Krefeld Die geniale Walze des Eduard Küsters

Krefeld · Ein Krefelder Ingenieur hat 1956 ein revolutionäres Walzensystem für die Vliesstoff-, Papier- und Textilindustrie entwickelt. Bis heute bilden Spitzen-Ingenieursleistungen die Grundlage für den Erfolg der Firma Andritz Küsters .

 Technisches Prunkstück: Die "Prime Cal Prosott"-Maschine ist fünf Meter hoch und acht Meter breit. Sie kann bis zu 2000 Meter Papier pro Minute liefern.

Technisches Prunkstück: Die "Prime Cal Prosott"-Maschine ist fünf Meter hoch und acht Meter breit. Sie kann bis zu 2000 Meter Papier pro Minute liefern.

Foto: Mark Mocnik

Was haben Teebeutel, Dachfolien, Windeln, Milchtüten und Banknoten gemeinsam? Dieser Frage ging eine ansehnliche Besuchergruppe bei der "Langen Nacht der Industrie" nach, die die Firma Andritz Küsters besuchte. An ihrem Standort an der Gladbacher Straße produziert die Krefelder Tochter des Grazer Andritz Konzerns High-Tech-Maschinen für die Papier-, Vliesstoff- und Textilindustrie als Einzelanfertigung nach Kundenwünschen. Am Anfang des Erfolgs stand eine Erfindung aus Krefeld.

 Mitarbeiter Achim Wandke bei der Führung.

Mitarbeiter Achim Wandke bei der Führung.

Foto: Mocnik

Der Krefelder Textilingenieur Eduard Küsters hatte sich 1956 die sogenannte "durchbiegungsgesteuerte Schwimmende Walze" patentieren lassen. Küsters setzte damit Maßstäbe für die Walzentechnologie; sein Verfahren ermöglichte eine bis dahin nicht gekannte gleichmäßige Veredelung von Textilstoffen. Seitdem ist der Krefelder Mittelständler weltweit anerkannter Spezialist für Kalandermaschinen und Veredelungsverfahren in der Vliesstoff- und Papierindustrie.

Der Name Kalander ist dem Französischen entnommen (calandre = Rolle). Er bezeichnet ein System aus mehreren beheizten und polierten Walzen aus Stahl, durch deren Spalten das zu veredelnde Material hindurchgeführt wird. Vergleichen kann man das Prinzip mit der alten Wringmaschine, durch die die Wäsche nach dem Waschvorgang "hindurchgewrungen" wurde, um das Wasser zu entfernen.

Als die Erben Eduard Küsters die Firma 2006 zum Kauf anboten, griff der österreichische Konzern Andritz zu, obwohl er eigentlich nur an der Kalandertechnik interessiert war, wie Montage- und Fertigungsleiter Markus Rühling bei der Begrüßung der Gäste erzählt. "Kalander sind unser Hauptprodukt. Natürlich stellen auch andere Produzenten solche Teile her. Unsere Produkte sind zuverlässiger und genauer. Wir müssen der Konkurrenz immer eine Nasenlänge voraus sein", erklärt Stefan Wilms, der für Technologie und Vertrieb zuständig ist. "In beinahe jeder Kinderwindel weltweit stecken bis zu 17 Vlieslagen, die auf unseren Maschinen hergestellt wurden." Die "Prime Cal Prosott"-Maschine stellt gerade Katalogpapier her. Das fünf Meter hohe und acht Meter breite Ungetüm ist weinrot gestrichen. 1400 Meter Papier pro Minute liefern die Pressrollen unter schrillem Pfeifen. "Sie kann bis zu 2000 Meter pro Minute liefern", sagt Wilms stolz. Zwei Mitarbeiter überwachen die Produktion. Sie sind gut beschäftigt, denn ständig muss etwas korrigiert werden. Auf die Walzen kommt es an. Sie können bis zu 100 Tonnen wiegen. Daher muss der Untergrund, auf dem Maschinen später stehen werden, besonders befestigt werden, um auch geringste Erschütterungen zu vermeiden. Gerade erst hat Andritz Küsters einen Innovationspreis für eine verbesserte Kalandermaschine erhalten, mit der die Produktion beschleunigt werden kann.

Das neueste Produkt ist die "Wet Laid Technology". Es ist ein Natur-vlies, gepresst unter der Einwirkung feinster Wasserstrahlen aus winzigem Kiefer- und Buchenholzflaum, der sich nach Gebrauch in Wasser wieder völlig auflöst. "Hier haben wir erst das Produkt entwickelt, dann die dazugehörige Produktionsmaschine", erklärt Wilms. Der 270 Mitarbeiter zählende Betrieb, der mit der Krise der Textilindustrie einige Höhen und Tiefen erlebt hat, verspricht sich einiges von diesem neuen Verfahren, das etwa für Klärwerke eine große Erleichterung bedeutet, denn die bisher üblichen Papierfasern müssen bislang mühsam aus dem Klärwasser gefischt werden, da sie nicht abbaubar sind.

Besucher Kristian Lütz aus Kempen sprach für die meisten Besucher: "Ich bin völlig baff, dass es in Krefeld so etwas gibt." Dirk Heghmanns, Ausbildungsleiter Elektrik ergänzte: "Nach den Turbulenzen früherer Jahre haben wir wieder junge Ingenieure eingestellt. Unsere 270-köpfige Belegschaft blickt wieder mit Optimismus in die Zukunft."

(oes)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort