Krefeld Krefelder Arzt rettet Flüchtlinge aus Seenot

Krefeld · Robert Bellin fuhr zwei Wochen auf der "Sea-Watch 2" mit. Der Arzt vom Alexianer- Krankenhaus unterstützte die Seenotrettung von Flüchtlingen vor der libyschen Küste.

 Mit Schiffen, die kaum ihren Namen verdienen, wagen Menschen die Flucht aus ihrer Heimat über das Meer. Die Helfer der "Sea-Watch" rettet die in Seenot geratenen Flüchtlinge aus dem Mittelmeer vor der libyschen Küste.

Mit Schiffen, die kaum ihren Namen verdienen, wagen Menschen die Flucht aus ihrer Heimat über das Meer. Die Helfer der "Sea-Watch" rettet die in Seenot geratenen Flüchtlinge aus dem Mittelmeer vor der libyschen Küste.

Foto: EHRBAHN JACOB

Wenn Robert Bellin auf die Aufnahmen in seinem Tablet schaut, dann wird sein Blick ernst. Flüchtlinge, die im Meer um ihr Leben kämpfen, leere Schwimmwesten, die im Wasser treiben, völlig überfüllte Schlauchboote, Gesichter voller Angst und Verzweiflung, Babys mit großen Augen. Dazwischen Menschen, die versuchen, Flüchtlinge mit Schnellbooten zu retten. Einer davon war er, Robert Bellin.

 Diesem kleinen Mädchen retteten die Helfer der Sea-Watch das Leben. Sie war mit ihren Eltern geflüchtet, das Boot drohte zu kentern. Jetzt ist sie in Sicherheit.

Diesem kleinen Mädchen retteten die Helfer der Sea-Watch das Leben. Sie war mit ihren Eltern geflüchtet, das Boot drohte zu kentern. Jetzt ist sie in Sicherheit.

Foto: Jacob Ehrbahn

Für zwei Wochen war der Assistenzarzt der Abteilung Innere Medizin des Alexianer-Krankenhauses auf Seenotrettungsmission im Mittelmeer vor der libyschen Küste. "Seit zwei Jahren verfolge ich die Flüchtlingsproblematik. Man macht sich Gedanken. Menschen ertrinken, und ich habe einen Beruf, der dazu gebraucht wird, Menschenleben zu retten", sagt der 37-Jährige. Er entschloss sich, aktiv zu werden, und machte sich an die Recherche. Auf diesem Weg stieß er auf die Privatinitiative "Sea-Watch", die von vier Brandenburger Familien gegründet wurde. Anfang des Jahres bewarb sich der Arzt. Es folgte ein Informationstag in Berlin, der ihn bestärkte. Im Februar erhielt Bellin zu Zusage für einen 14-tägigen Einsatz im Juli.

 An Bord der Sea-Watch befindet sich auch eine kleine medizinische Einrichtung, wo die Ärzte die erschöpften Flüchtlinge erstversorgen können.

An Bord der Sea-Watch befindet sich auch eine kleine medizinische Einrichtung, wo die Ärzte die erschöpften Flüchtlinge erstversorgen können.

Foto: EHRBAHN JACOB

Am 1. Juli startete der Flieger nach Malta. Vor Ort lag die "Sea-Watch 2" im Hafen: ein 33 Meter langer, ehemaliger Fischerkutter, Baujahr 1968, der zuvor als Forschungsschiff diente und dann in die Seenotrettung wechselte. Eine 15-köpfige Crew, darunter ein drei Personen starkes medizinisches Team sowie zwei Journalisten, begaben sich nach einer zweitägigen Vorbereitung aufs Schiff. "Wir waren Menschen aus sieben Nationen, wobei zum medizinischen Team ein Rettungssanitäter aus Hamburg und eine Ärztin aus Australien gehörten", berichtet Bellin.

 Die Helfer der Sea-Watch teilen an die soeben ins Schlauchboot geretteten Flüchtlinge Schwimmwesten aus.

Die Helfer der Sea-Watch teilen an die soeben ins Schlauchboot geretteten Flüchtlinge Schwimmwesten aus.

