Elf Jahre Oberbürgermeister Kathstede: ein persönliches Interview zum Abschied

Krefeld · Im großen Interview vorm Abschied blickt Gregor Kathstede zurück und voraus. Wer waren seine Verbündeten, was hat ihn berührt, wie geht es weiter?

 Gregor Kathstede blickt zurück und voraus.

Gregor Kathstede blickt zurück und voraus.

Foto: T. L.

Herr Kathstede, erklären Sie uns diesen Politikbetrieb. Jahrelang sind sie von der Opposition scharf kritisiert worden. Es gab politisches Dauerfeuer gegen Kathstede. Plötzlich, in ihrer letzten Ratssitzung, werden sie unter Beifall und mit warmem Lob auch von den Kontrahenten verabschiedet.

Gregor Kathstede Ich habe so nicht damit gerechnet und mich über die vielen anerkennenden Worte gefreut. Ausgesprochen nett war, was mein Nachfolger, Frank Meyer, gesagt hat, ebenso unser Fraktionschef Philibert Reuters, aber auch die anderen Fraktionsvorsitzenden. Ich glaube, es ist seit einiger Zeit die Erkenntnis da: Der Oberbürgermeister scheidet aus dem Amt aus, jetzt kann man die Attacken sein lassen und einfach die positiven Entwicklungen betrachten.

Ist der Politikbetrieb verlogen? In irgendeinem Sinne ist nicht die Wahrheit gesagt worden. Vorher sind Sie beschimpft worden, nachher gelobt. Was ist denn nun gerechtfertigt?

Kathstede In der Politik gehören kontroverse Diskussionen und auch Auseinandersetzungen zum Geschäft - auch um daraus als Partei oder Fraktion einen eigenen Vorteil zu ziehen. Das anzuerkennen, was von anderer Seite geleistet wird, ist seltener. Deshalb habe ich die lobenden Worte für die Entwicklung der Stadt in der letzten Ratssitzung auch als Anerkennung für unsere Arbeit als Verwaltung empfunden. Die Deutlichkeit war erstaunlich.

Also sind Politiker in Wahrheit im Privatleben viel enger miteinander verbunden. Einer ihrer Chefkritiker ist Herr Butzen von der SPD. Nun weiß ich, dass Sie beide sich duzen.

Kathstede Mit Hans Butzen duze ich mich, weil wir uns fast seit Jugendzeiten aus Hüls kennen. Das hat nichts mit der Politik zu tun. Das war schon so, als ich in den Rat kam. Es gibt aber auch andere, mit denen ich mich duze, wo ich das aus Sympathie tue. Sie wären erstaunt, mit wem ich gerne mal ein Bier trinke oder ein Glas Wein, auch aus anderen politischen Lagern, weil man sich menschlich einfach gut versteht.

Wie ist es Ihnen in den vergangenen Monaten im Amt ergangen? Sie wirken jetzt verändert, gelöster.

Kathstede Jetzt rückt der 20. Oktober näher. Der Abschied ist etwas wehmütig, das muss ich durchaus zugeben. Aber ich habe ja die Entscheidung, nicht mehr zu kandidieren, selbst getroffen. Deshalb wirke ich vielleicht gelöster, auch wenn ich bestimmte Dinge zu Ende führen möchte. Mit dem "gelöst", das höre ich viel.

Es gab also vorher eine größere Anspannung, die man jetzt im Wissen um das Ende anders erträgt?

Kathstede Sie stehen als OB 24 Stunden rund um die Uhr unter Strom, weil jeder Krefelder - berechtigterweise - seine Erwartung an den Oberbürgermeister hat. Sie stehen permanent unter Beobachtung, egal wo sie sind. Das muss man wissen, wenn man OB wird. Man hat ständig Druck, auch über die Medien. Es ist also eine Last abgefallen, eigentlich schon am 13. August 2014, als ich gesagt habe, dass ich nicht erneut kandidieren möchte.

Wenn Sie zurückblicken: Was war die schönste Phase Ihrer Amtszeit - war es das letzte Jahr?

Kathstede Ich bereue keinen Tag und kein Jahr in dem Amt. Es hat aber immer schöne Begegnungen, Ereignisse und Entwicklungen gegeben, so dass ich mit Zufriedenheit auf die elf Jahre zurückblicke. Natürlich war das letzte Jahr entspannter insofern, als ich nicht erster Wahlkämpfer der CDU war.

