Krefeld Künstler Falsnaes, Telefonnummer **701

Krefeld · Im Kaiser-Wilhelm-Museum hat der dänische Multimedia-Künstler seine erste umfassende Solo-Ausstellung. das ist spannend - auch für Christian Falsnaes selbst. Nicht nur beim "KunstImpuls" ist er ständig ansprechbar.

 Schwarz gekleidet, fester Blick: Christian Falsnaes beim KunstImpuls im Kaiser-Wilhelm-Museum.

Schwarz gekleidet, fester Blick: Christian Falsnaes beim KunstImpuls im Kaiser-Wilhelm-Museum.

Foto: ped

Christian Falsnaes bekommt neuerdings täglich Anrufe aus Krefeld. Menschen, über die er nichts weiß, außer wie ihre Telefonstimme klingt, fragen ihn, was sie tun sollen. Was der Däne ihnen vorschlägt... nun, da greift die Schweigepflicht. "Es kommt immer auf die Situation an, das ist jedes Mal anders", sagt Falsnaes. Vier bis fünf Anrufer seien es pro Tag.

Der 37-Jährige ist weder Lebensberater noch Seelsorger, und schon gar kein Therapeut. Er hat in Kopenhagen Philosophie studiert und in Wien Malerei. Doch die Menschen folgen seinen Anweisungen. Meistens. Bei KunstImpuls, dem langen Aktions-Donnerstag im Kaiser-Wilhelm-Museum, sind viele neugierig auf den Künstler, der international aufgefallen ist und 2015 auf der Shortlist für den Preis der Nationalgalerie stand.

In der oberen Etage des Kaiser-Wilhelm-Museum, wo der Künstler unter dem Titel "Force" seine erste umfassende Solo-Ausstellung hat, hängt ein Telefon. Wer **701 wählt, erreicht Falsnaes in dessen Wahlheimat Berlin oder irgendwo sonst auf der Welt. Das ist partizipatorische Strategie. Interaktionen mit dem Publikum sind für ihn essenziell. Die Autonomie von Kunst und das Verhältnis von Künstler und Betrachter nimmt er auf den Prüfstand. Aber alle gehimnisse lüftet er nicht.

An diesem Abend muss niemand telefonieren. Der Künstler ist persönlich da. Unauffällig gekleidet, ganz in Schwarz vom Rollkragen bis zu den Turnschuhen, kann er sich in die Besuchergruppen mischen oder aus der Entfernung Reaktionen beobachten. Und doch fällt er auf: die hochgewachsene schlanke Statur und besonders die forschenden Augen, die Dinge und Gesprächspartner bis ins Innerste zu analysieren scheinen.

Diesem festen Blick traut man die Kraft zur Manipulation zu. "Das ist schon ein Thema, aber das interessiert mich nicht. Jeder Mensch hat immer die Möglichkeit, für sich selbst zu entscheiden, ob er mitmacht oder nicht und wie weit er geht", sagt er. Darum geht es ihm als Künstler, darum heißt die Ausstellung "Force", was so viel bedeutet wie Kraft und Energie, aber auch Macht und Gewalt. Falsnaes stellt in Frage und bringt die Betrachter dazu, das auch zu tun, Entscheidungen zu fällen, sich auf Neues einzulassen, Ungewohntes zu erfahren - und dafür Hemmungen zu überwinden.

In den Führungen und den Gesprächen klingt die Performance "Force" immer wieder an. Sie wird Höhepunkt des Museumsabends sein und ist eigens fürs KWM entwickelt worden. In einem weißen Raum mit Spiegelwand, der noch durch einen Vorhang verhängt ist, werden Freiwillige Anweisungen von Falsnaes bekommen. Sie werden dabei gefilmt werden und so zum Teil der Ausstellung. Darauf weist das Museum mit entsprechenden Schildern hin. "Es gibt schon einen gewissen Grad der Anonymisierung", sagt Falsnaes.

Er meint schwarze Ganzkörperkostüme, die nur ein Sehgitter offen lassen. Die Stoffhüllen hängen bereit - eine Verheißung auf ein Geheimnis, das sich nur einigen preisgeben wird. Wer sie überzieht, wird zur Marionette der Kunst, Teil eines gruppendynamischen Prozesses. Hinweise bieten zwei Ausstellungsräume. In einem werden vor laufender Videokamera rituale Handlungen der Begeisterung und des Missfallens abgefragt, Inszenierungen, die auch die Vergänglichkeit von Performance-Kunst thematisieren.

Im zweiten ist der Künstler auf mehreren Bildschrimen gleichzeit in mehreren Rolle des Massenbewegers zu erleben. In einem Hörsaal ist mal Lehrer, mal Popstar, mal Aggressor. Auf wieder einer anderen leinwand gibt Falsnaes den Alleinunterhalter in einem österreichischen Bierzelt. Die alkojholseligen Lederhosen- und Dirndl-Träger reagieren auf seine Aufforderungen mit Befremden, Ratlosigkeit oder gar nicht. Nach einem kurzen Schnitt ist Szenenwechsel: Das Publikum einer Vernissage ist aufgeschlossen, bereit, Kunst als Erlebnis zu erfahren.

Die Grenzen zwischen Performance, Video und Body Art lassen sich von Museumsraum zu Museumsraum neu definieren. Am Anfang steht immer das Überraschungsmoment: Drei 1,60 mal 1,20 meter große Rahmen mit textilen Fetzen sind erklärungsbedürftig: Es sind die Hemden, Hosen, Nylonstrümpfe, die der Künstler, seine galeristin und ein Sammlerehepaar an einem bestimmt Tag getragen haben.

Die Kleidung wurde ihnen vom Leib geschitten, die Collage auf Rahmen gespannt. "Was macht ein Bild zur Ikone?" ist eine Frage, die sich Falsnaes stellt. Damit konfrontiert er die KWM-Besucher in der ebenfalls für Krefeld konzipierten Installation "Icon". Von "ikonen der männlich dominierten Nachkriegsmoderne" hat er sich inspirieren lasse, hat Yves Kleins Monochrom Blau und Reiner Ruthenbecks Papierhaufen und weitere Werke von Lucio Fontana und Blinky Palermo aus der Sammlung der Kunstmuseen zum Ausgangpunkt für eine Performance genommen.

Das Ergebnis ist ein scheinbares Chaos, dessen Ordnung der Besucher ergründen muss. Auch diese Aktion ist als Videoaufzeichnung Teil der Ausstellung geworden.

Einige sind irritiert, andere bestätigt in ihrem Interesse, selbst Teil eines Kunstmoments am späteren Abend zu werden. Was mit den Besuchern in den schwarzen Anzügen hinter dem Vorhang geschah? Schweigepflicht. Aber am 3. Mai wird Falsnaes wieder im Kaiser-Wilhelm-Museum sein. Und bis dahin kann man ihn anrufen.

(RP)
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