Krefeld "Ja, es ist ein Erdbeben"

Krefeld · Patrick Pöhler, Pressesprecher des Uerdinger Malteser Krankenhauses, erlebte das Erdbeben in Neuseeland. Ein persönlicher Bericht.

 Bereits 2011 zerstörte ein Erdbeben die Kirchen von Christchurch.

Bereits 2011 zerstörte ein Erdbeben die Kirchen von Christchurch.

Foto: Pöhler

Patrick! Was ist das?" Es ist kurz nach Mitternacht, als meine Frau mich aufgeregt anspricht. "Ein Erdbeben?" Wir liegen im Bett in einem Motelzimmer in Christchurch, Neuseeland. "Ja, ich glaube schon", antworte ich, während die Vorhänge vor dem Fenster hin und her tanzen. Das Gebäude wackelt.

Der 14. November 2016 ist in Neuseeland gerade ein paar Minuten alt, in Deutschland ist es der 13. November mittags, als die Südinsel Neuseelands von einem starken Erdbeben der Stärke 7,8 erschüttert wird. Das Epizentrum liegt etwa 90 Kilometer nördlich von Christchurch. Unser Familienurlaub ist zu dem Zeitpunkt fast zu Ende, wir wollen nach einem Monat in Neuseeland von Christchurch aus wieder aufbrechen nach Krefeld.

 Die Schäden sind auch jetzt noch zu sehen, berichtet Patrick Pöhler, der mit seiner Frau und der kleinen Tochter Hannah das schwere Erdbeben in Neuseeland miterlebte.

Die Schäden sind auch jetzt noch zu sehen, berichtet Patrick Pöhler, der mit seiner Frau und der kleinen Tochter Hannah das schwere Erdbeben in Neuseeland miterlebte.

Foto: poehler

"Und jetzt? Raus mit Hannah?", fragt meine Frau. "Moment, erstmal ruhig bleiben", sage ich und überlege kurz. "Ja, raus!" Wir schlüpfen in unsere Schuhe, meine Frau weckt unsere gut sechs Monate alte Tochter und trägt sie das eine Stockwerk runter auf den Parkplatz vor dem Motel. Ich greife noch schnell einen Pulli für die beiden - draußen sind es vielleicht 11, 12 Grad. Auf dem Parkplatz haben sich die Motelgäste versammelt, der Betreiber wirft meiner Frau und meiner Tochter eine Decke über und bestätigt: "Ja, es ist ein Erdbeben. Wir sind sowas gewohnt. Aber das ist ein heftiges."

Neuseeland ist Erdbebengebiet. Erst 2011 wurde Christchurch von einem starken Beben (6,3) heimgesucht. Noch vor ein paar Stunden sind wir durch die Stadt gebummelt und haben gesehen, wie sehr sie davon noch immer gezeichnet ist. Eigentlich nur noch ein Containerdorf, zerstörte Gebäude und Baustellen, die für die Stadt so bald wie möglich einen Neustart schaffen sollen. Ausgerechnet hier, in dieser Stadt, stehe ich nun mit meiner Frau und meinem Baby und die Erde wackelt. Lange. Eine gefühlte Ewigkeit. Tatsächlich sind es vielleicht ein paar Minuten. Es ist eigenartig, den vermeintlich sicheren Boden unter den Füßen zu spüren, als stünde man auf einem Schiff. Dann scheint es vorbei zu sein. Meine Frau will erst nicht mehr hoch aufs Zimmer. Doch als alle wieder reingehen, versuchen auch wir, zur Ruhe zu kommen. Doch wir können nicht einschlafen. Wir googeln die Nachrichtenlage und sind verblüfft, dass das Erdbeben schon über die Ticker in Deutschland läuft. Wir benachrichtigen unsere Familien und Freunde, dass es uns gut geht. Ein befreundetes Pärchen verbringt die Nacht auf einem Campingplatz in der Nähe. Auch ihnen geht es gut.

Dann: schon wieder. Die Vorhänge beginnen zu tanzen. Nachbeben. Wieder raus. Wieder im Schlafanzug. Unsere Tochter beschwert sich wieder nicht, dass sie geweckt wird, schaut sich einfach nur alles mit großen Augen an. Sie spürt unsere Anspannung. Das Auto bewegt sich erneut wie von Geisterhand gesteuert vor und zurück. Als wir nach diesem Nachbeben erneut aufs Zimmer gehen, beginnen wir, die wichtigsten Dokumente in den Rucksack zu packen. Wenn es schnell gehen muss, haben wir alles parat.

An Schlaf ist noch immer nicht zu denken, es kommen mehr und mehr besorgte Nachrichten aus der Heimat. Auch von meinem ehemaligen Geografie-Professor: "Hoffe, es geht Ihnen gut?". Plötzlich: Tsunamiwarnung. Ich rufe ihn an. Professor Dr. Dieter Kelletat ist führender Tsunami-Forscher. Er bestätigt: Ein Tsunami würde uns da, wo wir gerade sind, nicht gefährden. Das beruhigt uns. Gegen 2 Uhr Ortszeit finde ich in den Schlaf. Meine Frau bekommt noch zwei bis drei Nachbeben mit, die aber nicht mehr so heftig sind.

Ziemlich genau zwölf Stunden nach dem Erdbeben sitzen wir im Flieger gen Heimat. Wir erfahren erst später, was es angerichtet hat; vor allem an der Küste etwas weiter nördlich rund um Kaikoura - da waren wir zwei Wochen zuvor erst. Nicht alle hatten so viel Glück wie wir - nach bisherigen Erkenntnissen forderte das Erdbeben zwei Tote. Zahlreiche Menschen, darunter viele Touristen, waren vom Rest der Welt abgeschnitten. Stromausfälle, Erdrutsche, gespaltene Straßen, zerborstene Scheiben, eingestürzte Gebäude.

Zu Hause angekommen lässt uns dieses Erlebnis so schnell nicht los. Und erst rückblickend wird uns richtig bewusst, was für ein riesiges Glück wir hatten. Wir sind unendlich dankbar.

(RP)
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