Krefeld Wenn der Körper zur Leinwand wird

Krefeld · Das Choreographenduo Billinger und Schulz zeigt in seinem neuen Stück Unlikely Creatures in der Fabrik Heeder an der Virchowstraße Körperbilder von provokativer und spukhafter Intensität.

 Die Tänzer berühren sich und die Farben vermischen sich auf ihren Körpern.

Die Tänzer berühren sich und die Farben vermischen sich auf ihren Körpern.

Foto: Florian Krauss

Es sind rätselhafte Geschöpfe, die an diesem Abend die Bühne der Fabrik Heeder bevölkern. Die Erforschung und Verkörperung fantastischer Kreaturen, heißt es im Programmtext, sind Bestandteil einer eigenen Tanz- und Körperstudie, die das Düsseldorfer Künstlerduo Verena Billinger und Sebastian Schulz gemeinsam mit seinem Ensemble in seinem neuen Tanzstück betreiben. Billinger & Schulz denken in ihren Stücken oft über eine konkrete Fragestellung nach - so auch an diesem Abend. "Wer sind wir?", "Was ist normal?" und "Warum geht der Mensch nie ganz in seinem Bild auf?", fragen Billinger & Schulz in diesem ersten Teil ihrer dreiteiligen Performance-Reihe "Unlikely Creatures".

Der Stücktitel "Unlikely Creatures" ("Unwahrscheinliche Wesen") spielt auf den Konflikt an, dass sich der menschliche Körper aufgrund seiner Anatomie und Biografie nie in bestimmte Ideale pressen lässt. Doch in der Tanzkunst gelten andere Regeln. Hier lässt sich die Choreographie immer wieder neue Lösungen einfallen, die den menschlichen Körper in andere Rollen schlüpfen lassen: sonderbare Zauberwesen, Trolle, Könige oder Feen - doch welche irrationalen Wesen werden an diesem Tanzabend auf die Bühne der Fabrik Heeder zurückgeholt?

Das Bühnenbild besticht durch eine schlichte, an allen vier Seiten offene Guckkastenbühne. An der Stirnseite schwebt eine kleinformatige Videoleinwand, links und rechts des weißen Tanzbodens stehen die Performer, drei Männer und zwei Frauen, sowie der DJ an seinem Computer - alle sind für die Zuschauer stets sichtbar. Ein Tänzer tritt hervor und beginnt mit klassischen Ballettübungen, etwas ungelenk und übertrieben schnell ausgeführt - begleitet durch die Musik, die aus dumpfen Elektrobeats besteht und die Schönheit des klassischen Balletttanzes immer wieder bricht. Eine Tänzerin tritt hinzu und auch sie formt mit ihrem Körper ästhetische, moderne Tanzbilder, die nicht recht zu den hämmernden Bassgeräuschen passen wollen. Die Tänzer gehen an den Bühnenrand und wechseln Hose, Schuhe, T-Shirt - einer von vielen Kostümwechseln, die noch folgen werden. Die Tänzer sind an diesem Abend ständig in Bewegung, gehen von der Bühne ab, wechseln ihre Kleidung und somit ihre Rollen.

Unlikely Creatures fordert den Zuschauer permanent dazu heraus, sich zum Gezeigten zu positionieren, sich Gedanken zu machen: Um welche fantastischen Kreaturen handelt es sich? Was sind Zitate aus der europäischen Tanzgeschichte und was sind heutige Körperbilder, die trotz ihres Gegenwartsbezuges fremd und rätselhaft erscheinen mögen. Andernfalls läuft der Zuschauer Gefahr, dass die vielen zugleich sinnlichen und analytischen Körperbilder an ihm oder ihr vorbeirauschen. Die großartigen Tänzer schöpfen aus einem reichen Bewegungsrepertoire, mal sind es fließenden und lang gehaltenen Formationen allein, zu zweit oder zu dritt, mal sind es absurde, düstere und verstörende Haltungen, die vor allem durch ihre Nacktheit berühren, provozieren und aus dem Zuschauerraum das ein oder andere Lachen hervorlocken.

Billinger und Schulz arbeiten mit Mitteln der Wiederholung, Variation, und Erschöpfung, was sowohl für die Tänzer, als auch die Zuschauer eine Herausforderung darstellt, denn das Stück findet nicht so recht zu seinem Ende. Zum Schluss haben sich alle fünf Tänzer mit knalligen Signalfarben bemalt. Ihre Figuren werden immer fantastischer und ihre Körper scheinen sich mehr und mehr anzunähern. Sie berühren sich und die Farben vermischen sich auf ihren Körpern - ein schönes Schlussbild, dass die Lust am Spiel mit Kunstsparten, Stilen und Epochen unterstreicht und den Körper zum eindrucksvollen Bildträger macht.

(RP)
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