ganze Geschichte der Familie zu erzählen und die Tiefe der Verwurzelung in Krefeld zu zeigen. So tief war sie, dass die Familie es nach der Machtergreifung der Nazis zunächst für unmöglich hielt, in Gefahr zu geraten - bis zur Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938.

 1987: Empfang für ehemalige Krefelder Juden, auch die Brüder Nico und Rolf sowie ihre Mutter Inge waren unter den Gästen. Oberbürgermeister Dieter Pützhofen begrüßt Ilse Wolfson, die stellvertretend für alle Gäste sprach.

1987: Empfang für ehemalige Krefelder Juden, auch die Brüder Nico und Rolf sowie ihre Mutter Inge waren unter den Gästen. Oberbürgermeister Dieter Pützhofen begrüßt Ilse Wolfson, die stellvertretend für alle Gäste sprach.

Foto: Stadtarchiv

Am 10. November flohen Fritz und Inge Kamp mit ihren Söhnen Rolf und Nico und den Großeltern in die Niederlande. Die Großeltern: Adolf und Henriette Kamp, Krefelder durch und durch. "Meine Großeltern sprachen Krievelsch", betont Nico. 1940 überfielen die Deutschen die Niederlande, im Juni 1942 tauchte die Familie dort unter. Das Buch, das auch Berichte der Brüder Kamp dokumentiert, erlaubt fesselnde Einblicke in das Leben der Untergetauchten und das Helfernetz, das in den Niederlanden Juden versteckte - oft genug schrammten die Untergetauchten knapp an der Entdeckung vorbei. "Von den etwa 14.500 Juden, die als Erste untertauchten, wurde ein großer Teil, etwa 8500 bis 9000, verraten", heißt es in dem Buch. Am Ende haben die Deutschen von 140.000 Juden in den Niederlanden 103.000 ermordet, heißt es auch.

Die Familie Kamp kam bei Bauern unter; Eltern, Großeltern und die beiden Kinder wurden paarweise untergebracht, immerhin nur ein paar Kilometer auseinander. So konnte der Vater seine Söhne ab und zu besuchen und sie mit Keksen versorgen, die Mutter Inge, so gut es eben ging, fabriziert hatte. Die Bauern nahmen Geld dafür, dass sie Juden versteckten. Wohl nicht aus Geldgier, wie Ingrid Schupetta, Leiterin der NS-Dokumentationsstelle Villa Merländer, auf Anfrage erläutert. Es gab demnach vor allem im katholischen Limburg eine Helferorganisation, die Juden versteckte. Die Bauern haben sich diesen Rettungsdienst zurecht bezahlen lassen, betont die Historikerin, "denn sie brauchten Kleidung und Lebensmittel für die Versteckten." Lebensmittel waren rationiert, es war enorm schwierig, Essen für die Untergetauchten zu besorgen. 1944 kam auch noch ein harter Hungerwinter über das Land - trotzdem wurden die Kamp-Brüder nicht verraten. Dabei wäre es lukrativ für die Bauern gewesen; die Nazis hatten Belohnungen für Tipps und Verhaftungen ausgesetzt. Nico und Rolf Kamp hatten Glück; sie kamen stets bei Leuten unter, die die Juden in ihrer Obhut nicht preisgaben - auch als sie sich einmal im Hühnerstall eines nichtsahnenden Bauern versteckten. Als sie ihn dann hungernd um Hilfe baten, gab er ihnen Milch und Essen und bat sie zu gehen. Jeder Helfer riskierte stets sein Leben. "Diese Menschen, die damals Juden versteckt hatten, dürfen wir niemals vergessen", schreibt Nico Kamp voller Dankbarkeit.

Die Kamp-Brüder wurden an 13 verschiedenen Orten versteckt; mal einige Tage, mal ein ganzes Jahr. Das letzte Versteck war ein Bauernhof, auf dem eine Familie mit zehn Kindern lebte - mit den Untergetauchten waren es 17 Personen. Nur ein Problem dabei: Die Kamp-Kinder hatten dunkle Haare, die Bauersfamilie war blond. Ein fast heiteres Problem: Jeden zweiten Samstag wurde gebadet, eine Wanne mit heißem Wasser musste für fünf bis sechs Kinder reichen - den Kamp-Brüdern ist in Erinnerung geblieben, dass sie als letzte dran waren.

Im Frühjahr 1944 wurden Inge und Fritz Kamp verraten und verhaftet. Inge hat Auschwitz überlebt, Fritz ist gleich an der berüchtigten Rampe aussortiert und ins Gas geschickt worden. Er war gesundheitlich angeschlagen. Die Kinder blieben in den Niederlanden; und es gab nun das Problem, dass niemand mehr für sie zahlte. Doch der niederländische Widerstand sprang ein; die Kinder blieben versteckt. 1945 dann sah Mutter Inge ihre Söhne wieder. Sie starb 2009 mit 98 Jahren, am 10. November, an dem Tag, an dem sie 1938 mit ihrer Familie Krefeld verlassen hatte. Beerdigt ist sie in den Niederlanden.

Inge Kamp und ihre Söhne haben Krefeld 1987 wieder besucht. Es waren bewegende Tage damals: Die Stadt hatte ehemalige Krefelder Juden eingeladen, die vor Nazi-Deutschland in alle Welt geflohen waren. Vom 27. Juni bis 7. Juli 1987 waren 132 Juden aus 18 Ländern in Krefeld zu Gast, die meisten zum ersten Mal seit ihrer Flucht oder der Rettung aus einem Konzentrationslager. Am Ende resümierte Schriftsteller Rolf Gompertz: "Wir kamen mit wenig Hoffnung und gehen mit zufriedenem Herzen."

30 Jahre nach diesem Ereignis werden die Brüder Kamp nun am Sonntag von Oberbürgermeister Frank Meyer empfangen. Es geht um beides: Gedenken an die Verbrechen der Nazis und Gedenken an den Versuch, Versöhnung zu stiften.

Das Buch: Nico Kamp, Rolf Kamp, Karin Kammann, Coen Hilbrink: Die Geschichte der jüdischen Familie Kamp in Krefeld, 19,95 Euro

(RP)
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