Krefeld Eine Fahrt im "Blauen Enzian"

Krefeld · Der Anblick setzt rundum positive Gefühle frei; es ist, als würden die Menschen sich freuen, dass ein tapferes Kerlchen die Zeitläufe überstanden hat und nun trotzig und fröhlich seine Runden dreht. 20 RP-Leser hatten eine Mitfahrt gewonnen.

 Am Obergplatz begann die Fahrt mit der ersten, im Jahr 1900 in Betrieb genommenen elektrischen Straßenbahn Krefelds.

Am Obergplatz begann die Fahrt mit der ersten, im Jahr 1900 in Betrieb genommenen elektrischen Straßenbahn Krefelds.

Foto: Thomas Lammertz

Fast wäre er verschrottet worden: Bis 1954 war die Bahn, die heute "Blauer Enzian" genannt wird, im Einsatz - damals schon ein Dinosaurier, denn sie war 1900 in den Dienst genommen worden. Doch der damalige Fahrdienstleiter der KREVAG (Krefelder Verkehrs-AG), Eckhard Flössel, wollte die Bahn retten und versteckte sie regelrecht: In einer dunklen Ecke des Hülser Straßenbahndepots - verborgen hinter Gerümpel und Strohballen. Dort schlief der Enzian mehr als ein Jahrzehnt, bis die Stadt zur 600-Jahr-Feier im Jahr 1973 auf die Idee kam, dass dieses Gefährt brauchbar für die Feierlichkeiten wäre. Die Bahn wurde wiederhergerichtet und ist seitdem ein Gute-Laune-Botschafter fürs Straßenbahnfahren.

Eine Fahrt im Enzian, dieser ersten elektrischen Straßenbahn Krefelds, ist in doppeltem Sinn ein Erlebnis: drinnen wie draußen. Die Menschen, die draußen vorbeiziehen, reagieren so überaus positiv auf dieses Gefährt: Winken, lächeln, lachen, winken, Handy zücken, filmen, fotografieren, lächeln, winken. Der Anblick setzt offenbar rundum positive Gefühle frei; es ist, als würden die Menschen sich freuen, dass da ein tapferes Kerlchen die Zeitläufe überstanden hat und nun trotzig und fröhlich seine Runden dreht. Das Wort Nostalgie passt nicht wirklich und reicht auch nicht: Der Enzian rattert, ächzt und quietscht - er lebt und ist nicht nur matte, bunte Erinnerung. Und drinnen? 20 Fahrgäste sitzen sich im Triebwagen Knie an Knie gegenüber, der Raum ist voll, und staunend liest man das Hinweisschild, dass hier noch 18 Stehplätze sein sollen. Die Fahrgäste sind die Gewinner unserer Verlosung, die die Rheinische Post mit dem Verein Linie 1, der den Blauen Enzian betreut, den Stadtwerken und der Brauerei Königshof veranstaltet hat. Es ist laut, es rappelt, die Holzbänke sind überraschend bequem, die Farben stiften Wärme. Volker Goreth, SWK-Mitarbeiter, kundiger Führer der Fahrt und Linie-1-Mitglied, hat gefühlt eine Million Geschichten über den Enzian parat, während es vom Obergplatz durch die Stadt über Linn, den Hafen, Fischeln, Hüls und zurück geht - drei Stunden Fahrspaß. "Ich hab Ecken von Krefeld gesehen, die ich noch nie gesehen habe", sagt nachher Christina Wintjes.

Die Fahrer - Achim Schmitz und Karl-Heinz Fells - haben auch ihren Spaß; eine Fahrt auf dem Enzian ist Handarbeit pur. Ihre Kollegen früher waren Wind und Wetter schutzlos ausgeliefert, berichten sie - heute schützt eine Plexiglasscheibe den Fahrerstand, die je nach Fahrtrichtung vorn oder hinten montiert wird. Als Betreuerin fährt auch Steffi Schreier mit - sie kam über ihren Mann zum Verein Linie 1. Ihr Kind sei - kaum geboren - schon Mitglied geworden, sagt Goreth lächelnd, "da kennen wir keine Gnade".

Die gemütlichen 40 km/h, auf die es der Enzian bringt, waren seinerzeit ein Quantensprung: Die maximale Geschwindigkeit in einer Stadt wie Krefeld betrug neun, zehn Stundenkilometer. "Kein Wunder dass die Leute von Panik redeten, als der Enzian erstmals in Krefeld unterwegs war", sagt Goreth. Kein Wunder auch, dass die Bahn damals nicht billig war: Eine Ausflugstour am Wochenende, für die es eigene Sommerwagen gab, kostete 50 Pfennig - "das entsprach dem Lohn für vier bis fünf Stunden Arbeit", berichtet Goreth, "das war etwas für die Betuchten". Nun, kostbar ist eine Fahrt im Enzian auch heute - aber nicht des Geldes wegen.

Mehr Informationen unter www.linie1-krefeld.de

(RP)
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