Das ist Ihnen verschiedentlich zum Vorwurf gemacht worden, dass Sie Herrn Meyer durch Rückzüge von Terminen das Feld überlassen haben, während Herr Vermeulen als Planungsdezernent in Mülheim weniger Präsenz zeigen konnte.

Kathstede Vorwürfe sind in den elf Jahren viele gemacht worden. In Wahrheit ist die SPD bei den vergangenen Kommunalwahlen als stärkste Partei aus der Wahl hervorgegangen und hat damit den ersten Bürgermeister gestellt. Diesen Wechsel hat der eine oder andere vielleicht nicht mitbekommen, nämlich, dass zehn Jahre Karin Meincke vorher meine erste Stellvertreterin war. Ich kann mich nicht teilen, das wollte der eine oder andere nicht wahrhaben. Und Kritik lenkt auch schon mal von den eigenen Defiziten ab.

Was waren die schwersten Phasen Ihrer Amtszeit?

Kathstede Einerseits der Beginn mit KFC-Pleite, mit LEG und der Staatsanwaltschaft im Rathaus. Und ganz besonders deutlich war das Jahr 2010 mit der 800.000 Euro Gewerbesteuer-Fehlzahlung. Das war eine Belastung für mich, meine Frau, meine ganze Familie, die nicht mal mehr grenzwertig war. Das war die schwierigste Zeit.

Hat Sie das gestählt oder hat das Ihre Haut dünner werden lassen? Wie beobachten Sie sich selbst?

Kathstede Es hat mich gestählt, aber es hat mir auch gezeigt, wozu Menschen fähig sind, wenn sie glauben, das Ross ist schlachtreif. Die Heftigkeit hat mich tief getroffen, das hat sich später aber umgedreht. In den ersten zwei Jahren wiederum musste ich lernen, dass ich nicht in einem "Mädchenpensionat" bin, sondern in einem politischen Betrieb, wo man permanent einen auf die Mappe bekommt.

Gibt es Dinge, die Sie im Rückblick anders machen würden?

Kathstede Bestimmte Entscheidungen habe ich nicht konkret im Blick. Aber generell ist es ein Lernprozess, das Amt auszuführen. Ich würde in bestimmten Dingen deutlicher sein im Umgang.

Meinen Sie hier Politik oder Verwaltung?

Kathstede Zum Beispiel auch der Art und Weise gegenüber, wie bestimmte Bürger ihre Anliegen vortragen. Nach dem Motto "Alles stillgestanden, ich zahle Euer Gehalt, und mein Wunsch wird jetzt erfüllt". Unser Leitbild ist: Wir sind eine bürgerfreundliche Verwaltung. Aber wir müssen nach Recht und Gesetz handeln und können nicht jedes Anliegen erfüllen, jeden Antrag genehmigen. Wenn man den Bürgern das aber klar sagt, akzeptieren sie es eher.

Sie sind also härter geworden?

Kathstede Ich bemühe mich, immer freundlich zu sein. Aber auch nicht rumzueiern.

Anders gesagt: Sie mussten mehr darauf achten, gewählt zu werden.

Kathstede Das kommt vielleicht dazu. Aber Bestimmtes würde ich mir im Rückblick nicht mehr gefallen lassen. Ich würde heute mit der Erfahrung von elf Jahren intensiver versuchen, die Politik zusammenzuführen. Dieses extreme Polarisieren der ersten Jahre zwischen CDU und SPD hat der Stadt, der Verwaltung und der Politik geschadet. Der Umgang ist unter der neuen Führung in beiden Lagern anders geworden. Und das ist wichtig und richtig.

Ihr Nachfolger Meyer hat es in der neuen Konstellation leichter im Politikbetrieb. Würden Sie zustimmen?

Kathstede Ich wünsche es ihm, dass er es leichter hat. Aber es warten Mega-Aufgaben.

Welche Beziehung haben Sie zu Herrn Meyer? Er war Ihr Stellvertreter als Bürgermeister.

Kathstede Wir haben ein entspanntes und freundliches Verhältnis. Er war nie die Abteilung Attacke der SPD gegen den Oberbürgermeister. Das waren andere. Wir duzen uns übrigens auch, aber noch gar nicht so lange.

Wie kam es dazu?

Kathstede Das war an Altweiber, als wir beide als Musketiere das Rathaus verteidigten.

Bereuen Sie die Entscheidung, aufgehört zu haben, nachdem die CDU die Wahl 2014 verloren hat. Es wirkte wie eine Reaktion auf die Wahl, und als seien Sie dazu gedrängt worden.

