Interview Polizeipräsident Rainer Furth "Die Werte sind in Krefeld richtig gut"

Krefeld · Polizeipräsident Rainer Furth ist 2018 seit zehn Jahren in Krefeld im Amt. Wir sprachen mit ihm über die Entwicklung von Gewalt und Kriminalität, über gefühlte Unsicherheit, die Tuning-Szene, die Rolle von heruntergekommenen Straßenbildern und Videoüberwachung.

 "Die Hemmschwelle für Aggressionen und Gewalt scheint gesunken zu sein, und die Tatbegehung ist oftmals brutaler als noch vor einigen Jahren": Polizeipräsident Rainer Furth im RP-Gespräch.

"Die Hemmschwelle für Aggressionen und Gewalt scheint gesunken zu sein, und die Tatbegehung ist oftmals brutaler als noch vor einigen Jahren": Polizeipräsident Rainer Furth im RP-Gespräch.

Foto: Lammertz.

Sie sind im kommenden Jahr zehn Jahre lang Polizeipräsident in Krefeld. Wir hat sich die Stadt verändert? Ist sie eine andere geworden in dieser Zeit?

Furth Objektiv haben sich die Zahlen in allen polizeilichen Bereichen verbessert: im Verkehr bei der Unfallbelastung, in der allgemeinen Kriminalitätsbelastung, bei den Aufklärungsquoten bis hin zu den Einsatzzeiten bei der Polizei, also bei der Frage, wie schnell die Polizei vor Ort ist, wenn sie gerufen wird. Auch bei den Wohnungseinbrüchen sind die Zahlen rückläufig. Das ist kein subjektiver Eindruck. Wir haben Vergleichsgruppen und Vergleichsstädte. Und egal, worauf wir schauen: Die Werte sind in Krefeld richtig gut.

Das Seltsame ist, dass das Sicherheitsgefühl der Menschen nicht zugenommen hat. Beim Besuch von Innenminister Reul hat Stefan Rinsch von der gastgebenden Volksbank eine interessante Zahl genannt: Vor zehn Jahren haben 45 Prozent der Menschen erwartet, dass die Kriminalität steigt, heute erwarten das 67 Prozent. Die Daten sind also gut, die Gefühle aber nicht.

Furth Das ist eine Herausforderung für die Politik und die Polizei. Das Sicherheitsgefühl der Menschen hängt sehr stark davon ab, ob sich die Menschen mit ihren Nöten und Sorgen ernstgenommen fühlen und darauf wirklich eine Reaktion erfolgt. Wir haben als polizeiliche Antwort darauf das Präsenzkonzept Innenstadt entwickelt.

Was glauben Sie: Warum wirkt die Statistik nicht beruhigend? Warum gibt es trotz guter Trends das Gefühl der Verunsicherung?

Furth Das hat sicher viele Ursachen. Ein wichtiger Faktor ist der öffentliche Raum. Man muss, so glaube ich, Fragen stellen wie: Was bewirken heruntergekommene Straßenzüge? Wie wirkt sich Vermüllung aus? Wie wirkt es, wenn in ärmlichen Vierteln sehr teure Autos in zweiter Reihe parken? Oder wenn eine Tuning-Szene mit offensichtlich aufgemotzten Motoren im Verkehr unterwegs ist? Vieles davon verunsichert die Leute.

Für Vermüllung ist aber rein rechtlich nicht die Polizei zuständig, sondern die Stadt und ihr kommunaler Ordnungsdienst.

Furth Zum einen glaube ich, dass die Menschen nicht wirklich unterscheiden. Sie sehen: Etwas ist nicht in Ordnung, und fragen sich, wer reagiert. Wenn niemand reagiert, hat der Staat nicht reagiert. Das schafft Verunsicherung. Wichtiger Pfeiler des Präsenzkonzeptes Innenstadt ist es daher zu signalisieren: Wir reagieren, wir gehen Beschwerden nach. Polizei und Kommunaler Ordnungsdienst der Stadt arbeiten dabei durchaus zusammen. Oft ist es für die städtischen Kräfte eine Frage der Kapazitäten, ob sie eingreifen können. Bei nächtlichen Ruhestörungen zum Beispiel ist fast immer die Polizei im Einsatz. Insofern ist es aus Bürgersicht auch konsequent, nicht so genau zu unterscheiden, wer da jetzt einzugreifen hat.

Das Präsenzkonzept signalisiert so etwas wie niedrigschwellige Einsatzbereitschaft?

Furth Es geht um die Botschaft, dass wir da sind, wenn etwas nicht stimmt. Es geht dabei nicht um Symbolik, und es geht nicht darum, Sorgen mit Statistik kleinzureden. Ich denke, dass die Leute auf Sorgen und Nöte tatsächlich eine Reaktion erfahren möchten. Das Präsenzkonzept setzt sehr stark auf Bürgerbeteiligung. Auf Gespräche, auf Vorbeugung und Aufklärung und natürlich Präsenz der Polizei in den Straßen.

