Krefeld Geliebte, verlorene Heimat Syrien

Krefeld · Sieglinde Haghour wanderte als junge Frau nach Syrien aus und fand dort Familie und Heimat. Nun floh sie vor dem Bürgerkrieg nach Deutschland zurück und ist entsetzt, wie ein schönes Land ruiniert wird.

Sieglinde Haghour unterrichtet Deutsch für syrische Flüchtlinge; sie spricht fließend Arabisch und hat selbst Jahrzehnte in Syrien gelebt. Das Land ist ihr zur Heimat geworden; der Krieg erfüllt sie mit Trauer und Entsetzen.

Sieglinde Haghour unterrichtet Deutsch für syrische Flüchtlinge; sie spricht fließend Arabisch und hat selbst Jahrzehnte in Syrien gelebt. Das Land ist ihr zur Heimat geworden; der Krieg erfüllt sie mit Trauer und Entsetzen.

Foto: Thomas Lammertz

Sieglinde Haghour ist einen ungewöhnlichen Weg gegangen. Sie ist mit ihrem syrischen Mann von Leipzig nach Syrien gegangen, hat dort Jahrzehnte gelebt und ist vor zwei Jahren vor dem Bürgerkrieg zurück nach Deutschland geflohen. Gefragt, wo ihr Herz schlägt und was sie als ihre Heimat empfindet, antwortet sie: "Wer einmal in Syrien gelebt hat, den lässt das Land nicht mehr los. Mein Herz schlägt für Syrien; das Land ist sehr schön, und es gab dort eine gesellschaftliche Wärme, die ich hier vermisse." So erzählt ihr Lebensbericht auch von der Tragödie eines Landes, dessen Menschen sie als offen und freundlich erlebt hat und wo Religion eben keine das Zusammenleben vergiftende Rolle gespielt hat.

Sieglinde Haghour ist in der DDR aufgewachsen und hat Anfang der 70er Jahre in Leipzig studiert. Dort lernte sie ihren Mann kennen, einen jungen Syrer, der in Veterinärmedizin promovierte. Beide wurden ein Paar. Nach einigem Hin und Her durften sie heiraten, und sie durfte 1977 tatsächlich nach Syrien ausreisen.

Dort hatte zu jener Zeit Hafiz al-Assad (der Vater des heutigen Machthabers Baschar al-Assad) seine Macht gerade gefestigt; er regierte das Land mit seiner sozialistisch geprägten Baath-Partei; der Konflikt mit den islamistisch geprägten Muslimbrüdern zeichnete sich erst am Horizont ab.

Aber die Gesellschaft war, so wie Sieglinde Haghour sie erlebte, nicht von religiösen Konflikten zerrissen. "Es war schon ein Kulturschock", sagt sie über die erste Phase im Land, wo sie zunächst in Hama und dann in Damaskus lebte. "90 Prozent der Frauen in Hama waren verschleiert; und ich kleidete mich nie anders, als ich es gewohnt war. Der erste Gang durch die Stadt hatte schon etwas von einem Spießrutenlauf", erinnert sie sich.

Doch die Unruhe darüber hat sich rasch gelegt. Ihre Nachbarinnen nahmen sich ihrer an, nahmen sie mit zu Frauentreffen, schritten ein, wenn mal ein Mann im Vorbeigehen eine Bemerkung über die Unverschleierte machte, oder schimpften mit vorwitzigen Kindern, die die Fremde umtanzten und "Ausländer, Ausländer" riefen. Sieglinde Haghour lacht, als sie davon erzählt. Bösartig waren weder die Kinder noch die Männer; ihre Art sich zu kleiden war irgendwann akzeptiert und kein Thema mehr, schon gar nicht bei ihrem Mann und ihrer Schwiegerfamilie. "Er gehört selbst einer Minderheit in Syrien an; er ist Tscherkesse, er lebt einen milden, liberalen Islam."

Sieglinde Haghour ist in der DDR als Protestantin aufgewachsen; in Syrien ist sie dennoch irgendwann zum Islam konvertiert, und zwar aus einem einfachen und harten rechtlichen Grund: Sie erlebte bei einer Freundin, dass die als nicht-muslimische Frau nach dem Tod ihres muslimischen Mannes nicht das Sorgerecht für ihre Kinder bekam. "Das wollte ich vermeiden; man weiß nie, was kommt", sagte sie. Der Übertritt zum Islam war eine einfache Zeremonie auf dem Bürgermeisteramt mit anderen Frauen zusammen in Gegenwart eines Pfarrers und eines Imams: Es wurde im Wesentlichen ein Gebet auf Arabisch gesprochen - "dann war man konvertiert".

Der Kirche hat sie dennoch nie den Rücken zugekehrt; auch zu Weihnachten wird sie mit ihrer Familie wieder in die Kirche gehen - so wie alle auch islamische Feste begehen. Sieglinde Haghour hat in beiden religiösen Kulturkreisen das Gefühl, auf der Spur des Göttlichen zu sein. "Es gibt nur einen Gott, egal wie man ihn nennt", sagt sie.

Sieglinde Haghour hat in ihrer neuen Heimat gründlich Arabisch gelernt, auch systematisch Grammatikstudien betrieben und angefangen, am Goethe-Institut in Damaskus Deutsch zu unterrichten - ihre Schüler waren meist angehende Akademiker oder Akademiker, die im Ausland Erfahrung sammeln wollten. Parallel dazu war sie Mutter von drei Kindern. Sie wuchsen zweisprachig auf, haben die deutsche und die syrische Staatsbürgerschaft. Deutschland wurde ihren Kindern zu dem Ort, wo sie nach dem Studium in Syrien arbeiteten, und auch ihr Mann war 1985/86 in Berlin zu einer Fortbildung.

So lag der Lebensmittelpunkt der Eheleute in Damaskus, und auch Deutschland war ein vertrauter Ort; alles war eigentlich gut. Bis 2011, als die ersten Unruhen in Syrien ausbrachen. "Bald wurde es wirklich gefährlich", erinnert sich Sieglinde Haghour. Sie geriet in Damaskus zweimal in Schießereien, als Straßensperren angegriffen wurden; dreimal entging sie nur um Minuten einem Bombenanschlag. 2013 gingen die Eheleute nach Deutschland, zunächst für zwei Monate. Es wurden Jahre: "Meine Kinder ließen uns nicht mehr zurück", erinnert sich die Mutter. Ihr Gesicht wird sehr ernst, als sie von diesem Abschied aus der geliebten neuen Heimat Syrien erzählt.

Heute unterrichtet sie in Krefeld syrische Flüchtlinge, die wie sie vor dem Krieg geflohen sind. "Ich wünsche mir Frieden für das Land", sagt sie und ergänzt leise: "Es wird Generationen brauchen, bis wieder Normalität einkehrt."

(RP)
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