Neue Serie Ausbildung Bei Currenta (1) "Mitgefühl ist so wichtig wie Fachwissen"

Krefeld · Currenta-Ausbildungsleiter Arnd Becker spricht über gefragte Fähigkeiten, über Bewerberchancen, über Vorurteile wie "Hauptschüler haben bei uns keine Chance" und über das Wissen von Ausbildern, dass junge Menschen noch reifen.

 "Es wäre fatal, junge Leute in einer Krise fallenzulassen": Arnd Becker neben einem geschmiedeten Dinosaurier, den Auszubildende gefertigt und ihm geschenkt haben.

"Es wäre fatal, junge Leute in einer Krise fallenzulassen": Arnd Becker neben einem geschmiedeten Dinosaurier, den Auszubildende gefertigt und ihm geschenkt haben.

Foto: Lothar Strücken

Die chemische Industrie stellt einen großen, zukunftssicheren Ausbildungsmarkt in Krefeld - wir nehmen das zum Anlass, Ausbildungsberufe im Chempark vorzustellen. Jeder Teil ist zugleich ein Ausflug in die faszinierende Welt der chemischen Industrie. Auftakt unserer Serie bildet ein Gespräch mit Currenta-Ausbildungsleiter Arnd Becker.

Die Bewerberzahlen beim Chempark sind gut, dennoch werben Sie für eine Ausbildung in der chemischen Industrie. Warum?

Becker Ja, es stimmt. Wir hatten 2014 an allen Chempark-Standorten 16000 Bewerbungen davon allein in Uerdingen 3000. Am Ende hatten wir in Uerdingen 180 Stellen zu vergeben. Dennoch ist es unser Bestreben, in jedem Jahrgang möglichst viele Jugendliche für uns zu interessieren, um wirklich die zu bekommen, die am geeignetsten sind. Um im globalen Wettbewerb zu bestehen, muss die Industrie sehr innovativ und leistungsstark sein. Um das aufrechtzuerhalten, brauchen wir eben auch geeignete junge Leute.

Sind bei dieser Bewerberlage nicht die, die eine Stelle bekommen, die reinen Wundertiere?

Becker (lacht) Nein, es sind normale junge Leute mit einem Faible und einer Begabung für Naturwissenschaft und Technik. Uns ist vollkommen klar, dass sie alle Begleitung brauchen. Wer mit 16 eine Ausbildung beginnt, der muss mit 15 so etwas wie eine Lebensentscheidung treffen. Das ist nicht einfach, das ist früh, die jungen Leute sind in der Pubertät mit all ihren Höhen und Tiefen. In der Ausbildung geht es auch um so etwas wie Begleitung zur Reife.

Haben Sie ein Beispiel?

Becker Wir hatten einmal einen Auszubildenden, bei dem es plötzlich zu Leistungsabfall kam; er war auf einmal so anders. Es stellte sich heraus, dass er sich mit seinen Eltern überworfen und die Wohnung verlassen hat. Wir haben ihm eine vorübergehende Bleibe besorgt und vermittelt.

Also keine Wunderjugendlichen.

Becker Nein. Es sind normale Jugendliche. Wenn es Probleme gibt, dann geht es in den meisten Fällen nicht um Fachkompetenz, sondern um entwicklungsbedingte Turbulenzen, psychische Probleme, damit verbunden Konzentrationsschwierigkeiten oder soziale Konflikte. Unsere Ausbilder wissen das und stellen sich darauf ein. Mitgefühl ist dabei so wichtig wie Fachwissen. Es wäre fatal, junge Leute in einer Krise fallenzulassen. Wir versuchen, ihnen durch ein Tief hindurchzuhelfen.

Welche Fähigkeiten muss man denn mitbringen?

Becker Wir brauchen ein breites Spektrum von Fähigkeiten. Gerade Hauptschüler glauben oft, sie hätten bei uns eh keine Chance; das stimmt aber nicht. Wir brauchen Leute, die handwerklich begabt sind, wir brauchen Leute, die technisches Grundverständnis bei guten kognitiven Fähigkeiten mitbringen. Wir brauchen Hauptschüler, Realschüler und Gymnasiasten. Ein Chemikant wird später einmal verantwortlich eine Produktionsanlage fahren. Industriemechaniker müssen komplexe Maschinen analysieren und reparieren können, ein Automatisierungstechniker muss auch die Programme verstehen, die eine Anlage steuern. Das sind auch ohne Studium anspruchsvolle Aufgaben.

Kann jemand, der sowas kann, nicht auch gleich studieren?

Becker Das Studium ist kein Königsweg in eine erfolgreiche berufliche Laufbahn. Die Wege, die bei uns jemand gehen kann, der mit einer Ausbildung anfängt, sind überaus vielfältig. Es gibt zahlreiche Weiterbildungs- und Weiterentwicklungsmöglichkeiten. Man kann aufbauende Berufsqualifikationen absolvieren, man kann seinen Meister machen, man kann auch ein Studium hinterherschieben, wenn es passt. Das Wort vom lebenslangen Lernen ist bei uns keine Floskel.

Also würden Sie von einem Studium abraten?

Becker Das muss natürlich jeder für sich entscheiden. Aber unseren Erfahrungen nach gehen heute viele Jugendliche, die früher eher eine Lehre gemacht hätten, an die Uni, obwohl das für sie nicht der optimale Start ist. Das zeigen auch die hohen Abbrecherquoten an den Unis. Für viele wäre es besser, erst praktisch zu beginnen und sich dann nach Neigung und Begabung passgenau weiterzuentwickeln.

Wie stehen Sie zu Studienabbrechern?

Becker Wenn sie bei uns eine Chance suchen, sind sie willkommen. Es gibt da keine Vorbehalte, im Gegenteil, eben weil wir wissen, dass eigentlich zu viele zu früh an die Uni gehen.

Wieso zu früh?

Becker Weil es möglich ist, dass jemand, der gleich nach der Schule an die Uni geht, scheitert, aber ein Studium erfolgreich absolvieren kann, wenn er über eine Ausbildung Fuß gefasst hat und gereift ist. Manche brauchen Selbsterfahrung und Reifung, bis sich für sie herausstellt, ob für sie ein Hochschulstudium sinnvoll ist.

Muss ich als junger Mensch nicht fürchten, dass die Jobs irgendwann ins billigere Ausland verlagert werden? In Länder, in denen die Löhne dramatisch viel niedriger liegen.

Becker Nein, im Gegenteil: Es gibt Produktlinien, die wieder aus dem Ausland nach Deutschland geholt werden, weil der Leistungsstandard in anderen Weltgegenden nicht so hoch ist wie bei uns. Das ist das Geheimnis des deutschen Erfolgs: Wir bilden junge Leute in einer Qualität aus, die Spitzenleistungen in der Produktion garantieren. Das kann nicht jeder, da ist unser duales Ausbildungssystem Gold wert.

(RP)
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