Julia Neigel Songs von Samt und Seide

Krefeld · Mit "Schatten an der Wand" hatte sie 1988 ihren Durchbruch. Den Song singt sie noch immer, aber heute klingt er anders - weil die Zeit anders ist und die Künstlerin sich entwickelt hat: Julia Neigel tritt morgen Abend in der Kulturfabrik auf.

 Julia Neigel möchte in Krefeld vor allem die Museen besuchen.

Julia Neigel möchte in Krefeld vor allem die Museen besuchen.

Foto: VA

Sogar die Telefonstimme hat jene bronzefarbenen Zwischentöne, die ihren Gesang unverwechselbar machen. Julia Neigel ist auf Tour. Gerade war sie in Dresden und hatte Zeit für ein bisschen privates Kulturprogramm. Am 12. Oktober tritt sie in der Kulturfabrik auf - und wünscht sich auch ein wenig freie Zeit, um sich hier die Museen anzusehen, sagt sie.

Frau Neigel, Ihr Programm trägt den Titel "Samt und Seide" - das ist für Krefeld ja maßgeschneidert. Wussten Sie, dass Krefeld wegen seiner langen Textiltradition mit dem Slogan "Stadt wie Samt und Seide" wirbt?

Julia Neigel Das ist ja perfekt. Ich habe das nicht gewusst, aber das gefällt mir.

Welche Bedeutung haben Samt und Seide für Sie?

Neigel Neben dem Brokat sind diese Stoffe der Inbegriff für Luxus und Qualität, sie stehen aber auch für Sinnlichkeit. Ich liebe diese Stoffe. Ich hatte eine Zeit, da verwendete ich Samt- und Seidenbezüge bei alten Möbeln. Ich bin sehr viel in Museen unterwegs, wollte einst Kunst studieren. Die Begeisterung für künstlerische Ästhetik und handwerkliche Qualität im künstlerischen Bereich ist mir geblieben. Samt und Seide sind für mich mit einer großen Sinnlichkeit und Weichheit verbunden. Viele Lieder, nicht nur Liebeslieder, passen zu diesem Lebensgefühl der Zärtlichkeit und des Wohlgefühls. Sie repräsentieren ein Sich-Geborgen-Fühlen, Gepflegtheit. Obwohl unplugged, sind viele Lieder des Programms recht kraftvoll, wenn auch sanft, auf jeden Fall nicht leise.

Als Soulsängerin haben Sie sich einen Namen gemacht, aber auf dem Weg dahin haben Sie kaum ein musikalisches Terrain ausgelassen. Der klassische Beginn war mit der Blockflöte und "Jugend musiziert"-Preisen, dann haben Sie mit zwölf den Punk entdeckt...

Neigel Damit hat es begonnen, aber es war nur ein Intermezzo von einem Vierteljahr, eine Jugendphase. Ich habe schnell gemerkt: Das bringt mich nicht weiter. Über den Blues bin ich zum Soul gekommen, der vokalistisch die größte Herausforderung bietet. Mir war immer klar, dass ich singen und Lieder schreiben will.

Für Ihre Stimme, aber auch für Ihre Texte sind Sie vielfach ausgezeichnet worden. Wie entstehen Ihre Songs - mit Stift und Papier oder am Computer, in einem Fluss oder als Text-Puzzle aus einem Ideen-Kästchen?

Neigel Auf Papier. Ich mag das und schreibe auch oft Briefe an Freunde immer noch mit der Hand. Eine zeitlang habe ich den Computer genutzt, weil das bequem ist. Aber es hat mir gezeigt, dass die Erinnerungen ausbleiben, die beim Schreiben mitklingen. Meine Lieder entstehen aus dem Nichts, beim Schreiben gerate ich in eine Art Trance, entwickele einen Flow für Textzeilen und ganze Texte. Von "Schatten an der Wand" habe ich noch das Original-Blatt: Es ist eine Seite - nicht mehr, und nur ein paar Mal ist etwas durchgestrichen. Das ist für mich der Idealzustand.

Und den erreichen Sie immer?

Neigel Ich mache schon viel, um mich in diesen Zustand zu bringen: Ich gehe spazieren, in den Wald, in Museen. Ich liebe Schön- und Freigeistigkeit und lasse mich von vielem anregen. Deshalb habe ich immer ein Büchlein dabei, um die eine oder andere Textzeile zu notieren. Auf langen Autofahrten lässt sich die Zeit kreativ nutzen. Ich genieße diesen Prozess. Dann entstehen Bilder in meinem Kopf. Komponieren und Texten ist für mich sehr stark mit optischen Visionen verbunden. Alles, was ich erlebe, jede Reise - auch im übertragenen Sinne - kann das auslösen. Sogar Töne haben bei mir Bilder. Manchmal, wenn der kreative "Kanal" offen ist, entstehen so drei Songs an einem Tag. Manche Kollegen schreiben nach festgelegtem Zeitplan. Das liegt mir nicht. Aber ich kann mich bewusst in die Stimmung fürs Schreiben bringen, und dann bin ich extrem produktiv.

Zu Zeiten von "Schatten an der Wand" nannten Sie sich noch Jule Neigel, ist das zusätzliche "i" eine Abgrenzung von jener Zeit, Ausdruck eines Reifeprozesses?

Neigel Julia ist mein richtiger Name, der so auch in meinem Pass steht. Mir ist es immer wichtig gewesen, authentisch zu sein. Da war das nur das letzte Puzzlestück, mehr eine persönliche als eine künstlerische Entscheidung.

Wie Ihre Entscheidung für deutsche Texte?

Neigel Ja, ich bin in Russland geboren, als Kind kam ich nach Deutschland und fand die Sprache wunderschön. Ich habe Goethe und Böll gelesen und mich gewundert, dass viele deren Sprache nicht liebten. Für mich hat sie eine Ästhetik, die ich weder im Englischen noch im Französischen finde. Wenn mich jemand darauf angesprochen hat, warum ich Texte auf Deutsch schreibe, habe ich die Frage gar nicht verstanden. In welcher Sprache hätte ich es sonst tun können?

Und die "Schatten" singen Sie auch heute noch?

Neigel Natürlich, ich stehe zu jedem meiner Songs. Es klingt heute allerdings anders, unplugged und moderner. Und die Leute lieben es - schönerweise - auch noch immer.

Konzert: Donnerstag, 12. Oktober, 20 Uhr, Kulturfabrik, Diessemer Straße 13. Karten an der Abendkasse: 31 Euro.

(RP)
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