Kyle Berger Die Frauen-WM hat für keinen Boom gesorgt

Krefeld · Borussias Koordinator Frauen- und Mädchenfußball spricht über zum Teil bittere Realitäten im Frauensport und seine Arbeit.

Kyle Berger: Die Frauen-WM hat für keinen Boom gesorgt
Foto: Ilgner, Detlef (ilg)

Der Frauenfußball steht aktuell durch die Weltmeisterschaft in Kanada wieder verstärkt im Fokus. Das galt vor wenigen Wochen auch für Borussias Frauen, als sie den Wiederaufstieg in die Zweite Bundesliga schafften. Was bedeutet dieser Erfolg für den Klub?

Berger Es ist eine tolle Auszeichnung für die Arbeit unserer Abteilung. Aber im gesamten Verein wird momentan sehr gut gearbeitet, und davon profitieren auch wir. Die Bundesligamannschaft ist das große Schiff, und wir werden im kleinen Boot hinterhergezogen.

Frustriert es nicht, wenn man immer nur das kleine Boot hinter dem Schiff der Profis ist?

Berger Es könnte frustrierend sein, wenn man nicht realistisch ist. Wir sind leistungsorientiert, aber wir haben unsere Rahmenbedingungen im Auge. Wir haben Schülerinnen, Studentinnen und Spielerinnen, die arbeiten. Und dann trainieren wir viermal in der Woche. Da müssen wir in einzelnen Fällen auch Ausnahmen machen und Spielerinnen nur dreimal trainieren lassen. Dafür ist es aber ein riesiger Vorteil, dass wir bei Borussia eine solche Infrastruktur haben. Denn wir dürfen nie vergessen: Frauenfußball ist ein Sport, mit dem man in Deutschland nicht viel Geld verdienen kann. Das geht nur bei Spitzenmannschaften wie beispielsweise in den USA. Doch selbst da spielen die Vereine zwar in großen Stadien, die werden aber nicht voll.

Sind die USA nicht ein Frauenfußball-Land?

Berger Nein, das ist ein weit verbreitetes, aber falsches Bild. Frauenfußball ist anders akzeptiert, das gilt aber für den Frauensport allgemein. Und neben dem Fußball gibt es noch Basketball, Volleyball, Softball oder Leichtathletik. Sicher ist Fußball sowohl bei den Frauen als auch bei den Mädchen die Sportart Nummer eins - so gibt es in den USA beispielsweise neben den Bambini-Jungen auch Bambini-Mädchen. Das gibt es in Deutschland nicht, weil es an Quantität fehlt.

Die Förderprojekte des Deutschen Fußballbundes sind also wichtig, um mehr Qualität und Breite in den Frauen- und Mädchenfußball zu bekommen?

Berger Richtig. Allerdings legen sowohl der DFB als auch wir sehr viel Wert darauf, dass die Mädchen so lange wie möglich bei den Jungs mitspielen und trainieren. Ab der U13 bilden wir die Mädchen mit unserem guten Trainerteam und unserer Infrastruktur dann selbst aus, weil wir dort über die nötige Qualität verfügen. Was das angeht, ist man als Profiklub sicher auch etwas im Vorteil gegenüber den kleineren Vereinen. Es ist deshalb auch keine Überraschung, dass mittlerweile sieben Teams in der Frauen-Bundesliga aus Profiklubs kommen.

Wo trägt Borussia künftig die Zweitliga-Heimspiele aus?

Berger Wir werden wie vor vier Jahren im Grenzlandstadion spielen. Obwohl es kein reines Fußballstadion ist, haben wir dort super Bedingungen. Der Fohlenplatz im Borussia-Park ist unser Ausweichplatz.

Die Frauen sind als einzige Abteilung ausgelagert. Ist das schade?

Berger Das hat Vor- und Nachteile. Sicherlich ist man nicht direkt im Borussia-Park, dafür können wir Am Haus Lütz sehr konzentriert arbeiten und haben kurze Wege. Wir haben praktisch unser eigenes Nachwuchsleistungszentrum, was im Frauenfußball sicher etwas außergewöhnliches ist. Zudem ist es ein super Gelände mit einem schönen Naturrasenplatz und einem super Kunstrasenplatz.

Trägt die Komplett-Übertragung der Frauen-WM dazu bei, dass der Sport eine noch größere Akzeptanz erhält?

Berger Möglicherweise. Aber es ist nicht einfach, diese Begeisterung aufrechtzuerhalten. Es hat zum Beispiel auch keinen großartigen Boom nach der Frauen-WM 2011 in Deutschland gegeben. Das gab es schon eher nach der Männer-WM 2006. Damals habe ich beim SV Straelen die Herren trainiert und gleichzeitig im Mädchen-Bereich gearbeitet. Prompt kamen 35 Mädchen neu in den Klub.