Kathstede Nein, da habe ich eine ganz andere Auffassung. Es war eine zutiefst persönliche Entscheidung. Die Wahl hatte mit meiner Entscheidung, aufzuhören, nichts zu tun. Ich hatte 2009 den Wählerauftrag für sechs Jahre. Diese Zeit endet am 20. Oktober. Die Kommunalwahl war im Mai 2014, meine Entscheidung fiel im August 2014.

Man braucht als Chef Verbündete. Wer waren Ihre engen Verbündeten, ohne die Sie die elf Jahre nicht überstanden hätten?

Kathstede Eine besondere Verbindung habe ich zu Stadtdirektorin Beate Zielke gehabt. Als "Chefjuristin" war sie die geborene Beraterin. Wir haben uns auch persönlich gut verstanden. Wir waren nicht immer einer Meinung, das wäre auch langweilig. Aber die Ratschläge, die sie mir in elf Jahren, vor allem auch in schwierigen Situationen gegeben hat, waren immer die richtigen. Auch auf mein Team im Büro habe ich mich immer hundertprozentig verlassen können. Und im Verwaltungsvorstand gibt es Menschen, mit denen man ganz besonders vertrauensvoll zusammen gearbeitet hat. Der Kämmerer, der eine oder andere Fachbereichsleiter oder Institutsleiter, mit dem ich mich unter vier Augen getroffen habe und bestimmte Dinge beraten habe. Ich hatte diese Menschen auch in der Bürgerschaft.

Nennen Sie Namen?

Kathstede: Nein, das will ich nicht, weil wir die Gespräche elf Jahre vertraulich gehalten haben. Aber einen Namen kann ich nennen: Das war mein Vater. Er war für mich ein ganz wichtiger Berater mit 80 Jahren Lebenserfahrung. Als er 2013 gestorben ist, ist für mich eine ganz wichtige Persönlichkeit weggebrochen.

Haben Sie in wichtigen Fragen Ihren Vater konsultiert, haben Sie gefragt: Vater, wie mache ich es?

Kathstede Das fängt bei naheliegenden Dingen an. Wenn ich Ansprachen im Theater gehalten habe, habe ich mit ihm darüber gesprochen. Aber auch Dinge, die mein tägliches Amtsgeschäft waren, waren Thema.

Ihr Vater war sehr stolz auf Sie, dass Sie dieses Amt ausgeführt haben. So konnte man es beobachten. Ist es Ihnen leichter gefallen, dieses Amt abzugeben, als er nicht mehr da war?

Kathstede Natürlich ist eine Familie stolz. Genauso, wie die Familie von Herrn Meyer sicher stolz ist, dass ihr Sohn Oberbürgermeister geworden ist. Mein Vater hätte meine Entscheidung vermutlich nicht verstanden. Er hätte mir einen anderen Rat gegeben.

Sie haben also schon drüber nachgedacht, wie ihr Vater auf diese Entscheidung reagiert hätte?

Kathstede Mein Vater ist mein täglicher Wegbegleiter, nach wie vor. Also habe ich auch darüber nachgedacht, was er gesagt hätte.

Gibt es Personen, zu denen sich im vertrauten Verwaltungsbetrieb Freundschaften entwickelt haben?

Kathstede Natürlich entwickeln sich freundschaftliche Verhältnisse im Verwaltungsumfeld, auch im politischen Bereich. Aber ich bin sehr vorsichtig mit dem Begriff Freund. Es wird sich zeigen, wenn ich erst einmal zwei Jahre nicht mehr im Amt bin, welche Verbindungen noch wie bestehen.

Was zeichnet Sie als Freund aus?

Kathstede Verschwiegenheit. Mir kann jeder alles erzählen, ohne dass ich es anschließend plakatiere. Mein Anspruch von Freundschaft ist: Wenn man mich nachts um zwei in einer Not anruft, dann putze ich mir die Zähne und fahre los. Loyalität kennzeichnet mich.

Sie haben gerade gesagt, dass ich vielleicht in zwei Jahren zeigt, wer nur oberflächlich Freund war. Haben Sie Angst, dass der eine oder andere sich abwendet? Sie werden erleben, dass Sie durch den Stadtwald laufen und niemand sagt Ihnen mehr, mach dies oder das, weil sie nicht mehr so wichtig sein werden.