Wenn man täglich Polizeimeldungen schreibt, kann man schon den Eindruck haben, dass zum Beispiel Überfälle roher werden. Heute wird erst zugeschlagen und dann Handy und Geld gefordert.

Furth Die Hemmschwelle für Aggressionen und Gewalt scheint gesunken zu sein, und die Tatbegehung ist oftmals brutaler als noch vor einigen Jahren. Auch wenn durch die Berichterstattung vielleicht ein anderer Eindruck entsteht, objektiv sinkt die Anzahl solcher Straftaten. Wir haben in Krefeld schon seit Jahren weniger Gewaltkriminalität, und wir haben weniger Straßenkriminalität - das sind zwei Bereiche, die polizeilich definiert sind und bei denen es darum geht: Wie sicher fühlen sich die Menschen, und haben sie das Gefühl, noch auf die Straße gehen zu können?

Können Sie das anhand von Zahlen erläutern?

Furth Wir kommen in den vergangenen zehn Jahren von über 25.000 Straftaten pro Jahr und liegen jetzt deutlich darunter. 2016 waren es 22.621 Straftaten. Auch wenn die endgültigen Zahlen für 2017 noch nicht vorliegen, so zeichnet sich doch ab, dass die Anzahl dieses Jahr erneut gesunken ist. Die Aufklärungsquote liegt aktuell bei über 55 Prozent. Wir haben einiges erreicht; dennoch ist Kern des Präsenzkonzeptes: Wenn die Leute sich dennoch unsicher fühlen, müssen wir das aufgreifen. Wir möchten ansprechbar sein, und wir merken es auch an den Reaktionen etwa auf Fußstreifen. Die Leute gehen auf die Polizei zu und reden. Das ist sehr positiv und stärkt auch das Gefühl der Sicherheit.

Also muss man auch über die Psychologie der Wahrnehmung reden.

Furth Das Sicherheitsgefühl ist stark abhängig von der Wahrnehmung, und zwar sowohl im Straßenbild, wie eben beschrieben, als auch in den Medien. "Kriminalität" dominiert die Berichterstattung. Beruhigend ist dann aber die Erfahrung, dass die Polizei zur Stelle ist, wenn sie gebraucht wird. Und das geschieht in Krefeld besonders schnell. Wenn uns jemand einen Täter am Ort meldet, vergehen zwischen seinem Anruf bei der Leitstelle und dem Eintreffen des Streifenwagens durchschnittlich 3:15 Minuten. Damit sind wir die Schnellsten in NRW.

Als NRW-Innenminister Reul in Krefeld war, hatte man den Eindruck, dass es eine gewisse Sehnsucht nach mehr Videoüberwachungen gab. Offenbar haben die Leute weniger ein Problem damit, gefilmt zu werden, als der Gesetzgeber. Eine Frau schlug vor, an Haltestellen videoüberwachte Flächen zu markieren, damit jeder entscheiden kann, ob er gefilmt wird.

Furth Nach gegenwärtiger Gesetzeslage dient die Videoüberwachung vorrangig zur Gefahrenabwehr und im Weiteren zur Strafverfolgung. Es müssen also Polizisten an der Videokamera beobachten und gegebenenfalls schnell eingreifen können.

Das ist ja vielleicht ein Webfehler des Gesetzes. Auch die Aussicht, gefasst zu werden, mag ja abschreckende Wirkung auf Täter haben.

Furth Das muss politisch diskutiert und entschieden werden. Das Polizeigesetz soll in diesem Punkt überarbeitet werden; ich bin gespannt, wie die Befugnisse der Polizei künftig aussehen. In den Diskussionen der Vergangenheit spielte immer auch die Verhältnismäßigkeit eine Rolle. Welchen Erfolg will ich, und welchen Preis zahle ich dafür? Denken Sie an die umstrittene Schleierfahndung, also anlassungebundene Kontrollen. In manchen Bundesländern ist sie erlaubt, in anderen - dazu gehörte NRW - galt dieses Instrument als unverhältnismäßig.

Wie viel Polizisten leisten eigentlich in Krefeld ihren Dienst?

Furth Aktuell sind 520 Beamte in Krefeld im Einsatz. Bei Schwerpunktaktionen etwa im Kampf gegen Einbrecher holen wir uns auch Hilfe vom Zoll, von der Bundespolizei und der Bereitschaftspolizei des Landes NRW. Die Strategie gegen Einbrecher ist übrigens sehr nachhaltig. Das Präsenzkonzept lebt aus der Überzeugung: Die Polizei ist nicht nur punktuell da, sondern dann und dort, wo sie gebraucht wird. Die Krefelderinnen und Krefelder können sich auf die Polizei verlassen.

Jens Voss führte das Gespräch

(RP)
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