Krefeld Krefelder komponiert Hör-Spaziergang

Krefeld · Martin Gerigk gehört zu den renommierten zeitgenössischen Komponisten. Bei den ARD-Hörspieltagen in Karlsruhe ist der 44-Jährige heute einer von fünf Finalisten im Kurzhörspiel-Wettbewerb "Pinball". Virtuos verbindet er Klang, Geräusch und Sprache.

Etwas prasselt auf weichen Boden. Schritte klingen, als träte jemand auf feuchtes Laub. Ein Sirren, unwirklich und fern, deutet auf einen Schwarm kleiner Insekten hin. Das Auge meint, die Bilder eines Waldspaziergangs nach einem Sommerregen zu sehen. Doch es gibt weder den Wald noch den Spaziergänger. Alles nur Täuschung. Aber keine optische, sondern eine akustische. In die Vorstellung der verträumten Szenerie platzt eine weibliche Stimme mit naturwissenschaftlichen Fakten über die Dichte von Regentropfen und den Brechungswinkel des Lichts in der Pfütze. Martin Gerigk spielt mit den Möglichkeiten der Sinne, lässt das Ohr diktieren, was das Auge wahrnehmen will. Sein Hörspiel "Structures of Nature" ist eine Collage von Klängen, akustischer Mimikry, wissenschaftlichen und poetischen Texten, die sich ergänzen, überlagern, verweben und tiefe Eindrücke hinterlassen.

Mit seinem 16-minütigen Kurzhörspiel hat Gerigk das Finale der ARD-Hörspieltage erreicht. Aus hunderten Einsendung freier Beiträge waren 99 in die engere Wahl gekommen. Über die fünf Besten entscheidet eine Jury. Der Gewinner wird heute um 21 Uhr feststehen.

Als Siebenjähriger nahm Martin Gerigk seinen ersten Geigenunterricht, mit 18 erhielt er den Förderpreis für Avantgardemusik beim Wettbewerb "Jugend komponiert". Heute werden seine Werke in namhaften Häusern uraufgeführt - in der Düsseldorfer Tonhalle, im Konzerthaus Berlin, im Leipziger Gewandhaus. Er hat ein enormes Oeuvre und zahlreiche Auszeichnungen.

Das Hörspiel ist neues Land für Gerigk. Als Komponist, der die Möglichkeiten von Tonalität und experimentellen Klangflächen auslotet, zählt er zu den Renommierten der Avantgarde in Deutschland. Die gesprochene Sprache ist ihm wichtiges Arbeitsmaterial. Intensiv hat er sich mit asiatischen und afrikanischen Sprachen beschäftigt, die sufistische Literatur des 14. Jahrhunderts studiert - besonders Werke von Yunus Emre. Und er arbeitet eng zusammen mit der türkischen Dichterin Sükran Yilmaz auf der Suche nach der Verbindung von westlicher und orientalischer Musik. Sein Cellokonzert "Dämmerungsvisionen" und das Klaviertrio "Derwischrequiem" sind die erfolgreichsten Beweise.

In "Structures of Nature" ergründet Gerigk die Struktur der Natur, spürt Mikro- und Makrosmen mit natürlichen und artifiziellen Geräuschen nach, mixt Sprachlaute und mathematische Formen, Tiergeräusche und poetische Texte, lässt die Schöpfungsgeschichte auf chemische Ordnungssysteme treffen. Bei diesem Klangspaziergang entdeckt der Hörer abenteuerliche neue Welten im vermeintlich Bekannten. Vier Sprecher begleiten das Panoptikum aus Wahrnehmungen, Empfindungen und Sehnsüchten. Und doch bleibt Raum für eigene Assoziationen und Verknüpfungen. Das ist virtuos, intelligent, verkopft, aber auch enorm sinnlich.

Sein erstes, 40-minütiges Filmprojekt, das ebenfalls den Titel "Structures of Nature" trägt, hat Gerigk vergangene Woche im "Forum Krefeld" vorgestellt - und damit das Publikum begeistert.

(RP)
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