Krefeld Vom Rathaus ins Zuchthaus und KZ

Krefeld · Anhand eines umfangreichen Briefwechsel wurde das Leben des Krefelder Kommunisten Heinrich Plum erforscht.

 Dieses Polizeifoto ist vermutlich das einzige erhaltene Foto von Heinrich "Heiner" Plum. Ein Stolperstein an der Lohstraße erinnert an ihn.

Dieses Polizeifoto ist vermutlich das einzige erhaltene Foto von Heinrich "Heiner" Plum. Ein Stolperstein an der Lohstraße erinnert an ihn.

Foto: VM

Ein Stolperstein vor dem Haus Lohstraße 58/60 erinnert an Heinrich Plum. Das Leben des von den Nazis verfolgten Krefelder Kommunisten ist jetzt in der NS-Dokumentationsstelle "Villa Merländer" erforscht worden. Denn Plum hat ungewöhnlich umfangreiche Zeitzeugnisse hinterlassen: Ein 400-seitiger Briefanteil und dazu rund 250 Tagebuchseiten schildern seine Erfahrungen unter dem NS-Regime. Das Konvolut kam durch einen Nachfahren seiner Freundin Hanne Spitmanns in die Obhut der Krefelder NS-Dokumentationsstelle. Für deren Leiterin Ingrid Schupetta und ihren Mitarbeiter Burkhard Ostrowski schien sich endlich eine Quelle aufzutun, um die Geschichte der Krefelder KPD zu edieren. Für dieses Vorhaben gewannen sie die Unterstützung der Landeszentrale für politische Bildung. Doktorand René Lehmann übernahm die Federführung. Schon bald musste dieser feststellen, dass die Briefe für das Vorhaben zu wenig hergeben. Andererseits zeigt die Biografie Plums aber exemplarisch, wie die Nazidiktatur mit Menschen umging, die sie zu ihren Feinden erklärt hatte.

Nach Beendigung seiner Schulzeit 1917 hatte der am 6. Oktober 1901 in Oppum geborene Plum, der Heiner genannt wurde, zwei Jahre als Knecht auf einem Pferdehof in Willich gearbeitet, um mitzuhelfen, seine Familie in den letzten Jahren des Ersten Weltkriegs durchzubringen. Danach wechselte er für sechs Jahre als Steinformer zum Linner Silamitwerk, das feuerfeste Steine für die Industrie brannte. 1930 trat Plum vollends in die KPD (Kommunistische Partei Deutschlands) ein, nachdem er bereits seit 1924 in verschiedenen Hilfsorganisationen dieser Partei tätig gewesen war. Im März 1933 wurde Plum für die KPD in die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Krefeld gewählt. Die Reichstagswahl am 5. März 1933 war die letzte Reichstagswahl, an der mehr als eine Partei teilnahmen. Im Januar war die Präsidialregierung des Reichskanzlers Kurt von Schleicher zurückgetreten. Dieser hatte dem Reichpräsidenten Paul Hindenburg empfohlen, Adolf Hitler zum als Nachfolger zu ernennen. Die immer stärker werdenden Übergriffe auf Gegner der NSDAP, vor allem auf Mitglieder der KPD, wurden kaum mehr geahndet. Der Brand des Berliner Reichstags in der Nacht vom 27. Auf den 28. Februar 1933, in dessen Folge die Grundrechte außer Kraft gesetzt wurden, tat ein Übriges, die Übergriffe der Nazis zu legitimieren.

Heiner Plum wurde im März 1933 in Untersuchungshaft genommen, kam aber im September wieder frei, nachdem er ein Dokument unterschrieben hatte, in dem er sich verpflichtete, sich nicht mehr politisch zu betätigen. Daran hielt sich der Kommunist aber nicht. 1934 war er unter den 26 Kommunisten im Untergrund, die von der Gestapo (Geheime Staatspolizei) enttarnt werden. Anfang 1935 erging das Gerichtsurteil: fünf Jahre Haft wegen Hochverrats. Die Haftzeit im Zuchthaus Luttringhausen im Sauerland beschreibt Plum als "fast angenehm wegen der Massierung politischer Häftlinge".

Heiner Plum lernte dort den Krefelder Schlosser Aurel Billstein kennen, der ebenfalls als Kommunist in Lüttringhausen einsaß. Mit Billstein zusammen baute Plum einen mechanischen Webstuhl, was beiden eine hervorgehobene Stellung unter den Häftlingen verlieh. Im Selbststudium brachte sich der Häftling Plum Grundkenntnisse der englischen Sprache bei. Allerdings machte sich auch erstmals eine Staublungenkrankheit bemerkbar, die sich Plum im Silamitwerk zugezogen hatte. 1937 kam noch die Diagnose chronische Polyarthritis hinzu, die bei Plum zu einer langsamen Lähmung des Körpers führte.

Er wurde in die Krankenabteilung verlegt. Mehrere Befragungen durch Krankenhausärzte nahm er nicht besonders ernst. Erst später erfuhr er, dass er haarscharf an der Diagnose "Idiotie" vorbeigeschrammt war, die zu einer Zwangssterilisation geführt hätte. Mit dem Aufsagen langer Karl-Marx-Zitate hatte er die Ärzte so verblüfft, dass sie ihn von den Maßnahmen des 1933 erlassenen Gesetzes zu Erbgesundheit ausnahmen.

Die Verlegung ins Zuchthaus im hessischen Butzbach verschlechterte die Haftbedingungen. Hier gaben die "Berufsverbrecher" den Ton an, erkennbar an einem aufgestickten grünen Winkel. Die mit ihnen verbündeten "Asozialen" trugen einen schwarzen Winkel, daneben gab es noch die Farben Rot für politische Häftlinge, Rosa für Homosexuelle und Lila für "Bibelforscher". Die Häftlingsküche befand sich in den Händen der Schwarzen und Grünen, die den Terror der SS an die Häftlinge weitergaben. Die SS-Bewacher bestimmten, wer als Häftlings-Kapo das Sagen hatte. So taten die "Politischen" alles, um eine Kapo-Funktion zu bekommen, die das Leben der Häftlinge menschlicher machen sollte.

Nach Absitzen seiner Haftzeit kam Plum als "Politischer" ins KZ Buchenwald. Er gab sich als Maurer aus. Sein Vorarbeiter war ebenfalls Kommunist. Er sorgte dafür, dass der Neuhäftling das Maurern erlernte. 1940 war Plum Stellvertreter des Küchenkapos in Buchenwald. Dann verschlechterte sich sein Zustand. Ab 1943 war er vom Hals abwärts vollständig gelähmt. Er wurde ins Häftlingskrankenhaus des KZ verlegt. Nun durfte er wöchentlich Post erhalten, konnte mit Häftlingsgeld in der Lagerkantine Einkäufe machen und erhielt besseres Essen. Im Krankenrevier überstand Plum die Zeit bis bis zur Lagerbefreiung 1945. Über ein Krankenhaus in Jena fand er nach Kriegsende wieder nach Krefeld zurück. Er starb im August 1950.

Die Tagebuchaufzeichnungen hatte Plum in den ersten Jahren nach Ende des Zweiten Weltkriegs aus seiner Erinnerung heraus einer "Schwester Annegret" diktiert, die den gelähmten Exhäftling pflegte. Die Briefe spiegeln Plums Korrespondenz mit früheren Freunden und Bekannten wieder, die in alle Winde verstreut wurden, etwa nach Südafrika oder in die DDR.

(oes)
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