Krefeld Künstler-Zitate zu Theodor Storm

Krefeld · Der Autor des Schimmelreiters wäre in diesen Tagen 200 Jahre alt geworden. Martin Lersch hat zu zwei kurzen Storm-Novellen Illustrationen gezeichnet - und dabei stilistisch Bekannte aus vier Jahrhunderten Kunsthistorie zitiert.

 Lovis Corinths "Italienerin im gelben Stuhl" (1912) stand Pate für das Mädchen aus dem Haus am Markt.

Lovis Corinths "Italienerin im gelben Stuhl" (1912) stand Pate für das Mädchen aus dem Haus am Markt.

Foto: RP

David Hockney wird kaum an Theodor Storm gedacht haben, als er im Jahr 1988 seine Mutter porträtiert hat. Und doch passt das Gemälde "My Mother" ganz hervorragend zu den Schilderungen einer liebevollen Arztmutter, die der neben Theodor Fontane wohl wichtigste Schriftsteller des poetischen Realismus 1861 beschrieben hat. So hat es zumindest der Künstler Martin Lersch empfunden: Zum 200. Geburtstag Theodor Storms in diesen Tagen hat er Illustrationen zu zwei Erzählungen gezeichnet, die jetzt als kleiner, schmucker Band erschienen sind: "Im Nachbarhause links" und "Drüben am Markt".

Martin Lersch, 1954 in Mönchengladbach geboren und an der Krefelder Werkkunstschule ausgebildet, ist bildsicher in der Kunstgeschichte. Sein Faible ist es, den Duktus von Künstlerkollegen nachzuempfinden, ihre Bilder in eigener Sprache in neue Zusammenhänge zu bringen - und damit ganz neue Sehweisen zu eröffnen.

Hockney also lieferte Lersch das Vorbild für jene "kleine, behende Alte", die "erschrocken aus ihrem Lehnstuhl aufgesprungen" war, als ihr dämmerte, dass der Sohn dabei war, sein Lebensglück zu verpassen. In "Drüben am Markt" (geschrieben 1861 in Heiligenstadt) erzählt Storm von der unglücklichen Liebe eines Arztes, der den Weg aus kleinen Verhältnissen zum allseits beliebten Doktor schafft, aber es nicht übers Herz bringt, dem verehrten Mädel aus dem Giebelhaus am Markt seine Gefühle zu offenbaren. Als alter, einsamer Mann erinnert er sich an die Jugendjahre - Lersch hat ihn als Georges Seurats "Pecheur à la ligne" (Angler) mit Feder, Chinatusche und Buntstiften aufs Papier gebracht. "Skizzen" nennt Martin Lersch seine 24 Zeichnungen, die Vorbereitung sind für ebenso viele Illustrationen. Der Begriff passt, denn der Künstler will nicht farblich nacherzählen, was Storm geschrieben hat. Er will mit seinen intensiven Farben bewusst nicht einmal das Flair jener grauen Stadt am grauen Meer (Husum) einfangen, in der Storm sein Werk verfasste. Er bietet ein Portfolio, auf dem die Gedanken hin und her springen können - auch durch vier Jahrhunderte Kunstgeschichte. Lersch zitiert Bilder des flämischen Barockmalers Jakob Jordaens, von Vermeer und Rembrandt, mehrere von Max Beckmann, von Renoir, von Toulouse-Lautrec, von August Macke, von Fritz Huhnen und David Hockney. Und dabei lotet er die Stimmungen und Empfinden aus, mit denen Storm seine Figuren geradezu gemästet hat.

Am 14. September 1817 wurde Hans Theodor Woldsen Storm in Husum geboren, wo er die meiste Zeit seines Lebens verbrachte. Seine ersten Gedichte verfasste er mit 15. Sein bekanntestets machte Husum als "graue Stadt am grauen Meer" berühmt. Die Husumer nannten ihn "Dichter Storm", obwohl er im Brotberuf Amtsrichter war. Der kleine Mann mit den milden blauen Augen galt als still und unauffällig. So wie viele seiner literarischen Figuren. Sehnsucht ist die Lieblingsstimmung des Dichters - und auch ein bisschen die des niederrheinischen Künstlers, der seine Wahlheimat in Goch hat. "In vielen Novellen Storms ist die unerfüllte Liebesbeziehung der thematische Dreh- und Angelpunkt. Oh, Melancholie, Sehnsucht, Wunsch nach Erfüllung, Wunsch nach Zauber und Unbekanntem. Auch Bilder können Gefühlswelten scheinbar illustrieren", sagt Lersch. Und so hat er es auch in sein Vorwort geschrieben: "Alte und neue Bilder vermischen sich in unserem Geiste, so wie alte und neue Sprache unsere Hirne kreativ bevölkern kann, um Sehnsucht nach friedlich aufregendem Leben anzustacheln." Deshalb war es für Lersch auch klar, dass er sich für zwei wenig bekannte Novellen entscheidet und den "Schimmelreiter" außen vor lässt. "Den hat Storm mit 70 Jahren vollendet, kurz vor seinem Tod. Es ist die bekannteste Novelle. Aber ich fände es schade, wenn die Vielfalt seines Erzählens nicht beachtet würde", meint Lersch. Folglich behandelt er beide Novellen vollkommen gleichwertig: Wer das Bändchen mit "Drüben am Markt" auf dem Cover aufschlägt, kommt bis zur Mitte und muss dann das Büchlein wenden: Auch das Nachbarhaus ist ein möglicher Anfang.

Jede Menge Storm steckt in den ausgewählten Texten. "Im Nachbarhaus links", 1875 in Husum entstanden, ist eine geheimniswabernde Geschichte, die Storms Vorliebe für Spuk und Grusel entspricht. In jenem Haus lebt eine alte Frau, die im Städtchen niemand zu Gesicht bekommen hat. Erst der Ich-Erzähler erspäht sie eines Tages über den Gartenzaun. Eine vorsichtige und seltsame Beziehung bahnt sich an. Dass beide ein altes Familiengeheimnis verbindet, lässt Storm bald aufblitzen. Doch das Ende birgt trotzdem eine Überraschung.

Nach den Skizzen hat Martin Lersch für eine Ausstellung bei der Theodor-Storm-Gesellschaft Ölbilder auf Papier gemalt - in dem für ihn typischen Format von 66 mal 33 Zentimetern. Bei den Storm-Tagen im Sommer sind die Arbeiten in Heiligenstadt ausgestellt worden.

Martin Lerschs Bilder zu Theodor Storms Erzählungen "Im Nachbarhause links"/ "Drüben am Markt" ist erschienen im Pagina Verlag. Preis: 15 Euro.

(RP)
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