Krefeld Wenn Mütter ihr Baby nicht wollen

Krefeld · Vor einem Jahr ist das Gesetz zur vertraulichen Geburt in Kraft getreten. Tragische Fälle wie die des getöteten Babys im Krefelder Südpark soll es verhindern helfen. Erste Bilanz: Eine vertrauliche Geburt gab es in Krefeld nicht, aber das Gesetz hilft.

 Dieses Fahndungsplakat hängt noch immer in den Krefelder Polizeiwachen.

Dieses Fahndungsplakat hängt noch immer in den Krefelder Polizeiwachen.

Foto: Thomas Lammertz

Der tragische Fall der im März 2014 im Südpark gefundenen Babyleiche hat viele Menschen in der Stadt bewegt. Hunderte besuchten die Beerdigung des posthum auf den Namen Silvia getauften Mädchens. Und noch immer hängen in den Krefelder Polizeidienststellen Fahndungsplakate, mit denen nach Hinweisen auf die Mutter gesucht wird. Diese Plakate sind gleichsam ein Warnruf: Krefelder, seid achtsam. Helga Bauer, Leiterin der Schwangerenberatungsstelle von Pro Familia, ist sicher, dass das tragische Ereignis Spuren auch bei heutigen Krefelder Schwangeren in Notsituationen hinterlässt. Zu ihr kommen Frauen, die ihr Kind nicht wollen, die einen Ausweg suchen. "Wir wollen Kurzschlussreaktionen bei Müttern vermeiden", sagt Bauer. Frauen wie die Mutter des Südparkbabys befänden sich schließlich in einer psychischen Ausnahmesituation.

Das vor einem Jahr eingeführte Gesetz zur vertraulichen Geburt, dessen Auswirkungen die Schwangerenberatungen von Sozialdienst katholischer Frauen (Skf), evangelischer Beratungsstelle, Donum Vitae und Pro Familia gestern in einer Pressekonferenz skizzierten, soll der Notlage der Mütter gerecht werden, ohne das Recht des geborenen Kindes zu missachten. Eine schwierige Gratwanderung.

Schon vorher existierten Hilfsangebote, doch sie wurden dem Kind nicht gerecht. Bis zum Mai 2014 gab es als Notfallprogramm die anonyme Geburt - Mütter gingen in ein Krankenhaus, brachten dort ohne Vorlage von Personalien ein Kind zur Welt, gingen wieder. Oder sie legten ihr Kind in einer "Babyklappe" ab. Dieses Kind wird dann womöglich irgendwann adoptiert, kann aber seine wahren Eltern oft nicht kennenlernen. Statistische Erhebungen des Bundes zeigen, dass in Deutschland im Zehnjahreszeitraum vor Einführung des Gesetzes 970 Geburten anonym vonstattengingen. Diese Möglichkeit besteht immer noch, doch die vertrauliche Geburt stellt jetzt eine humanere Alternative dar. "Wesentlich dabei ist, dass das Kind im Alter von 16 Jahren die Chance erhält, zu erfahren, wer seine Mutter war", sagt Marita Tautz von Donum Vitae.

Die jetzt neu mögliche vertrauliche Geburt läuft folgendermaßen ab: Die Schwangere geht zur Beratungsstelle, weist sich nur dort aus, erhält aber einen Aliasnamen, mit dem sie von der Beratungsstelle auch im Vorfeld der Geburt beim Krankenhaus oder der Hebamme angemeldet wird. Die Frau kann dann das Kind geschützt und medizinisch begleitet gebären, kann auch danach weiter durch die Beratungsstelle unterstützt werden. Die Klinik oder Hebamme informiert die Beratungsstelle über die Geburt. Diese vermerkt Geburtsdatum und -ort auf dem Umschlag und übermittelt diesen mit dem Herkunftsnachweis, dem echten Namen der Mutter, an das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben, das den Namen des Kindes auf dem Umschlag ergänzt. Die Klinik oder Hebamme teilen dann dem Standesamt die Geburtsdaten des Kindes mit. Dort wird es aber nur mit dem Aliasnachnamen der Mutter und dem gewählten Vornamen geführt. Das Kind erhält einen Vormund, die mütterliche Sorge ruht.

"Man ermöglicht dem Kind die Chance, seine Herkunft später zu erfahren", sagt Marita Tautz. Die Mütter hätten auch die Chance, ihrem Kind einen Brief für später zu schreiben, in dem sie ihre Situation schildern. Auch sei es möglich, dem Kind ein Andenken zu hinterlassen. Für den Behördenweg wichtig: Die Kosten einer vertraulichen Geburt trägt das Land. Darauf verweist Andrea Vogt von der evangelischen Beratungsstelle.

Die Beraterinnen schilderten gestern anonymisierte Fälle. Nicht selten würden in Krefeld junge Frauen erst im vierten oder fünften Monat merken, dass sie schwanger sind. Die Angst, vom Freund verachtet oder von den Eltern abgestoßen zu werden, wachse plötzlich. So berichtet Helga Bauer, dass sie eine essgestörte Frau bei sich zur Beratung hatte, die im siebten Monat schwanger war, bei der man aber keine körperliche Veränderung sah. Es gebe Frauen, die ihre Schwangerschaft bis zuletzt verdrängen. Kommt es zur Geburt, befindet sich eine solche Frau plötzlich in einer psychischen Notsituation.

Zwar hat es bisher keinen Fall einer vertraulichen Geburt in den vergangenen zwölf Monaten in Krefeld gegeben. Aber es gab bereits Frauen, die sich mit dem Wunsch einer vertraulichen Geburt an die Beratungsstellen gewandt, sich letztlich aber für andere Wege entschieden haben; das Kind behalten oder es später zur Adoption freigeben. "Eine vertrauliche Geburt stellt immer den letzten Schritt dar", betont Silvia Heimes vom Sozialdienst katholischer Frauen (SkF). Die Möglichkeit der vertraulichen Geburt sei inzwischen aber nicht selten der Einstieg in eine Beratung - dort können den Frauen andere Wege aufgezeigt werden. "Wir sind deshalb alle froh, dass es dieses Gesetz gibt", sagt Sabine Heimes vom SkF.

Im Idealfall wird der Frau in den Beratungsgesprächen aufgezeigt, dass sie das familiäre Umfeld unterstützen kann nach der Geburt. Viele Großeltern entwickeln große Kraft, helfen ihrer Tochter - das ist die Botschaft, die die Schwangerenkonfliktberaterinnen den jungen Müttern auf den Weg geben wollen. Und wichtig ist den Beraterinnen auch zu betonen, wie sensibilisiert die meisten Jugendlichen bei Sexualberatungen sind, wie sie das Ungeborene in all seinen Rechten achten. Helga Bauer sagt: "Was wir generell in unseren Beratungen erfahren ist, dass insbesondere junge Leute sensibel sind. Für sie ist das Ungeborene etwas Heiliges."

(RP)
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