Zum Tage Einfach nur mal die Klappe halten?

Krefeld · Vor einigen Tagen habe ich im Radio gehört, dass es jetzt ein neues Computerprogramm - neudeutsch "App" -gibt, mit dem sich die Kollegen eines Unternehmens gegenseitig bewerten können. "Schmitz ist fachlich super, aber voll komisch ....", Frau Müller hat keine Ahnung, ist aber gut vernetzt...", "Meyer hat eigentlich keine Lust, kann sich aber gut verkaufen ...". Für viele Menschen gehört es mittlerweile zum Alltag, Menschen, Dienstleistungen, Produkte, Bilder, Erlebnisse zu bewerten: Wer viele "Likes" auf sich vereinigen kann, scheint beliebt zu sein, fühlt sich bestätigt, bekommt positive Aufmerksamkeit. Das Risiko ist natürlich, dass genau das nicht passiert, dass ich vielmehr wenig Aufmerksamkeit bzw. schlechte Bewertungen bekomme. Man muss schon eine selbstbewusste und robuste Natur sein, um sich dadurch nicht allzu sehr beeinflussen zu lassen. Viele Menschen, für die das Bewerten zur alltäglichen Normalität gehört, haben dieses Selbstbewusstsein nicht und sind dementsprechend verunsichert. Sie lernen, bevor sie in sich selbst hineinspüren und ihr eigenes Urteil finden, das Gefallen der anderen zum Maßstab zu machen.

Das ist grundsätzlich nichts Neues, weil wir anderen Menschen gefallen wollen und wir auf ihre Resonanz angewiesen sind. Hilfreich sind die Urteile anderer aber nur, wenn sie differenziert sind, wenn also begründet wird, warum ich etwas wie auch immer finde. Und da sind wir meines Erachtens ein bisschen zu sparsam heute: "Daumen hoch" oder "Daumen runter", ja, - aber was führt mich zu meinem Urteil? Was sind meine Kriterien? Ist es nur mein Geschmack, mein Gefallen oder Missfallen oder habe ich auch entsprechende Einblicke, Fachkenntnis, Infos etc. ...?

Ich weiß, das ist ein Anspruch, der Interesse und Zeit voraussetzt. Wenn wir wollen, dass andere Menschen mit unseren Rückmeldungen etwas anfangen können, wenn ich möchte, dass meine Bewertung einen positiven Effekt haben kann, dann kommen wir um diesen Aufwand nicht herum. Wenn uns das zu viel Mühe ist, sollten wir uns eingestehen, dass unser Bewerten nur ein Zeitvertreib ist, der eher zu Verunsicherung und Stress als zu etwas Gutem führt. Wahrscheinlich hat sich deshalb schon Jesus weit vor unserer Zeit sehr kritisch über das vorschnelle und oberflächliche Bewerten geäußert: "Was siehst du den Splitter im Auge deines Nächsten, aber den Balken in deinem Auge nimmst du nicht wahr?" heißt es da in seiner Bergpredigt (Matthäus 7,3). Man könnte, frei nach dem Kabarettisten Dieter Nuhr, auch bemerken: "Wenn du eigentlich nichts zu sagen hast, - einfach mal die Klappe halten." Das kann ungemein entlasten, Stress rausnehmen und sich beinahe wie Urlaub anfühlen.

PFARRER VOLKER HÜLSDONK, EVANGELISCHE KIRCHENGEMEINDE OPPUM

(RP)
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