Foto: EHRBAHN JACOB

Die gesamte Crew wird alle 14 Tage wieder neu aus Freiwilligen zusammengestellt, wobei Englisch die verbindende Sprache ist. Zwei Seenotrettungseinsätze fährt die "Sea-Watch 2" pro Monat. Neben dem fachlichen Schiffspersonal gehören dabei immer ein Arzt und ein Dolmetscher zur Crew.

 Robert Bellin ist Assistenzarzt der Abteilung Innere Medizin des Alexianer-Krankenhauses. Mit der "Sea-Watch" ging er zwei Wochen lang auf Rettungsmission.

Robert Bellin ist Assistenzarzt der Abteilung Innere Medizin des Alexianer-Krankenhauses. Mit der "Sea-Watch" ging er zwei Wochen lang auf Rettungsmission.

Foto: Lammertz

Es ging auf See in die 24 Meilen Zone von Libyen, wo die meisten Flüchtlingsboote auftauchen. Schon während des ersten Tages gab es einen Einsatz. "Wir waren gerade bei einer Übung, als über die Seenotleitstelle in Rom ein Funkruf einging", berichtet der Arzt. Die MRCC, wie die Seenotleitstelle abgekürzt heißt, koordiniert alle Einsätze vor Ort, egal um welche Hilfsorganisation es sich handelt, angefangen von den "Ärzten ohne Grenzen" bis hin zu "Save the Children".

Wenn Bellin von den Einsätzen spricht, drückt seine Miene Fassungslosigkeit aus. Was er erlebt hat, berührte ihn tief. In Wachdiensten von drei bis fünf Stunden wird vom Ausguck bzw. in der Nacht von der Bücke aus mit einem Fernglas das Meer beobachtet. Tauchen Flüchtlingsboote auf, setzt der Kontakt mit der MRCC ein, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Die "Sea-Watch 2" mit ihren beiden Schnellbooten an Bord ist nur dafür ausgerüstet, Menschen zu retten, aber nicht an die Küste zu transportieren. Bei Vollbelastung wird sie nahezu manövrierunfähig. Das heißt: Menschen das Leben retten, erstversorgen und sie dann an ein größeres Schiff abgeben.

Bellin erinnert sich an Tage, an denen 250 Flüchtlinge auf dem Oberdeck standen, Person an Person. Es galt, Verletzungen zu behandeln, Infusionen zu legen, sich um dehydrierte Menschen zu kümmern, Babys mit Nahrung zu versorgen und auch hart um Leben zu kämpfen, wie es zum Schluss der Aktion geschah. "Eines unserer Schnellboote hatte schon ein Flüchtlingsboot erreicht und erste Rettungswesten herübergegeben, als das Boot auseinanderbrach. Unser Team nahm zu viele Menschen aufs Boot und drohte selber zu sinken. Wir rasten mit dem zweiten Schnellboot heran, um Menschen aus dem Wasser zu holen und unser zweites Boot vor dem Kentern zu bewahren", erinnert sich Bellin. Max, der Rettungsassistent, sprang ins Meer, um eine schwangere Frau zu retten. Für eine zweite Schwangere kam jede Hilfe zu spät. Sie ertrank. "Wir haben die gerettete Schwangere reanimiert und um ihr Leben gekämpft. Wir hatten dabei nicht genügend Sauerstoff an Bord. Über Funk erreichten wir die Iuventa und konnten von dort weitere Sauerstoffflaschen bekommen", berichtet Bellin. Sieben Stunden später konnte die Schwangere an die Küstenwache übergeben werden, die sie an Land brachte.

Bellin spricht von Hand-in-Hand-Arbeiten mit allen Seenotrettungs-Organisationen vor Ort, einer Crew, die in 14 Tagen zu einem Team heranwuchs und gemeinsam Extremsituationen meisterte - und von Flüchtlingen, deren dankbare Blicke alles sagten. Aber auch von der Angst, durch libysche Schiffe angegriffen zu werden.

Nach 14 Tagen ging es wieder nach Krefeld ans Alexianer-Krankenhaus zurück, das ihm für den Einsatz eine Woche Sonderurlaub gegeben hatte. Die andere Woche waren normale Urlaubstage. Für Bellin steht eins fest. Er wird wieder auf die "Sea-Watch" gehen, wobei ganz aktuell die Nummer "Sea-Watch 3" in den Einsatz gegangen ist.

(RP)
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