Krefeld Von höchster Sprungkraft

Krefeld · Getanzte Variationen der Träume, intensive Trauerarbeit und ein Bolero, dem sich niemand entziehen kann: Der neue dreiteilige Ballettabend von Robert North fordert die Zuschauer emotional. Das Publikum applaudierte Minuten lang im Stehen nach der Premiere.

 Hohe Sprünge, enorme Kraft und Eleganz sind die Grundpfeiler des neuen Ballettabends von Robert North. Das Foto zeigt eine Szene aus der Uraufführung "Nachtvariationen". Bühnenbild und Kostüme hat Udo Hesse erdacht.

Hohe Sprünge, enorme Kraft und Eleganz sind die Grundpfeiler des neuen Ballettabends von Robert North. Das Foto zeigt eine Szene aus der Uraufführung "Nachtvariationen". Bühnenbild und Kostüme hat Udo Hesse erdacht.

Foto: Matthias Stutte

Die Tänzer kommen gebückt auf die Bühne, sie rutschen auf Knien, richten sich auf und sacken zusammen - Maurice Ravels monotoner Eingangsrhythmus wird Bewegung, jeder Schritt ist ein Beat. Die Musik peitscht, die Tänzer wirbeln, springen. Während der "Bolero" sich zur fulminanten Melodie steigert, wird die tänzerische Energie immer spürbarer - bis zu einem fulminanten Crescendo. Da bleibt kein Blutdruck unten. Die Kraft von "Bolero" wirkt immer, und wer die Choreografie von Robert North vor acht Jahren in Krefeld gesehen hat, erlebt mehr als ein Déjà Vu. Auch 2018 verdient die Choreografie ein Frischesiegel. Das Premierenpublikum springt auf und feiert den neuen dreiteiligen Ballettabend frenetisch. Nie hat man die Compagnie öfter, kraftvoller, höher und schöner springen sehen, als in der Trilogie "Nachtvariationen / Für meine Tochter / Bolero".

Die Begeisterung gilt nicht allein dem Zuschauerschmankerl Bolero. Den großen Coup gibt es gleich zu Beginn mit der Uraufführung "Nachtvariationen" - einer kongenialen Kooperation von Ballettchef North mit dem Musiker André Parfenov. Inspiriert von Johann Sebastian Bachs "Goldberg Variationen" hat Parfenov eigene Variationen komponiert, die den Geist Bachs, der in der Anfangs- und Schlussarie hörbar wird, atmen, ihn aber in eine ganz eigene, moderne Sprache übersetzen. Wild und wuchtig, mit Überlappungen, die das Ohr kaum durchdringen kann, aber auch mit zarten, fast lyrischen Momenten fegt er durch die verschiedenen Tempi und Rhythmen, zitiert sogar mal einen Tango. Der Kanon ist ein wichtiges Stilelement Bachs, mit dem auch Parfenov virtuos spielt. Die Tänzer spiegeln das in Schrittwiederholungen und zeitlichen Versetzungen. Wer die Augen schließen würde, um sich Bewegungen zu der Musik vorzustellen, würde exakt das sehen, was das Ensemble auf der Bühne zeigt. Vor einem anfangs lichtblauen Bühnenprospekt (Ausstattung: Udo Hesse), auf dem sich Farbspuren zu abstrakten Landschaften formen, ereignen sich nächtliche Traum- und Alptraumszenen. Bach hatte seine Musik für einen schlaflosen Grafen komponiert, die Idee setzt North fort: Alessandro Borghesani ist der Träumende, Irene van Dijk seine personifizierte Sehnsucht, die ihn durch die Nacht mit den unterschiedlichsten Gestalten folgt. Er folgt ihr, aber kann ihrer nicht habhaft werden. In einem anrührenden Pas de deux wird die Vergeblichkeit klar.

Für Robert North gilt das Prinzip der Vielfalt. Möglichst viele Stimmungen und möglichst viele Tänze möchte er zu einem Abend kombinieren. Das gelingt auch diesmal - ohne dass ein roter Faden die einzelnen Programmelemente verbindet. So wird es nach einem emotional aufgeladenen Eröffnungsballett tieftraurig: In "Für meine Tochter" verarbeitet Leos Janacek musikalisch den Tod seiner einzigen Tochter. Sein Klavierzyklus "Auf verwachsenem Pfade" schildert die Orte, die Vater und Tochter gemeinsam besucht haben. Borghesani ist der Vater, in jeder Bewegung liegt bleierner Schmerz Elisa Rossignoli ist mit ihrer mädchenhaften Anmut die Tochter - ein Wesen aus der Erinnerung, das die Szenen seines Lebens noch einmal durchläuft: die koketten Begegnungen mit ihrem Freund (Raphael Peter), die unbeschwerten Gartenstunden mit den Schwalben (Irene van Dijk und Yoko Takahashi). 2008 war die "Tochter" in der Ausweichspielstätte des Theaters mit einem Instrumentalquartett zu erleben. Diesmal spielt Parfenov solo das Klavier und schafft so eine Intimität, die dem unterschwelligen Schmerz jeder Szene gerecht wird. Großer Jubel für das Ensemble, die Choreografien und für den Komponisten und Interpreten Parfenov.

Nächste Vorstellungen: 11., 13., 20. April, 5., 12., 20. Mai, 24. Juni. Dauer: zwei Stunden, zwei Pausen. Kartentelefon 02151 805125.

(RP)
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