Krefeld Von der Magie des Seidenwebens

Krefeld · Wer ins Haus der Seidenkultur geht, ist nicht zuerst von Jahreszahlen und Historie fasziniert. Er wird umfangen vom Zauber der Jacquard-Webstühle. Sie sind auch Kunstwerke und Schicksalsbilder. Wir laden ein zu einer poetischen Reise ins Innere eines Webstuhls.

 Nahaufnahme eines Jacquard-Webstuhls.

Nahaufnahme eines Jacquard-Webstuhls.

Foto: Thomas Lammertz

Wie eins ins andere greift, wie alles verschlungen und geordnet ist, wie Holz und Faden aneinanderliegen und doch getrennt sind, wie es einen Plan zu ahnen gibt, ohne ihn zu kennen, wie in halbfertigem Stoff Sinn und Ziel aufscheinen, ohne greifbar zu sein: Ein Webstuhl ist immer beides - Mechanik und Abbild für unser Leben, das in vielem, nein, nicht wie ein Webstuhl ist, sondern wie das, was wir wahrnehmen, wenn wir ihn sehen - nämlich ein Gespinst aus Materie und Sinnverdacht. So ist die Welt; so wird sie uns zur Frage, bis hin zur größten, ob in all dem Äußeren der Geist eines Schöpfers wohnt, der das Verworrene, all das halb Erkannte am Schluss zu einem Ganzen fügt.

So ist es auch bei den wunderbaren Jacquard-Webstühlen, die das Haus der Seidenkultur versammelt. Je näher man herangeht, je mehr das Auge eintaucht in das Innere eines Webstuhls, desto weniger sieht man Holz oder Fäden oder ein Konstrukt, das alles vereint. Man sieht ein Kunstwerk, ein Gleichnis, viele Gleichnisse. Nicht umsonst sind Web-Utensilien die Attribute für die Parzen, die das Schicksal spinnen. Dass sich etwas fügt, bindet, verbindet, zu einem Ende findet oder reißt: Das hat viel mehr mit uns zu tun, als die so zweckvolle Mechanik uns glauben machen will. Sicher, Webstühle sind Wunder der Handwerkskunst, aber eben auch Wunder: Es gibt eine Ästhetik des Mechanischen, die über sich hinausweist. Ein Webstuhl - vor allem wenn er so schön ist wie seine Brüder im Haus der Seidenkultur- löst immer auch einen Bildersturm im Kopf aus, wenn man nur genau und genauer und noch genauer hinschaut. Bei aller Zweckdienlichkeit: Irgendwann kippt die Optik und erkennt Poesie. Bei all dem sind Webstühle - das macht sie so warm und anziehend - optimistische Bilder: Die Details sind verschlungen, die Wege unabsehbar, der Wechsel aus hartem Holz und weichem Stoff, aus schwerer Materie und der Federleichtigkeit eines Fadens - aber all das legt nahe, dass es in der Materie eben doch einen Sinn gibt. So ist jeder Webstuhl mehr Verheißung als Androhung von Chaos.

Vielleicht lieben Menschen darum Webstühle immer etwas inniger als Technik aus Eisen, die ja auch unerhörte Schönheit ausstrahlen kann, von der sie selbst nichts weiß, weil sie nichts als Technik und zweckvoll sein will.

Wo Eisen wuchtig ist und immer auch Bedrohung, sind Seidenweb-stühle Trostbilder. Am Ende wartet schönes Tuch, das unsere Blöße bedeckt und uns eine Schönheit zustiftet, die unser Körper allein nicht hat.

So hängt alles schöne Leben immer auch an einem Seidenfaden.

(RP)
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