Krefeld Überbleibsel von alter Synagoge entdeckt?

Krefeld · In einem Garten in Fischeln steht eine kleine Säule, die der letzte Überrest der 1938 von den Nazis niedergebrannten Synagoge an der Petersstraße sein soll. Die jüdische Gemeinde möchte das Stück bergen, untersuchen und bewahren.

 Die mutmaßliche Turmspitze, eingelassen in einen Betonsockel, mit Michael Gilad, dem Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde.

Die mutmaßliche Turmspitze, eingelassen in einen Betonsockel, mit Michael Gilad, dem Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde.

Foto: Lammertz

Wenn die Geschichte sich bestätigt, ist das wohl letzte Überbleibsel der jüdischen Synagoge aufgetaucht, die im Novemberpogrom von 1938 wie so viele Synagogen in Deutschland niedergebrannt und zerstört worden war. Das Stück steht in einem Garten in Fischeln; die jüdische Gemeinde ist vor kurzem über das Objekt und seine Geschichte informiert worden. Michael Gilad, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, ist dankbar für den Hinweis. "Ich möchte das Stück bergen und untersuchen lassen", sagt er.

Bei dem Stück könnte es sich um eine Zierspitze für das aufwendig gearbeitete Dach der wunderbaren Synagoge handeln, die das Stadtbild von Krefeld lange geprägt hat. Die Identifizierung ist nicht ganz einfach - alte Fotos der Synagoge sind nicht scharf und detailreich genug. Heute steht das Türmchen in dem Garten fest verankert in einem stufenförmigen, recht massiven Betonfuß. "Ich will versuchen, die Spitze mit einer Fachfirma aus dem Betonfuß zu lösen", sagt Gilad - er hat Sorge, dass das schon Risse aufweisende Stück zerbricht.

 Detailaufnahmen der Spitze: Zu sehen sind Farbreste und Verzierungen; die Spitze ist beschädigt und gewährt einen Blick ins Innere; die Spitze ist offenbar mit einem Eisenanker stabilisiert und aus Beton gegossen.

Detailaufnahmen der Spitze: Zu sehen sind Farbreste und Verzierungen; die Spitze ist beschädigt und gewährt einen Blick ins Innere; die Spitze ist offenbar mit einem Eisenanker stabilisiert und aus Beton gegossen.

Foto: Lammertz Thomas

Die Geschichte, die zu diesem Objekt an die jüdische Gemeinde übermittelt wurde, spiegelt das Novemberpogrom zum 9. November 1938 in all seiner Hässlichkeit wider. Der Befehl zum Losschlagen auch in Krefeld erreichte den berüchtigten Kreisleiter der NSDAP, Erich Diestelkamp, am späten Abend des 8. November. Diestelkamp organisierte dann den Trupp, der die Synagoge an der Marktstraße angriff. Die Gruppe sammelte im Innern Möbel, Papiere, Archivmaterial, Thorarollen - alles, was brennbar war - und steckte es an. Die hoch aufschlagenden Flammen erfassten das Dach, bis es zusammenstürzte. Am nächsten Morgen standen nur noch die Außenmauern der Synagoge. Gebrannt hat es noch Tage, weil immer wieder Brandnester aufflammten.

 1763 ist erstmals ein jüdischer Betraum für Krefeld belegt. 1764 und 1853 wurden Neubauten eingeweiht - das Foto oben zeigt die 1853 erbaute Synagoge Ecke Marktstraße / Petersstraße in dem Zustand, in dem das Gebäude 1903 war. Erkennbar sind viele Zierspitzen - eine von ihnen könnte jetzt entdeckt worden sein. 1928 lebten in Krefeld 1544 Juden, in Linn 19, in Bockum 65, in Fischeln zwölf, in Uerdingen 177 und in Hüls 60. Die Krefelder Synagoge war Postkartenmotiv, über dem Eingang stand in Hebräisch und Deutsch zu lesen: "Herr, ich liebe Deines Hauses Stätte und den Ort, wo Deine Herrlichkeit thront."

1763 ist erstmals ein jüdischer Betraum für Krefeld belegt. 1764 und 1853 wurden Neubauten eingeweiht - das Foto oben zeigt die 1853 erbaute Synagoge Ecke Marktstraße / Petersstraße in dem Zustand, in dem das Gebäude 1903 war. Erkennbar sind viele Zierspitzen - eine von ihnen könnte jetzt entdeckt worden sein. 1928 lebten in Krefeld 1544 Juden, in Linn 19, in Bockum 65, in Fischeln zwölf, in Uerdingen 177 und in Hüls 60. Die Krefelder Synagoge war Postkartenmotiv, über dem Eingang stand in Hebräisch und Deutsch zu lesen: "Herr, ich liebe Deines Hauses Stätte und den Ort, wo Deine Herrlichkeit thront."

Foto: Stadtarchiv

Erst 1939 wurden die Reste der Synagoge abgerissen, der Schutt abgeräumt und der Platz auf Befehl Himmlers zu einem Parkplatz eingeebnet. In dieser Phase soll es zur Rettung jener Spitze gekommen sein, die jetzt der jüdischen Gemeinde angetragen wurde. Demnach sollen jüdische Gemeindevertreter einen Schneider, der viel für Gemeindemitglieder gearbeitet hat, gebeten haben, ein Erinnerungsstück aus den Schuttmassen zu bergen und aufzubewahren. Der Mann hat es offenbar getan und sein kleines Erinnerungsmal angelegt.

Ingrid Schupetta, Leiterin der NS-Dokumentationsstelle Villa Merländer, kennt diese Geschichte nicht, hält sie aber für möglich. Nach dem Pogrom, so berichtet sie, kam es zu einer Verhaftungswelle in der Gemeinde: 50 Männer wurden im KZ Dachau inhaftiert, später wieder freigelassen.

Bis zu dem Pogrom haben wohl viele Krefelder Juden noch gedacht, dass "so etwas" wie Bedrückung, Misshandlung oder gar Mord doch nicht in Krefeld stattfinden könnte - "nach den Tagen im November und den Verhaftungen war auch dem Letzten klar, dass es ums Überleben ging", resümiert Schupetta. Wer nicht floh, wurde deportiert, viele im KZ umgebracht. Für Schupetta ist es denkbar, dass in dieser Stimmung des Schreckens und der Erkenntnis sich jüdische Gemeindemitglieder an einen Vertrauten gewendet und um Aufbewahrung eines Erinnerungsstücks gebeten haben. Wer fliehen wollte, konnte keine Steine mitnehmen - und das regelrecht apokalyptische Bewusstsein, dass hier endgültig die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Deutschland zu Ende gegangen war, dürfte viele gepackt haben.

Bewiesen ist die Geschichte nicht. Untersuchungen sollen zeigen, ob es sich um einen Überrest der schönen Krefelder Synagoge handelt. Was wäre diese Innenstadt, wenn sie noch stehen würde.

(RP)
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