Krefeld Künstlerinnen zeigen Wendepunkte

Krefeld · Im klassischen Drama ist der mittlere Akt oft der spannendste. Es ist der Höhepunkt - jener Wendepunkt, an dem die Krise auf dem Gipfel ist, das Schicksal der Figuren eine neue Richtung einschlägt.

 Die "Grauen Boten" von Renate Schieck stehen wie eine Armee am Eingang. Im Hintergrund Christoph Wiebe, Pfarrer der Mennonitenkirche.

Die "Grauen Boten" von Renate Schieck stehen wie eine Armee am Eingang. Im Hintergrund Christoph Wiebe, Pfarrer der Mennonitenkirche.

Foto: T. Lammertz

Der Eingang in die Mennonitenkirche bedeutet: Konfrontation. Der Besucher stoppt vor zwei gebrannten Tonplatten mit menschlichen Fußabdrücken. Dahinter formiert sich eine Armee von "Grauen Boten". So nennt Renate Schieck ihre drei Meter breite Rauminstallation: Auf 27 Eichenstäbe - aus einem 200 Jahre alten Fachwerkhaus - hat sie aus Stoff und gefärbtem Wachs Kappen gesetzt, die wie Soldatenhelme anmuten. Sie bilden eine uniforme Gruppe, die sich gegen einen Einzelnen stellt. Oder ist es andersherum, stellen sich die Füße den Grauhelmen entgegen? Und was wird passieren? Wird eine Seite ausweichen - oder kommt es zum Crash?

Die Wittenerin ist eine von neun Künstlerinnen, die eine Jury des Frauenkunstforums - ein Künstlerinnennetzwerk - für die Ausstellung "Wendepunkte" ausgewählt hat. Morgen um 19.30 Uhr wird die Ausstellung in der Mennonitenkirche, Königstraße 132, eröffnet.

 Mathilde C. Jaeger hat den Strukturwandel im Düsseldorfer Süden mit der Kamera dokumentiert.

Mathilde C. Jaeger hat den Strukturwandel im Düsseldorfer Süden mit der Kamera dokumentiert.

Foto: Lammertz Thomas

"An den Wendepunkten des Lebens wenden sich Menschen an die Kirche", sagt Pfarrer Christoph Wiebe. Nicht nur deshalb ist der Ort für die jurierte Ausstellung trefflich gewählt. Die kleine Kirche in der City ist ein lichtdurchfluteter Raum, geradezu ideal für Kunstpräsentationen. "Wendepunkt" ist die erste Ausstellung in der Mennonitenkirche, und die wiederum die erste Station; nach dem 18. Mai geht es nach Unna.

Mathilde C. Jaeger ist die einzige Krefelderin, die mitwirkt. Ihr Wendepunkt heißt "dreiundzwanzigster elfter". Gemeint ist der 23. November 2009, der in Düsseldorf-Reisholz das Ende einer Wirtschaftsära einläutete. An jenem Tag wurde der Schornstein, das Wahrzeichen der Papierfabrik Stora Enso (früher Feldmühle), gesprengt. Den Moment des kippenden, 106 Jahre alten Turms und der aufstaubenden Steine hat sie in einer Schwarz-Weiß-Fotografie festgehalten. Sie ist der Mittelpunkt eines Triptychons. Das "Davor" ist eine Aufnahme des Fabrikgeländes, das 400 Menschen Arbeit bot; das "Danach" ist 2015 fotografiert: ein frisch entstandener Gewerbepark. Die Geschichte des Geländes hat Jaeger in insgesamt 500 Fotografien und mehreren Gemälden dokumentiert. In der Verkürzung auf drei Großformat-Fotos wird die Unerbittlichkeit deutlich, mit der Veränderungen einhergehen.

Der Strukturwandel der Region ist ein häufiges Thema. Das Sterben der Zechen, die Vergangenheit des Stahlkochens sind mehrfach Thema. Doch Nostalgie hat hier wenig Platz. Oft keimt schon ein Neuanfang in den Arbeiten mit: Auf übermalten Fotografien des Hüttenwerks Heinrichshütte in Hattingen etwa hat Hanna Ludwig-Schmidbauer grüne Wiese und Löwenzahn blühen lassen. "Schichtwechsel" heißt in Anja Lorenz' Mischtechnik-Bildern die Verlagerung der Zeche Zollverein vom Förderturm zum Unesco-Welterbe und Mittelpunkt einer Kulturregion.

Es gibt Arbeiten, die viele Deutungsmöglichkeiten zulassen, durch surrealistische Malerei oder bearbeitete Fotografie. Und auch sehr persönliche Interpretationen. Gretel Schmitt-Buse, die im Zweiten Weltkrieg als Kind mit ihren Eltern geflüchtet ist, hat den eigenen alten Lederkoffer an einen nachgebauten Mini-Wachtturm mit Stacheldraht gelehnt. Ein Rucksack daneben verweist auf die aktuellen Schicksale der Flüchtlinge.

Eine sehr bewegende Arbeit ist in der Apsis zu sehen: Rund 2000 radiergummigroße Papierschiffchen bilden eine Flotte, die am Ende ihrer Strecke die Richtung ändert, sich verjüngt und sich im Nirgendwo zu verlieren scheint. Annette Kögel hat sie aus Papier gefaltet, mit rostfarbener Patina und Oxidgrün bemalt. Sie tragen den Titel "Die letzte Reise" und gehören zu einem Konvolut von etwa 4000 Stück. Mathilde Jaeger erzählt: "Sie hat sie gefertigt, als eine Freundin erkrankte, und so lange gemalt, wie die Freundin lebte."

Eröffnung Morgen, 19.30 Uhr, Mennonitenkirche, Königstraße 132. Zu sehen bis 18. Mai, samstags, 11-14 Uhr, und nach Vereinbarung: Tel. 658390.

(RP)
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