Interview Hildegard Reintges Wie Kindheit sich seit 1976 verändert hat

Krefeld · "Kinder sind heute mit vielen - auch unangenehmen - Dingen konfrontiert": Die Grundschulleiterin und Sprecherin der Krefelder Grundschulen, Hildegard Reintges, berichtet anlässlich ihrer Pensionierung über Entwicklungen in ihrem Beruf.

 Hildegard Reintges hat an der Pädagogischen Hochschule Neuss mit den Schwerpunkten Mathematik und Sachkunde studiert. 1976 trat sie ihre erste Stelle an der Krefelder Pestalozzischule an. Die erste Schulleitungsstelle bekam sie im Alter von 34 Jahren an der Grundschule Lewerentzstraße. Mit der Neugründung der Grundschule Horkesgath 2003 wechselte sie dorthin. Die Grundschule Horkesgath ist nach dem Schulverbund mit der Grundschule Kempener Allee mit über 500 Schülern Krefelds größte Grundschule. Reintges ist außerdem Sprecherin der Krefelder Grundschulleiter.

Hildegard Reintges hat an der Pädagogischen Hochschule Neuss mit den Schwerpunkten Mathematik und Sachkunde studiert. 1976 trat sie ihre erste Stelle an der Krefelder Pestalozzischule an. Die erste Schulleitungsstelle bekam sie im Alter von 34 Jahren an der Grundschule Lewerentzstraße. Mit der Neugründung der Grundschule Horkesgath 2003 wechselte sie dorthin. Die Grundschule Horkesgath ist nach dem Schulverbund mit der Grundschule Kempener Allee mit über 500 Schülern Krefelds größte Grundschule. Reintges ist außerdem Sprecherin der Krefelder Grundschulleiter.

Foto: Thomas Lammertz

Sie war 40 Jahre Lehrerin, 29 Jahre Rektorin, davon 13 Jahre an der Grundschule Horkesgath, und ist Sprecherin der Krefelder Grundschulleiter: Heute wird Hildegard Reintges mit einer Feierstunde in den Ruhestand verabschiedet.

Frau Reintges, Sie haben mehr als 40 Jahre lang als Pädagogin Kinder auf ihrem Weg durch die Grundschule begleitet. Wie haben sich Kinder, aber auch deren Eltern, im Laufe der Jahre verändert?

Reintges Ich sage immer gern: Die Kinder sind anders geworden, aber nicht schlechter. Kinder sind heute mit vielen - auch unangenehmen - Dingen konfrontiert, von denen sie früher ferngehalten wurden, mit vielen Erwachsenenproblemen. Teils geschieht das bewusst durch die Erziehung, teils aber einfach durch die Umwelt, durch veränderte gesellschaftliche Bedingungen, die Medien. Viele Kinder können damit nicht umgehen.

Wie hat sich denn die Erziehung verändert?

Reintges Auf der einen Seite werden Kinder häufig wie kleine Erwachsene behandelt, ohne zu sehen, dass es vielleicht auch schön ist, einfach Kind zu sein, nicht alles zu wissen, nicht in alles einbezogen zu werden. Gleichzeitig werden Kinder aber auch sehr behütet, Stichwort Helikopter-Eltern. Die Eltern sorgen sich sehr.

Wie äußert sich das?

Reintges Ein Beispiel ist der Schulweg: Was vielen Kindern heute fehlt, ist der gemeinsame Schulweg - ohne Eltern! Viele Kinder werden mit dem Auto gebracht und abgeholt, und ich bin - bei allem Verständnis für die Sorgen der Eltern -manchmal traurig, dass ihnen der Freiraum einfach fehlt.

War das zu Ihrer eigenen Grundschulzeit anders?

Reintges Der Schulweg war für uns die Faszination; es machte Spaß, mit anderen gemeinsam zur Schule zu gehen. Das Vertrauen der Eltern war da, die hatten nicht immer sofort Angst. Unsere Eltern haben sich auch sehr um uns gekümmert, aber wir waren nicht so überbehütet. Die Sorge der Eltern heute überträgt sich auch auf die Kinder und macht sie unsicher.

Stichwort Vertrauen: Wie hat sich denn im Laufe der Zeit die Lehrer-Eltern-Beziehung verändert?

Reintges Die Eltern sind anspruchsvoller geworden. Sie fordern vieles für ihr Kind, manchmal ohne zu sehen, ob das Kind das wirklich leisten kann. Teils fehlt das Vertrauen in uns Lehrer, dass wir das Kind im Blick haben und versuchen, alles rauszuholen, was drin steckt. Auch wir möchten für jedes Kind die optimale, beste Schullaufbahn, und die Basis dafür legen, dass ein Kind gern lebenslang lernt. Sehr positiv ist, dass Eltern sich heute viel aktiver in das Schulleben einbringen, sich einbeziehen lassen.

Hat der Leistungsdruck also zugenommen, sind Eltern hysterischer wegen der Noten?

Reintges Teilweise ja. Ich habe Verständnis, dass Eltern sich aufregen, weil es ja um die Zukunft ihrer Kinder geht. Schlecht ist jedoch, wenn die Anforderungen an die Kinder nicht realistisch sind. Und, wenn man Kinder entmutigt, bei einer Drei schon sagt 'Warum hast du nur eine Drei?'. Dann werden Kinder das wie eine Fünf empfinden. Eltern sollten den Kindern Mut machen, aber auch akzeptieren, dass ihr Kind vielleicht manche Dinge nicht so gut kann.

Hat sich der Unterricht seit Ihrem Einstieg in den Beruf verändert?

Reintges Ja, sehr. Damals konnte man Kinder mit ganz einfachen Dingen noch begeistern, zum Beispiel mit simplen Experimenten aus dem Bereich Magnetismus. Darüber würden jetzt schon Kindergartenkinder nur lachen. Die Kinder bringen heute viel mehr mit; es ist überraschend, was sie alles so wissen und wofür sie sich interessieren.

Wie sieht es mit den so genannten Soft Skills aus?

Reintges Die fehlen heute teilweise. Viele Kinder wachsen als Einzelkinder auf und sind es gewohnt, dass man sich immer nur um sie kümmert. Und das ist schwierig, wenn da noch 25 andere Kinder in der Klasse sind, die es auch gewohnt sind, immer im Mittelpunkt zu stehen. Dann haben sich auch die Tagesabläufe geändert, viele Eltern sind berufstätig. Ich sage nicht, dass das schlecht ist, es ist anders, und wir müssen darauf eingehen und uns damit auseinandersetzen.

Wie hat sich Grundschule im Laufe der Jahre verändert?

Reintges Wir haben sehr viele neue Aufgaben übernommen, das Spektrum ist immer breiter und anspruchsvoller geworden. Stichwort Englisch, Stichwort Inklusion. Als Eckpfeiler unserer Arbeit hat sich die Zusammenarbeit mit den Kindertagesstätten entwickelt. Es ist unabdingbar, dass wir die Kinder schon vor der Grundschule kennenlernen.

Was werden Sie vermissen?

Reintges Die Offenheit von Kindern gegenüber uns Lehrern, wie sie fröhlich morgens zum Unterricht kommen, wie sie sich wohlfühlen in der Schule. Ich habe mich auch immer sehr über die Erfolge von Schülern im Laufe ihrer Schullaufbahn gefreut. Viele besuchen uns noch, manche schulen schon wieder ihre eigenen Kinder ein. Daran merkt man, dass man doch schon etwas länger im Dienst ist (lacht).

CAROLA PUVOGEL FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP)
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