Krefeld Minderjährige Flüchtlinge finden ein Zuhause

Krefeld · Der Sozialdienst katholischer Frauen bietet ein neues Hilfsangebot für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in der Pfarre St. Anna.

 SkF-Geschäftsführerin Tanja Himer berichtet über gute Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit anderen Trägern.

SkF-Geschäftsführerin Tanja Himer berichtet über gute Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit anderen Trägern.

Foto: TL

Der Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) hat sein Spektrum der Hilfen um ein neues Angebot erweitert. Im "Refugium" an der Anna-Kirche bietet der christliche Frauenverband seit Dezember neun unbegleiteten minderjährigen Ausländern (UMA) Unterbringung und eine umfangreiche sozialpädagogische Betreuung. Auf ihrem Weg in ein selbstständiges Leben ist die kleine stationäre Heimeinrichtung für die auf der Flucht zum Teil traumatisierten 14- bis 18-jährigen Jungen ein Glücksfall.

Doch nicht nur sie sammeln zur Zeit gute Erfahrungen. Auch zwischen den Helferorganisationen herrscht statt Konkurrenz plötzlich ein Klima der gegenseitigen Unterstützung. Auslöser war Mitte 2015 der Notruf der Stadt an alle Jugendhilfeträger und die Bitte um Unterstützung; zu einem Zeitpunkt, als die Ankunft der Flüchtlinge laut SkF Geschäftsführerin Tanja Himer "noch holterdipolter" verlief. "Plötzlich mussten alle sehr flexibel sein. Statt der Konkurrenz der Träger, wie sie in normalen Zeiten vorkommt, gab es stattdessen enge Kooperation". Eine gute Zusammenarbeit unter schlechten Rahmenbedingungen habe alle zusammenwachsen lassen.

Doch neben der Notwendigkeit von Flexibilität gab die besondere Situation des unerwarteten Flüchtlingszustroms auch Anstoß zu Neuem. Mit der Einrichtung einer "Wohngruppe für nicht deutschstämmige Jungen und Mädchen" hat der SkF sein bewährtes Leistungsspektrum mit Hilfsangeboten an Frauen, Mädchen und Kinder um einen weiteren Schwerpunkt erweitert: "Priorität hat die emotionale Stabilisierung und Entwicklung der Jugendlichen, die schulische/berufliche Eingliederung und Begleitung hin zu einer Verselbstständigung in einer eigenen Wohnung." Was in der Konzeptbeschreibung theoretisch klingt, ist seit fünf Monaten im "Refugium" gelebte Praxis und sichtbares Resultat schneller Hilfe.

Als "sehr dynamischen Prozess" beschreibt die Geschäftsführerin die Planungszeit, die anders und kürzer als regulär gewesen sei. Ein Vorteil, der sich bei der Suche nach guten Mitarbeitern auf dem inzwischen leer gefegten Fachkräftemarkt bemerkbar gemacht habe. Gesucht waren Sozialpädagogen mit besonderer Kompetenz sowohl in der Familien- und Entwicklungspsychologie aber auch der Sexual- und Erlebnispädagogik. Auf die sonst üblichen Hospitationen habe man auf Grund der Kürze der Zeit verzichten müssen, was bei der Stellenbesetzung zum Risiko hätte werden können. Umso glücklicher schätzt sich Einrichtungsleiterin Martina Jagnow, ein Team "überdimensional motivierter Mitarbeiter" gefunden zu haben, das im Tag- und Nachtdienst für eine 24-Stunden-Betreuung sorgt.

"Eigentlich wollten wir kein neues Arbeitsfeld aufmachen," berichtet Himer. Aber durch die Notsituation der Stadt habe der Verein sich zur Schaffung dieser weiteren Hilfsmaßnahme entschlossen. Glück war das Angebot einer passenden Immobilie. "Für uns war es eine tolle Chance, dass uns der Pfarrgemeinderat sein ehemaliges Verwaltungsgebäude zur Verfügung gestellt hat." Von August bis Dezember habe man die Zeit genutzt, das in weiten Teilen sofort beziehbare Haus auch nach den Maßgaben des Brandschutzes auszustatten. Ganz fertig sei man mit der Renovierung beim Einzug am 1. Dezember noch nicht gewesen, doch mit der Küche habe die "Hauptsache" funktioniert. Als ideal bezeichnen die Frauen das Wohnumfeld. "Im Schatten der Anna-Kirche" mit Garten und abseits der Innenstadt finden die Jugendlichen hier laut Himer "die unbedingt notwendige Ruhe, etwas Nestwärme und wieder eine Tagesstruktur".

Die aus Syrien, Afghanistan und Marokko stammenden Jungen sind der Einrichtung durch das städtische Jugendamt zugewiesen worden. Bis zu diesem Zeitpunkt waren sie in Notunterkünften und Hotels untergebracht, nun verfügt jeder über ein eigenes Zimmer, und jeweils zu dritt teilen sie sich ein Bad. Zwei der Jungen, darunter ein 14-Jähriger, haben einen in Krefeld lebenden Onkel; doch eine Unterbringung in deren Familien hat sich nach kurzer Zeit als im Augenblick nicht möglich erwiesen. Schwer auf der Flucht traumatisiert, waren die Jungen insbesondere nachts unruhig und schrien. In Anbetracht weiterer Kinder im Haushalt war ihr Aufenthalt für die Familien nicht tragbar.

Doch nicht nur das Erlebte lastet auf den Jugendlichen. Martina Jagnow weiß, dass die Hoffnung ganzer Familien auf den Jungen liegt. In dem Glauben, mit dem Erhalt eines deutschen Passes die Familie nachholen zu können, werde immer der Älteste geschickt. "Die Jungen haben den Auftrag, die Familien zu retten, und stehen wahnsinnig unter Druck". Hier liegt die Hauptaufgabe der Helfer. "Die meisten der Jugendlichen haben etwas zu verarbeiten", erklärt Martina Jagnow. "In unserer Einrichtung herrscht eine gute Stimmung. Hier wird gelernt, gelacht und Musik gemacht. Aber es gibt auch Momente, in denen es kippt." Grund sei in den meisten Fällen die Sorge um die zurückgebliebene Familie. Häufig käme dann der Satz "mein Kopf ist kaputt".

Doch es gibt auch Hoffnung, wie im Falle von Youssef, dem augenblicklich alle in der Einrichtung die Daumen halten. Für August hofft er auf einen Ausbildungsplatz. Die Aussichten sind gut. Dreimal in der Woche verlässt der 17-Jährige morgens um kurz nach fünf das "Refugium", um sich mit Bus und Bahn auf den Weg nach Mönchengladbach zu machen. Dort macht er ein Praktikum im Baugewerbe. Strahlend erzählt der Junge von Rohren, Isoliermaterial und Verlegeplänen. Sein Chef ist begeistert und möchte ihn ausbilden. Und damit Youssefs "berufliche Eingliederung und Verselbstständigung" einen günstigen Verlauf nimmt, ist der Chef auch schon persönlich mit Youssef bei der Ausländerbehörde vorstellig geworden.

(RP)
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