Krefeld Entdeckung des Kunstlands Jugoslawien

Krefeld · Die erste Ausstellung von Museumsdirektorin Katia Baudin ist ein Pauken-schlag. Sie stellt zentrale Fragen nach künstlerischer Freiheit und staatlichen Einflüssen. In den Häusern Esters und Lange regt die Doppelausstellung - basierend auf Strömungen aus dem ehemaligen Ostblock - zum Denken an. Vor allem aber gibt es viel zu sehen und viele Zusammenhänge zu entschlüsseln.

 Die Künstlerin Jasmina Cibic stellt in ihrer Kunst Fragen und stellt Phrasen infrage - wie mit den überlebensgroßen Stahlrädern. Das mittlere verheißt eine "Atmosphäre freudiger Betrachtung".

Die Künstlerin Jasmina Cibic stellt in ihrer Kunst Fragen und stellt Phrasen infrage - wie mit den überlebensgroßen Stahlrädern. Das mittlere verheißt eine "Atmosphäre freudiger Betrachtung".

Foto: Lammertz Thomas

Nada heißt im Kroatischen Hoffnung. An ihre erste Ausstellung für Krefeld hat Museumsleiterin Katia Baudin zwei Hoffnungen geknüpft: Sie wollte einen deutlichen Aufschlag machen, der die Richtung für die nächsten Jahre vorgibt. Und sie wünscht sich, dass sie den Museumsbesuchern unbekannte Perspektiven bietet, über die sie länger nachdenken können. Beides ist in den Häusern Esters und Lange trefflich geglückt. Denn hinter dem prosaischen Titel "Ideologie, Abstraktion und Architektur" bringt sie eine zeitgenössische und eine historische Künstlerposition aus dem ehemaligen Jugoslawien zusammen. Am morgigen Sonntag, 11.30 Uhr, wird die Ausstellung eröffnet. Es ist die letzte in den Mies-Villen an der Wilhelmshofallee. Wenn die Doppelausstellung Mitte Januar endet, werden die Häuser für umfangreiche Sanierungen geschlossen und erst zum Bauhausjubiläumsjahr 2019 wieder öffnen.

 Wie in einer Ausstellung in Zagreb 1952 präsentiert sich Haus Lange zurzeit: Jasmina Cibic (l.), Katia Baudin und Tihomir Milovac mit einem Modell von Vjenceslav Richter.

Wie in einer Ausstellung in Zagreb 1952 präsentiert sich Haus Lange zurzeit: Jasmina Cibic (l.), Katia Baudin und Tihomir Milovac mit einem Modell von Vjenceslav Richter.

Foto: Thomas Lammertz

Hoffnung - das war zu Beginn der Fünfziger Jahre die Triebfeder für Künstler in Jugoslawien, vor allem für diejenigen, die sich zum Kollektiv "Exat 51" (steht für: Experimental Atelier) zusammenschlossen. Es war die Zeit der Identitätssuche, Tito hatte sich von Stalin und der Sowjetunion abgekehrt. Das Land suchte die Orientierung zum Westen, den Weg in die Moderne. In der Kunst setzte sich die Abstraktion durch als Gegenpol zu den realistischen Darstellungen, die in den faschistischen Staaten der 30er und 40er Jahre das Ideal waren. Eine dieser Hoffnungen lag auch in den Werten der Bauhaus-Lehre. Im Haus Lange scheint die Zeit um 60 Jahre zurückgedreht: Bilder, Fotografien, Möbel und Architekturmodelle von Bernardo Bernardi, Vladimir Kristl, Bozidar Rasica, Aleksandar Srnec und Vjenceslav Richter sind im Modus jener Zeit präsentiert, die Wände sind farbig, Bilder hängen auf Augenhöhe an Metallstelen. Es ist ein "Remake" der ersten Ausstellung von "Exat 51" aus dem Jahr 1952. Diese Arbeiten sind einerseits fremd, weil man sie sie hierzulande nie gesehen hat. Andererseits wirken sie vertraut. Denn sie beziehen sich auf die bekannten Avantgardisten El Lissitzky, Kandinsky, Mirò. Es gibt Entwürfe für Bühnenbilder zu "Carmen" und "Kiss me Kate", Entwürfe für Messe-Pavillons zur Präsentation von Design und Technik, Werbung für Spirituosen - und Modelle, die wie die Pendants zu Mies van der Rohes Barcelona-Pavillon wirken.

Die Gratwanderung zwischen künstlerischer Freiheit und Repräsentationspflicht lässt sich ablesen in nach Lebenswelten - Wohnen, Bühne, Grafik Design etc - geordneten Räumen. Im Erdgeschoss gibt das "Manifesto" der Künstler, in dem sie ihr Programm als Fortführung der Bauhaus-Ideale deklarieren, einen wichtigen Leitfaden durch die Ausstellung, die Baudin gemeinsam mit Tihomir Milovac vom Museum für zeitgenössische Kunst in Zagreb kuratiert. Hier sollte der Besuch beginnen, hier ist der Ausgangspunkt für die künstlerischen Fäden, die Jasmina Cibic in der unglaublich reichhaltigen Ausstellung "The Spirit of Our Need" in der Nachbarvilla weiterspannt. Die 1979 in Jugoslawien geborene Künstlerin lebt heute in London. Die Frage, wie künstlerische Freiheit von gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Interessen beeinflusst wird, gehört zu den zentralen Themen in ihrem Werk. Auch kulturelle Identität und die Rolle der Frau - oft als Schweigende und Schmückende dargestellt - stellt sie stetig in Frage. In Haus Esters hat sie ein Gesamtkunstwerk kreiert, eine Welt, die man sich mit einem einzigen Besuch kaum erschließen kann. Sobald eine Idee aufgegangen ist, sprießen Hydra-gleich weitere Assoziationen nach.

Zum Beispiel die Gardinen: Cibic hat textile Räume geschaffen mit Vorhängen wie Mies und Lily Reich sie im Berliner "Café Samt und Seide" präsentierten. Die Dessins hat sie inspiriert von den Wandgemälden Thorn Prikkers im Kaiser-Wilhelm-Museum und Campendonks in der Villa Merländer kreiert. Frauenskulpturen setzt sie in Verbindung zu Fotografien, die die Haltung der Bildhauerfigur mit Zitaten aus den Krefelder Wandgemälden kombinieren. Ein höchst sinnliches Spiel. Das Herzstück aber bilden drei Filme, in denen Cibic die Rolle von Architektur und Kunst als Repräsentation einer Nation thematisiert. Der erste spielt im jugoslawischen Pavillon der Weltausstellung Brüssel 1958, der zweite im Rathaus Aarhaus, das der Däne Arne Jacobsen entworfen hat, der dritte in Krefeld. Der Anfang September gedrehte Film setzt sich in kühlen, ästhetischen Bildern mit Mies' Architektur und Diskussionen über Repräsentationen Deutschlands bei Weltausstellungen Mitte des 20. Jahrhunderts auseinander. Die Filme hat das Museum mit Hilfe der Ebers-Stiftung erworben. Sie tragen den Titel: Nada (I bis III).

(RP)
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