GroKo-Abstimmung Fassungslosigkeit im Krefelder SPD-Hauptquartier

Krefeld · Bei der zweiten Debatte mit der SPD-Basis zeigte sich, dass die Ratlosigkeit ebenso gewachsen ist wie die Fassungslosigkeit über die Berliner Führung. Der Eindruck aus Krefeld: Alles ist offen, es wird knapp.

 Blick in den Versammlungsraum der SPD-Parteizentrale am Südwall. Knapp 100 Personen waren zur Debatte um die erneute Bildung einer Großen Koalition in Berlin gekommen. Links Parteichef Ralph-Harry Klaer, vorne auf dem Stehtisch Exemplare des Koalitionsvertrages. Klaer verlas zum Beginn der Veranstaltung eine Erklärung der Bundes-SPD. Darin wurde aufgelistet, was die SPD aus Sicht der Verhandler durchgesetzt hat - und was nicht.

Blick in den Versammlungsraum der SPD-Parteizentrale am Südwall. Knapp 100 Personen waren zur Debatte um die erneute Bildung einer Großen Koalition in Berlin gekommen. Links Parteichef Ralph-Harry Klaer, vorne auf dem Stehtisch Exemplare des Koalitionsvertrages. Klaer verlas zum Beginn der Veranstaltung eine Erklärung der Bundes-SPD. Darin wurde aufgelistet, was die SPD aus Sicht der Verhandler durchgesetzt hat - und was nicht.

Foto: vo

Die anrührendsten Momente waren die, wenn alte Kämpen sagten, wie lange sie SPD-Mitglied sind: 20, 30, 40 Jahre. Treue Genossen, die aufgewühlt sind wegen ihrer Partei. Der überraschende Eindruck bei der zweiten Debatte in der Krefelder SPD zur Großen Koalition: Wieder war es brechend voll im SPD-Hauptquartier am Südwall, wieder gab es ein leichtes Plus bei den Befürwortern der Groko, doch was klar größer geworden ist, ist die Gruppe der Ratlosen.

Gerd Politt zum Beispiel, Sprecher "Arbeitsgemeinschaft 60 plus". Er gehörte bei der ersten Debatte Mitte Januar noch klar zu den Befürwortern der Groko und sagt jetzt: "Ich bin ratlos, ich weiß nicht, was ich machen soll." Das ist dramatisch für die Berliner SPD: Auch jetzt, da der Koalitionsvertrag vorliegt, ist nichts geklärt und geheilt, im Gegenteil. Die Basis ist noch tiefer zerrissen, ja verstört; die Abstimmung über die Groko ist völlig offen.

Volker Krüger zum Beispiel, 40 Jahre in der SPD, Bezirkspolitiker aus Bockum. Er sagte irgendwo zwischen Sarkasmus und Betretenheit: "Ich bin außerordentlich durcheinander; ich weiß nicht, wie ich mich entscheiden soll, wenn die eigenen Abgeordneten dies verweigern." Er spielte damit indirekt auf verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Mitgliederabstimmung ein.

Es sind ja eigentlich die Abgeordneten, die das Volk repräsentieren, und sie sind eigentlich allein ihrem Gewissen verpflichtet. Nun aber, so sagte Krüger auch, könnten Schüler und Nicht-Deutsche in der SPD über die Regierung in Deutschland mitbestimmen. Im Groko-Papier vermisste er Antworten auf die Fragen, derer sich die AfD mit Erfolg angenommen hat: "Wir finden Antworten auf Fragen, die in der Wahlbevölkerung gar nicht gestellt werden", sagte er mit Blick auf die erneut gesunkenen Umfragewerte seiner Partei.

Die Kritik an der Führung war durchweg massiv - Politt sagte etwa: "Ich glaube nicht, dass unsere Führung fähig ist, Deutschland mitzuführen." Wut entzündete sich zum geringeren Teil am Groko-Papier - was die Leute regelrecht fassungslos macht, ist der Eindruck, dass es am Ende um Postengeschacher geht. Martin Schulz wollte ja trotz vollmundiger Bekenntnisse nach der Wahl doch Minister unter Merkel werden - das war an diesem Abend nicht vergessen und nicht vergeben. Nahles schustert sich den Parteivorsitz zu? Sie hätte doch wissen müssen, wie das bei den Mitgliedern ankommt.

Klar wurde: Das Zutrauen in Professionalität, Instinktsicherheit und Glaubwürdigkeit der eigenen Spitzenleute ist dahin. Die SPD am Boden: Selbstkritik wurde am klarsten von den Jungen, den Jusos, formuliert. "Wir wissen als SPD nicht, wofür wir stehen, was Zukunftshemen angeht" sagte einer. Rente, Arbeit, Steuergerechtigkeit: "Auf alle Themen, die nicht auf Sicht fahren, haben wir keine Antworten." Das spürten alle: Diesmal ist dieser Ruf kein Überschwang der Jugend; auch Ältere riefen nach Erneuerung.

Ein Mann formulierte die Vision: Es müsse gelingen, innerhalb von zehn Jahren eine neue Linke aufzubauen, die mehrheitsfähig ist. Natürlich gab es wieder die Stimmen, die verantwortungsethisch für die Groko plädierten. Wenn wir es nicht machen, sagte einer, "dann fallen auch die minimalen Fortschritte weg". Benedikt Winzen, SPD-Fraktionschef im Rat, sagte: "Wir machen uns auf den Weg. Wer sich nicht auf den Weg macht, wird niemals am Ziel ankommen." Petra Freining beklagte, sie habe das "Hickhack" satt: "Ohne die SPD in der Regierung geht es nicht weiter. Wir sind verpflichtet, dafür zu arbeiten."

Es gab auch Mitleid mit der gescholtenen Führung. "Wir müssen unseren führenden Politikern auch menschliche Schwächen zubilligen", sagte einer; wenn man jetzt die Groko ablehne, "dann verheizen wir unser gesamtes Führungspersonal". Und wieder der Pflicht-Gedanke: "Wir sind nicht für uns da, wir vertreten das Volk."

Was Instinktsicherheit bedeuten kann, führte dann Parteichef Ralph-Harry Klaer vor, der den Abend moderierte. Der Abend war zweigeteilt. Im zweiten Teil stellte Klaer die Frage, wie die künftigen Abstimmungsverlierer zur SPD stehen werden. 40 Prozent, so schätzte Klaer, werden enttäuscht sein vom Ausgang der Abstimmung. Was folgte, waren Bekenntnisse zur SPD, zu Solidarität, zur Einheit. Darum ging es wohl in der Tiefe: Klaer hat mit dieser Frage den Heilungsprozess einer verwundeten Partei eingeleitet. Noch vor der Entscheidungsschlacht.

Auch so kann Führung sein.

(RP)
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