Krefeld Kampf dem Akademisierungswahn

Krefeld · Eine Aufwertung der Ausbildungsberufe forderte der Münchner Philosoph Julian Nida-Rümelin auf der Jahrestagung des Wirtschaftsforums "Impulse" von IHK und RP. Deutschland habe zu viele Studienanfänger.

Die These ist griffig und streitbar auf den Punkt gebracht, der Redner war eloquent und bekannt: Beim diesjährigen IHK-Wirtschaftsforum "Impulse" war der Philosoph und frühere Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin der Hauptredner. Er sprach mit seinem Vortrag "Der Akademisierungswahn: Zur Krise beruflicher und akademischer Bildung" vielen der rund 300 Gäste aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung aus dem Herzen. Die Kernthese: Zu viele junge Leute studieren aus dem irrigen Glauben heraus, dass nur ein Studium beruflichen Erfolg und hohe soziale Anerkennung garantiere. Nida-Rümelin war nach eigenen Worten angetreten, "Legenden zu zerstören, die um Umlauf sind". Die anschließende Debatte wurde vom Krefelder RP-Redaktionsleiter Jens Voß geleitet.

In seiner Begrüßung schwelgte IHK-Präsident Heinz Schmidt in positiven Zahlen: Mit 2,8 Millionen Arbeitslosen verzeichne Deutschland den niedrigsten Stand seit der Wende, 43 Millionen Erwerbstätige schafften ein Wirtschaftswachstum von 2 Prozent, bis 2020 erwarte man ein Wachstum von jährlich 1,3 Prozent. "Deutschland geht es gut", resümierte er. Zugleich warnte er davor, dass die Leistungsfähigkeit des dualen Ausbildungssystem in Gefahr sei: Der Trend zur Akademisierung schwäche das duale System, weil zu viele Jugendliche eine Ausbildung gar nicht erst in Betracht ziehen. Und das, obwohl das Studium alles andere als ein verlässlicher Weg in eine sichere Zukunft ist: "Jeder dritte Bachelor-Student verlässt seine Fachhochschule ohne Abschluss", betonte Schmidt. Mit Blick auf den demografischen Wandel befürchtet die Wirtschaft, dass schon bald rund 600.000 Stellen nicht besetzt werden können.

Daran knüpfte Nida-Rümelin an: In diesem Jahr würde es in Deutschland erstmalig eine Überzahl von Studienanfängern gegenüber Auszubildenden geben. Er nannte es "verheerend", wenn sich der Glaube, soziale Anerkennung sei an einen akademischen Abschluss gebunden, verfestige. Immer wieder im Fokus seiner Kritik: die OECD, die Deutschland seit Jahrzehnten vorwirft, einen zu niedrigen Akademisierungsgrad zu haben. Nida-Rümelin warf der Organisation vor, in ihren Statistiken Äpfel mit Birnen zu vergleichen und so zu falschen Zahlen zu kommen. So werde der US-amerikanische College-Abschluss als Bachelor gewertet, obwohl er dem deutschen Abitur entspreche. Scharf kritisierte der an der Münchener Universität lehrende Philosoph das von der OECD propagierte Ziel einer Akademisierungsquote von 60 Prozent: "Wenn das so kommt, dann hätten wir eine Bildungskatastrophe." Katastrophe deshalb, weil dann das deutsche duale System zusammenbrechen würde - mit verheerenden Folgen für den Mittelstand und die deutsche Wirtschaft, weil dann die dringend benötigten Facharbeiter fehlen würden.

Der Redner hielt dagegen, dass Studien von renommierten Instituten höchstens auf einen Bedarf an Akademikern von 25 bis 27 Prozent eines Jahrgangs kämen. "Es gibt keine einzige Studie in Deutschland, die auch nur annähernd an die OECD-Quote herankommt", betonte Nida-Rümelin.

Auch mit Blick auf die Wirtschaftsdaten zweifelte Nida-Rümelin an, dass es überhaupt ein Ausbildungsproblem in Deutschland gibt: Das Land habe die Wirtschaftskrise gut überstanden, die Jugendarbeitslosigkeit sei deutlich niedriger als in Ländern mit höherer Akademisierungsquote. Er geißelte auch das "Märchen", wer studiert habe, verdiene im Verlaufe seines Arbeitslebens eine Million Euro mehr als Unstudierte. "Überlegen Sie mal, wie das auf einen 17-Jährigen wirkt. Der sagt sich doch: Leichter komme ich an keinen Lottogewinn!"

Die anschließende Diskussion eröffnete RP-Redaktionsleiter Voß mit der Frage, ob Nida-Rümelin als SPD-Mitglied nicht die härtesten Kämpfe mit Bildungspolitikern seiner Partei ausfechten müsse - schließlich sei Akademisierung über Jahrzehnte ein hohes Gerechtigkeitsziel der SPD gewesen. Nida-Rümelin antwortet, es gebe ein Umdenken, die Gefahr für das duale Ausbildungssystem sei erkannt. Leistungsverluste an den Hochschulen führte Nida-Rümelin auf "institutionellen Egoismus" der Hochschulen zurück: Sie bekämen Geld für Studienanfänger - und so sei es ihr Bestreben, möglichst viele zu gewinnen. Er räumte ein, dass es das Bestreben gebe, hohe Durchfallquoten zu vermeiden und Studenten, die man durchfallen lassen müsste, durchzuwinken. Ein Zuhörer sah den Mangel an Wertschätzung von Facharbeitern darin belegt, dass in Werbung von Partnerbörsen nur Akademiker gesucht würden. Diese und andere Thesen des Abends konnten die Gäste im Anschluss an die Diskussion bei einem Imbiss weiter diskutieren.

(oes)
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