Krefeld Uerdingens erste Stolpersteine

Krefeld · Seit gestern erinnern vier Messingsteine an der Alten Krefelder Straße an die Familie Daniels, die einst hier lebte.

Gunter Demnig wischt noch mit einem Reisigbesen den Fugensand von den gerade vor dem Haus Alte Krefelder Straße 39 verlegten vier Stolpersteinen. Es sind keine wirklichen Stolpersteine: Die Menschen sollen über deren Botschaft stolpern. Die Wintersonne an diesem kalten Vormittag in Uerdingen lässt das Messing der Steine erstrahlen, in das die Namen der Witwe Marta Daniels und ihrer Kinder Kurt, Ruth und Werner eingraviert sind, die das Haus seinerzeit bewohnt hatten. Martas Mann, der Gebrauchspferdehändler Hermann Daniels hatte sein Geschäft während der Weltwirtschaftskrise schließen müssen. Er verstarb im Juli 1932, ein Jahr vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten. Der Künstler Demnig verlegt bundesweit solche Stolpersteine, die an Menschen die Opfer der Nationalsozialisten erinnern. In Uerdingen sind es die ersten.

Zum Besitz der Familie Daniels gehörten drei aufeinanderfolgende Häuser, von denen das Haus Alte Krefelder Straße 43 mit seinem großen Torbogen das Wohnhaus der Familie war, während das Haus, vor dem die Stolpersteine verlegt wurden, als Gewerbe- und Gesindehaus diente. Heute wohnt darin die Familie des Zahnarztes Heinz Kleinen. Dieser hatte es seinerzeit von Werner Daniels gekauft, nachdem dieser nach Ende des Zweiten Weltkrieges nach Uerdingen zurückgekehrt war. Über Belgien war er nach Frankreich geflohen, wo er mit der Resistance gegen die deutsche Besatzung gekämpft hatte. Trotz der üblen Behandlung, die Daniels in Uerdingen widerfahren war, habe der Rückkehrer keinerlei Ressentiments gezeigt, erzählte Kleinen. Der Hauskauf sei verlässlich abgelaufen.

Hans Rabanus wird beim Anblick des Stolpersteins, auf dem der Name seines Schulfreundes Werner Daniels eingraviert ist, von seinen Gefühlen übermannt. "Wir wurden zusammen 1926 eingeschult. Freunde wurden wir über unser gemeinsames Hobby, das Sammeln von Briefmarken", erinnert sich der rüstige 96-Jährige, den sein Schulfreund Werner immer wieder zum Mittagessen bei seiner Familie einlud, um danach ungestört Briefmarken tauschen zu können.

Uerdingens Bezirksvorsteher Jürgen Hengst legt eine langstielige Rose bei den Steinen nieder. Oberbürgermeister Frank Meyer betont den Wert der Erinnerung an die Geschehnisse während der Naziherrschaft: "Es ist gut, dass es jetzt auch in Uerdingen Stolpersteine gibt. Sie sind nach meiner Überzeugung ein sehr guter Teil des Gedenkens an die jüngere deutsche Geschichte und für die kommenden Jahre unverzichtbar, wenn wir nicht mehr auf Zeitzeugen zurückgreifen können. Besonders wichtig wird diese Erinnerung, wenn wir an den Umgang mit Menschen in der aktuellen politischen Diskussion denken."

Im Einsatz der Krefelder Politik sieht Sibylle Kühne-Franken, die Koordinatorin des Stolpersteine-Projekts in Krefeld, die Bestätigung, dass diese Form der Erinnerungskultur bei den Menschen angekommen ist. Annähernd 100 Stolpersteine sind mittlerweile in Krefeld verlegt. Dazu gehören auch die fünf Stolpersteine im Eingangsbereich des Zugangs zum Haus Schönhausen, die an die 1942 in Treblinka ermordeten Krefelder Max und Ilse Gompertz und an ihre Kinder Henriette (in Auschwitz ermordet), Klara (Selbsttötung, als sie den Deportationsbefehl erhielt), Esther und Ruth (geflohen nach Melbourne) sowie Rudi (nach Schanghai geflohen) erinnern. Hausherr Gerald Wagener hat vier Stolpersteine gestiftet. Den großen Besprechungssaal der Villa hat er nach Max und Ilse Gompertz benannt.

Den fünften Stein steuerte die Ricarda-Huch-Schule bei. Geschichtslehrerin Ruth Müller leitet einen Zusatzkurs Geschichte. Ein Teil der 18 Schüler erforschte das Schicksal jüdischer Schülerinnen der früheren Mädchenschule. Dabei half ihnen Karin Schimmelpfennig. Die pensionierte Lehrerin hatte eigene Forschungen zur Geschichte der Familie Gompertz betrieben, verärgert darüber, dass frühere Erklärungstafeln, die die Stadt Krefeld am Haus Schönhausen angebracht hatte, keine Hinweise auf die Vor-Besitzer enthielten, die das Haus 1918 gekauft hatten. Marte Puvogel hat dabei vor allem die persönliche Ebene interessiert, verbunden mit der Frage, warum die jüdischen Mädchen ohne Abschluss ihre Schule verließen. Lilian Buss ergänzt: "Die Mädchen haben zum Teil in Straßen gewohnt, die wir kennen und die ganz nahe bei unserer Wohnadresse liegen. Das schafft ein starkes Mitgefühl." Die Schüler haben Blumen mitgebracht, mit denen sie vor dem Eingang ein großes "G" für Gompertz pflanzen.

Krefeld hat sich inzwischen mit der Aktion des Kölner Bildhauers Demnig versöhnt, der mittlerweile mehr als 50.000 Stolpersteine deutschlandweit verlegt hat. Zu Beginn der Aktion vor 20 Jahren hatten Rat und Verwaltung die Verlegung abgelehnt. Sie werden heute aber nur dann, wenn Hausbesitzer oder direkte Nachkommen der Opfer keine Einwände geltend machen.

(oes)
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