Facebook-Video aus Krefeld Geschichte eines Shitstorms

Krefeld · Einen Sturm der Entrüstung hat das Facebook-Video über einen Polizeieinsatz auf der Neusser Straße in Krefeld ausgelöst - Hasskommentare inbegriffen. Der Vorfall ist auch die Geschichte einer geschickten Manipulation.

 7. November 2015, nachmittags, Neusser Straße - der Moment, in dem eine 53-jährige Radfahrerin zu Boden geht. Die Polizei wies gestern den Vorwurf einer Überreaktion zurück; vielmehr sei die Frau in der zu dem Zeitpunkt sehr belebten Fußgängerzone verbotenerweise mit dem Rad gefahren; eine Polizistin hat sie zum Anhalten aufgefordert; die Frau fuhr weiter und wehrte sich, als sie angehalten wurde, laut schreiend ("ich habe nichts getan") immer heftiger.

7. November 2015, nachmittags, Neusser Straße - der Moment, in dem eine 53-jährige Radfahrerin zu Boden geht. Die Polizei wies gestern den Vorwurf einer Überreaktion zurück; vielmehr sei die Frau in der zu dem Zeitpunkt sehr belebten Fußgängerzone verbotenerweise mit dem Rad gefahren; eine Polizistin hat sie zum Anhalten aufgefordert; die Frau fuhr weiter und wehrte sich, als sie angehalten wurde, laut schreiend ("ich habe nichts getan") immer heftiger.

Foto: Youtube

Wer das Video gefilmt hat, ist noch unklar, und nicht ganz klar sind auch die Wege, auf denen das Video am Dienstag bei Facebook Karriere gemacht hat. Klar ist nur: Das Video sollte, so wie es bei Facebook kursierte, Stimmung machen und ist ein Beispiel, wie mit Filmmaterial, das sich aufklärerisch gibt, auch Politik gemacht werden sollen.

Wie gestern berichtet, zeigt das Video einen Polizeieinsatz in der Fußgängerzone auf der Neusser Straße; zu sehen ist, wie eine Polizistin eine Radfahrerin anzuhalten versucht; die Frau auf dem Rad wehrt sich zunehmend, gerät immer mehr außer sich, bis schließlich vier Beamte nötig sind, um sie zu bändigen. Die Frau geht darüber zu Boden. Auch wenn sie nicht geschlagen wird, entfalten die Bilder erhebliche Suggestivkraft: Staatsmacht gegen schwache Frau.

Wie die Polizei berichtet, tauchte das Video auf der Facebook-Seite der Polizei morgens um acht als Internet-Verweis in einem Kommentar auf. Schnell entwickelte sich eine Welle von empörten und beleidigenden Kommentaren, bis die Verwalter der Seite darauf aufmerksam wurden und das Video "verbargen".

Parallel dazu tauchte der Film in anderen Krefelder Facebook-Gruppen auf. Auch dort loderte eine heftige Debatte auf, wobei die Zahl der kritischen Kommentare bei weitem überwog. Auch der Film selbst war mit einem Hinweis versehen, der der Polizei unterschwellig eine Überreaktion vorwarf: "Ihr Verbrechen: Fahrrad fahren in der Fußgängerzone! Krefeld - Gestern."

Die manipulative Energie dieser Präsentation wird an einer wichtigen Falschinformation deutlich: Behauptet wurde, dass sich der Vorfall "gestern", also am Montag ereignet hat. Richtig ist nach Mitteilung der Polizei, dass er bereits am 7. November passiert ist.

Zudem ist das Video erkennbar bearbeitet. Die Gesichter der beteiligten Polizistin und der 53-jährigen Radfahrerin sind gepixelt. Da hat sich also jemand Mühe gegeben und nicht aus spontaner Empörung über gerade Gesehenes, vielleicht in aufklärerischer Absicht, den Eins-zu-eins-Beleg für übertriebene Polizeigewalt gepostet. Eben diesen Eindruck sollte das Video aber vermitteln: Gestern - hier - oh wie schlimm. Der Film hätte mit der korrekten Zeitangabe nicht die Wucht entfaltet, die er am Dienstag entfaltet hat. Mit der richtigen Termin-Nennung hätten sich vielmehr sofort Fragen aufgedrängt: Warum jetzt gepostet und mit welcher Absicht? Der Film wollte aber keine Fragen aufwerfen, schon gar nicht die nach seiner Absicht, sondern Gefühle hervorrufen. Das ist gelungen.