Beobachten Sie bei der WM auch Spielerinnen, die für Borussia interessant sein könnten?

Berger Nein, weil wir uns in unseren Rahmenbedingungen bewegen müssen. Dazu gehört, dass wir von der eigenen Nachwuchsabteilung profitieren möchten. Über 60 Prozent unserer Frauen kommen aus dem eigenen Nachwuchs. Wir haben einerseits Glück, dass wir in einer Region mit vielen Menschen beheimatet sind, doch andererseits gibt auch große Konkurrenz durch sechs, sieben Vereine, die ebenfalls auf Top-Niveau arbeiten.

Wie findet Borussia ihre Talente in der Region? Ist das Scouting wie bei den Jungen systematisiert?

Berger Im Prinzip schon. In erster Linie sind alle Trainer selbst Scouts, die sich Spielerinnen merken, die ihnen bei anderen Mannschaften auffallen. Dazu haben wir das Glück, dass wir durch einen Kontakt unseres Trainers René Krienen einen Scout nur für die Frauen- und Mädchenabteilung in Holland haben. Das ist für uns eine tolle Möglichkeit, denn die niederländischen Talente bleiben eher im grenznahen Raum als dass sie immer bis ins Ruhrgebiet fahren.

Welche mittel- und langfristigen Ziele verfolgen Sie nun nach dem Aufstieg in die zweite Bundesliga?

Berger Wir wollen uns erst einmal in der zweiten Liga festigen und nicht dieselben Fehler machen wie vor vier Jahren. Damals waren wir zur Winterpause Fünfter und haben uns praktisch schon mit der Ersten Liga beschäftigt. Aber dann haben wir plötzlich keine Ergebnisse mehr geliefert. Mittelfristig geht es jetzt um die Etablierung in der zweiten Liga, langfristig wollen wir in die erste Liga - in dem Rahmen, der uns zur Verfügung steht. Wir entwickeln uns mit Geduld, Schritt für Schritt. Das ist die Philosophie des gesamten Klubs, und das ist auch unser Weg.

Gibt es denn in ihrer Abteilung eine starke Fluktuation?

Berger Nein, wir sind da sehr konstant. Als ich im Oktober 2008 in die Abteilung kam, hatten wir einen großen Umbruch. Als ich anfing, war jede Mannschaft für sich. Ein schönes Beispiel: Ich bin bei meinem allerersten Besuch am Haus Lütz in die Cafeteria gegangen und habe in den Kühlschrank geschaut. Da standen sechs volle Flaschen Milch, für jedes Team eine. Da wusste ich sofort, was in der Abteilung los ist, ohne mit irgendjemandem gesprochen zu haben. Dann habe ich die Milch ausgekippt, nur eine Flasche reingestellt und später in der Trainersitzung gesagt: Wenn die Flasche leer ist, gibt es eine neue. Das gleiche gab es beim Material. Jeder hatte sein eigenes abgeschlossenes Fach, die Leibchen waren markiert. Jetzt ist alles offen, jedes Team kann die Bälle oder Leibchen der ersten Frauen benutzen. Dazu gehörte dann auch, dass wir optisch einheitlich im Verein auftreten. Man braucht aber ein paar Jahre, um diese Strukturen zu verändern.

Wie ist der Stand des Frauenfußballs in Mönchengladbach? Und wie kann er sich in der Breite verbessern?

Berger Du brauchst Qualität in der Ausbildung. Die meisten guten Trainer zieht es aber in die Vereine, bei denen sie etwas Geld verdienen. Das ist die Realität. Wir haben in unserer Abteilung hingegen A-Lizenz-Inhaber, die sich um die U 13 kümmern. Das haben längst nicht alle Bundesligisten.

Kann denn Borussia das federführend für die anderen Vereine übernehmen?

Berger Das ist vorstellbar, aber auch unsere Trainer sind zeitlich limitiert. Wir versuchen, das Bestmögliche aus meinem Trainerteam herauszuholen, ohne es zu verbrennen. Ich bin der einzige hauptberufliche Trainer in Borussias Frauen- und Mädchenabteilung.

Sie sind demnach sowohl Trainer aller Mannschaften als auch Mädchen für alles?

Berger Ich finde es wichtig, gut zu delegieren und die anderen einzubeziehen. Ich muss nicht in der vordersten Reihe stehen. Und es ist einfach top, was unsere Trainer und wichtige Stützen unserer Abteilung wie Vera Densing oder Monika Flemming leisten. Doch ich kann auch selbst den Laubbläser aus der Garage holen und die Blätter vor dem Training wegfegen. Ich versuche, mit gutem Beispiel voranzugehen. Das würde ich aber auch so machen, wenn ich im Männer-Bereich tätig wäre.

INTERVIEW: THOMAS GRULKE, KARSTEN KELLERMANN UND LAURA SCHAMEITAT

(RP)
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