Kathstede Diese Sorge habe ich nicht, weil mit dem Ausscheiden aus dem Amt auch bestimmte Verbindungen enden. Ich habe eine gewisse Menschenkenntnis und weiß, wer spätestens ab dem 20. Oktober abrückt. Und ob Sie es glauben oder nicht: Mit meiner Erklärung am 13. August letzten Jahres war bei einigen schon feststellbar, dass ich für sie nicht mehr wichtig bin.

Das tat Ihnen weh?

Kathstede Bei dem einen oder anderen: Ja. Das ist so. Aber ich habe aus jedem Lebensabschnitt, Studium, Schule, Lehrerzeit, Freunde mitgenommen. Das ist mir geglückt. Das sind teilweise Freundschaften, die ich in elf Jahren wenig pflegen konnte.

Wie geht es nun weiter für Sie?

Kathstede Die nächsten Tage werden im Wesentlichen davon gefüllt, dass ich das Büro ausräume und die Amtsgeschäfte übergebe. Das ist ein Anspruch, den ich habe. Es hat Gespräche mit Herrn Meyer gegeben, es wird weitere geben.

Das Mobiliar hier?

Kathstede Das gehört alles dem Rathaus, einige Bilder gehören den Kunstmuseen. Wenn Herr Meyer etwas austauschen möchte, ist es sein gutes Recht. An meinem letzten Amtstag, dem 20. Oktober, einem Dienstag, werden dann die Amtsgeschäfte offiziell übergeben. Für abends habe ich meine Büromannschaft zum Essen eingeladen, und wir gleiten gemeinsam in meinen Ruhestand.

Sie müssen nicht das Lokal sagen, aber was wird gegessen?

Kathstede Das weiß ich noch nicht. Wir gehen in ein Krefelder Restaurant. Wir verbringen meinen letzten Abend als Oberbürgermeister gemeinsam.

Wie geht es beruflich weiter?

Kathstede Ich orientiere mich derzeit, wie es beruflich weiter geht. Ich will jetzt erst einmal runterfahren, zu mir selber finden. Das heißt nicht, dass ich nichts tun werde. In einigen Gremien, die mit der Stadt nichts zu tun haben, werde ich vorerst bleiben. Dass ich aber beruflich etwas machen werde, daran gibt es keinen Zweifel. Ich führe viele Gespräche.

Angst vor Leerlauf zu Hause?

Kathstede: Ganz im Gegenteil. Ich freue mich darauf, meine Kinder in Schule und Kindergarten zu bringen. Vielleicht prötsche ich mittags ein paar Bratkartoffeln. Ich bin aber eigentlich nicht der beste Koch. Meine Frau kann gut kochen, ich kann gut Wein aussuchen und entkorken.

Haben Sie sich schon einen Stapel Bücher zurecht gelegt, die Sie jetzt lesen wollen?

Kathstede Nein, auch in den letzten Jahren habe ich mir die Zeit genommen, zu lesen, teilweise auch nachts. Das war mir immer wichtig. Auch sonntags mal eine Stunde oder im Urlaub.

Können Sie sich vorstellen, aus Krefeld wegzuziehen?

Kathstede Prinzipiell: nein. Ich habe ein Jahr in Frankreich studiert, da war eine solche Entscheidungsfindung da. Ich bin aber Krefelder - und unser Lebensmittelpunkt wird bei aller beruflichen Veränderung immer Krefeld sein. Krefeld ist unsere Heimat.

Ich bin vor unserem Gespräch den langen Flur mit der Galerie aller Oberbürgermeister Krefelds langgelaufen. So viel Platz ist dort nicht mehr. Sie werden nach der Chronologie der sein, der direkt am Eingang neben der Tür hängen wird, also der erste OB, auf den man blickt.

Kathstede Das mag so sein, aber wo mein Porträt hängt, das ist eine Entscheidung meines Nachfolgers. Dazu sage ich nichts. Sonst meint man noch, ich sei eitel (schmunzelt).

Was sollen die Leute irgendwann mal über den Kathstede sagen?

Kathstede Da tue ich mich schwer. Ich möchte meine Amtszeit nicht selbst bewerten. Aber mir sind bestimmte Dinge wichtig. Die Krefelderinnen und Krefelder werden sicherlich sagen, dass ich etwas für Kultur, die Entwicklung der Innenstadt und das Brauchtum bewegt habe, vor allem auch für die Krefelder Wirtschaft. Und wichtig ist mir: In meinem Empfinden war ich immer ein bodenständiger Oberbürgermeister und war immer ansprechbar.

Herr Kathstede, wir danken für das Gespräch.

SEBASTIAN PETERS FÜHRTE DAS INTERVIEW.

(RP)
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