Krefeld Ein Fruchtzwerg als Steckenpferd-Ritter

Krefeld · Die Verleihung des Närrischen Steckenpferdes an Bundesminister Hermann Gröhe (CDU) geriet zu einer prachtvollen Karnevalsrevue mit Tiefgang. Gröhe präsentierte sich sympathisch - und als Fall für eine gelungene Integration.

Die frechste Bemerkung über den neuen Ritter des Närrischen Steckenpferdes machte der Karnevals-Comedian Guido Cantz: Er nannte Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) mit Blick auf dessen vier Kinder "Fruchtzwerg" - Gröhe platzte mit dem Saal vor Lachen über dieses Wort.

Es gehört zu den stets spannenden Fragen bei der Verleihung des Närrischen Steckenpferdes, wie sich die Geehrten im Sturm des Karnevals halten: Haut es sie um, oder bestehen sie mit Humor und können über sich lachen? Gröhe konnte. Er war locker, gut gelaunt, wirkte in jeder Sekunde authentisch und wurde, wiewohl in Neuss lebend, am Ende mit den Jungs von "Brings" und den 1000 andern Gästen im vollbesetzten Seidenweberhaus zum ausgelassen feiernden "kölschen Jung". Zu Karneval kommt eben immer ein Punkt, an dem wir alle Kölner sind.

Der Laudator und Steckenpferd-Träger des vergangenen Jahres, Willibert Paules, würdigte diesen Effekt als beachtliche Integrationsleistung bei einem Mann, der aus rheinisch-katholischer Sicht mit schweren Handicaps geschlagen ist: Herkunft aus Sachsen, Protestant.

Dass Gröhe dennoch im rheinischen Neuss eine Heimat fand, führte Pauels auf "rheinische Heilmittel" wie das Neusser Schützenwesen, den Karneval und vor allem Gröhes rheinische Ehefrau zurück - wobei Pauels betonte, dass Gröhes Kindern das harte Schicksal des Vaters erspart bleibt: "Sie dürfen im Rheinland aufwachsen." Das Rheinland ist im Karneval allemal das gelobte Land.

Zu den anrührenden Phasen der Laudatio gehörte es, als Pauels hochkonzentriert bei geschlossenen Augen den ernsthaften Kern all seinen Humors beschwor: "Die Seele des Menschen ist kostbarer als das Universum" - dieser Glaube solle die Perspektive auf die Welt bestimmen, und in diesem Glauben wusste sich der Katholik Pauels dem Protestanten Gröhe tief verbunden. Gröhe tappte in seiner Antwort nicht in die Falle, als frisch gekürter Steckenpferdritter der lustigste Karnevalist im Saal sein zu wollen. Er versuchte sich erst gar nicht als oberster Schenkelklopfer; er dankte in piano für die "wunderbare Ehre" und knüpfte an Pauels an, indem er augenzwinkernd ein Bekenntnis zu Kanzlerin Merkel ablegte: Die rheinischen Karnevalisten hätten die "integrationspolitische Herausforderung", ihn, den sächsischen Fremdling, aufzunehmen, eben nicht mit einem resignativen "Das schaffen wir nie" quittiert. "Die haben gesagt: Wir schaffen das!", rief Gröhe und beklagte in einem Atemzug, dass es zurzeit in Berlin im doppelten Sinne saukalt sei: "Die können einfach keinen Karneval." Gröhes rheinischer Treueid klang dann so: "Es ist eine große Freude, zu dieser Gemeinschaft zu gehören." Ein frohes Herz, sagte er, tue dem Körper gut, auch Studien hätten gezeigt: "Wer viel lacht, hat selten ein Herzproblem." Hoffnung, dass es Karneval bald auf Krankenschein gibt, machte Gröhe aber keine: "Lebensfreude kann nicht verordnet, sie muss geschenkt werden." All das war nicht zum Brüllen komisch, sondern eher fein vergnügt - Gröhe blieb darin authentisch, sympathisch, voller Wärme, die er auch ausstrahlte, als er am Tisch als Narr unter Narren mit allen im Saal ausgelassen mitsang und feierte.

Dieses Gelingen lag selbstredend auch an der Qualität der Sitzung. Die Prinzengarde hat das Spitzenpersonal des rheinischen Karnevals vereint - mit Namen wie Guido Cantz, Bernd Stelter, Jürgen Hausmann alias Jürgen Beckers oder Bands wie Brings und die Räuber. Sie alle an einem Abend nach Krefeld zu bekommen war der Grund, warum die Sitzung ungewöhnlicherweise mittwochs stattfand und schon um 19 Uhr begann: "Das war der einzige Termin, an dem wir alle unter einen Hut bekommen haben. Am Wochenende hätten wir nur Leute aus der zweiten Reihe bekommen", sagte Sitzungspräsident Rainer Küsters auf Anfrage. Er führte gewohnt souverän durchs Programm und nahm sich auch schon mal selbst hopp: "Sie müssen verstehen: Hier steht ein Christbaum, der sprechen kann." Cantz' Comedian-Spektrum reichte von der Zote bis zum politischen Witz und funktionierte ganz wunderbar, als er Köln aufs Korn nahm. "Wie viele Leute arbeiten bei der Stadtverwaltung Köln? - Etwa die Hälfte." Die Heiligen Drei Könige - "Adelige mit Migrationshintergrund", und die Zukunft des Gesundheitswesens sah er im Gebrauchthandel: "Gut erhaltenes Hüftgelenk abzugeben. Einziger Nachteil: Opa ist noch dran."

Bernd Stelters Konzept - eine Mischung aus Mitmach-Liedern, politischer Moritat und mildem Spott über Menschlich-Allzumenschliches - kam ebenso an wie Jürgen Beckers' Bemerkungen zu Unterschieden von früher und heute, Raffinesse inbegriffen: "Ich will nicht sagen, früher war in der Schule alles besser - doch." Dieser kleine Ausbruch war - gesprochen - großartig.

Auffällig war, dass ein roter Faden alle Beiträge durchzog: ein Bekenntnis zu Toleranz, Offenheit und Freundlichkeit Flüchtlingen gegenüber. Stelter widmete dem einen ganzen Song; und auch der Text des neuen Brings-Liedes "Jeck yeah" ist ein Bekenntnis: "Wir sind alle nur Menschen mit dem Herz am rechten Fleck; und deshalb ist jeder ein kölscher Jeck."

Dazu passte auch der sympathische Auftritt des Krefelder Prinzenpaares Oliver I. (Troost) und Danny I. (Dörkes). Sie sangen ihr Prinzenlied "Krefeld helau, für unsere Stadt, wir lieben das Leben" und strahlten Freude auf die Session aus, die für sie heute in der Prinzenproklamation vollends beginnt. Krefeld kann sich auf zwei warmherzige Botschafter des Karnevals freuen.

So schimmerte sie immer wieder durch: die besondere Perspektive auf den Menschen, auf sein fröhliches Herz und seine unzerstörbare Seele, die zuvor der lachende und doch um Kummer und Tränen wissende Diakon Pauels beschworen hat - und die letztlich den Karneval vor dem Verflachen bewahrt.

(RP)
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