Dass mit dem Video Stimmung gemacht werden sollte, wird auch daran deutlich, wo es auftaucht. So wurde es auf der Seite der Gruppe "Rücktritt Bundesregierung" gepostet und geteilt. Diese Gruppe ist ein Unterstützernetzwerk für die Afd und deren österreichisches Pendant AfÖ (Alternative für Österreich). Der Erfolg der deutschen Partei war Anlass für die AfÖ-Gründung - der österreichische "Standard" berichtete 2013: "Nach dem Erfolg der Alternative für Deutschland (AfD) bei der Bundestagswahl am Sonntag hat sich die ,Alternative für Österreich' formiert."

Am Kopf der Seite sind die Flaggen Deutschlands und Österreichs mit den Parteibuchstaben AfD und AfÖ zu sehen. Zu den "empfohlenen Gruppen" gehört eine Pegida-Seite ("PEGIDA + Offizielle Fan Gruppe"). Die sechs genannten Administratoren - also jene, die die Seite betreuen - sind der AfD verbunden ("arbeitet bei der AfÖ" ist bei einem zu lesen). Die Kommentare dort sind oft voller diffuser Ressentiments: "Mein Gott", schreibt einer zu dem Video aus Krefeld, "das sind noch Kinder. Wenn Vergewaltigt wird ist keine Polizei zu sehen" (sic!) - in der Tat kann die schlanke, zart gebaute Radfahrerin mit einem Kind verwechselt werden.

Ein anderer Mann schreibt in Großbuchstaben: "Da sind sie gut diese Ratten gegen das eigene Volk, und dann noch eine alte Dame. Ihr seid super!" Es gibt auch Stimmen, die die Polizei verteidigen, aber sie sind deutlich in der Minderheit.

Das Video war für diesen Zweck klug ausgewählt: Die Bilder waren in der Tat beklemmend, weil am Schluss vier Beamte nötig waren, um - wie gestern berichtet - die Radfahrerin zu bändigen. Der Vorgang hat auch die Krefelder Polizei aus dem Konzept gebracht hat. Sie brauchte am Dienstag einige Stunden, um den Vorgang einzusortieren, hat Anfragen der Presse an die Staatsanwaltschaft verwiesen, um dann doch - ohne noch auf die Journalistenfragen zu antworten - im Laufe des Tages einen ausführlichen Kommentar bei Facebook zu veröffentlichen. Hintergrund sind schlimme beleidigende Hasskommentare gewesen. Eine Polizeisprecherin hat gestern auf Anfrage einige zitiert; man kann und will sie in der Zeitung nicht wiedergeben. Das Hin und Her - Polizei verweist auf Staatsanwaltschaft - erklärte die Polizei damit, dass die Informationshoheit im Falle eines laufenden Verfahrens bei der Staatsanwaltschaft liegt. Dass es dennoch zu der Facebook-Erklärung kam, zeigt, wie sehr die Krefelder Polizei sich unter Druck fühlte. Auch im Gespräch mit den Pressesprechern war zu spüren, dass sie geschockt waren über die Heftigkeit der Beschimpfungen. Der Dunja-Hayali-Effekt: Hasskommentare gehen an Gutwilligen nicht spurlos vorbei.

In diesem Fall wird es möglicherweise auch zu strafrechtlichen Konsequenzen führen. Die Behörden prüfen, ob es Kommentare gibt, die unter den Straftatbestand der Beleidigung oder der Volksverhetzung fallen. Geprüft wird auch, ob das Video Persönlichkeitsrechte verletzt, denn Aufnahmen, auf denen Personen zu erkennen sind, dürfen nicht einfach ohne deren Einverständnis veröffentlicht werden. Die Macher des Videos wissen darüber offenbar Bescheid, denn sie haben Gesichter unkenntlich gemacht.

Die Geschichte lehrt einmal mehr: Facebook hat längst seine Unschuld verloren. Das Land der Freunde und Likes ist auch ein Tummelplatz für Demagogen. Und auch ein Film, der wie ein Dokumentarstück wirkt, weil er Realität abzubilden vorgibt, kann manipulativ verseucht sein.

(RP)
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