Krefeld Die drei letzten Jahre mit Anne

Krefeld · 2012 verloren Ilse und Nihal Karunaratna ihre Tochter. Sie fanden Trost in ihrem Glauben.

 Aus dem Umgang ihrer Tochter mit dem Tod haben sie gelernt, dass Überleben nicht alles ist: Ilse und Nihal Karunaratna. Nun freuen sich die Eltern auf ein Wiedersehen im Himmel, an das Anne fest geglaubt hat.

Aus dem Umgang ihrer Tochter mit dem Tod haben sie gelernt, dass Überleben nicht alles ist: Ilse und Nihal Karunaratna. Nun freuen sich die Eltern auf ein Wiedersehen im Himmel, an das Anne fest geglaubt hat.

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Sie haben ein Kind verloren und strahlen dennoch Zufriedenheit aus. Wie passt das zusammen? "Natürlich ist es schlimm, wenn Kinder vor ihren Eltern sterben. Aber die drei Jahre, in denen wir Anne auf dem Weg in ein anderes Leben begleitet haben, haben uns gezeigt, dass es mehr gibt, als das reine Überleben", sagt Mutter Ilse Karunaratna. Ihr Mann Nihal ergänzt: "Anne war fast die ganze Zeit über positiv. Sie hat es uns durch ihre freundliche Art leicht gemacht, sie zu unterstützen. Auch unser Glaube hat uns sehr geholfen." Die Mutter dokumentierte die letzten drei Jahre mit ihrer Tochter. "Ich hatte Angst, etwas zu vergessen." Inzwischen sind ihre Aufzeichnungen als Buch erschienen.

Anne ist 17 Jahre alt, als im Sommer 2009 der bösartige, aggressive Gehirntumor festgestellt wird. Zuvor hatte das lebenslustige Mädchen über starke Kopfschmerzen geklagt. "Als die Diagnose fest stand, habe ich mich im Internet informiert und schnell festgestellt, dass es sehr schlecht aussieht", erinnert sich die Mutter. Natürlich habe sie trotzdem auf eine Heilung gehofft und sei dankbar für jeden kleinen Schritt in Richtung Genesung gewesen. Aber: "Anne hatte keine Angst vor dem Tod. Im Gegenteil. Bestimmt über hundert Mal hat sie in diesen drei Jahren gesagt: ,Mama, ich freue mich so auf den Himmel.' Wie sollte ich da verzweifeln, als es so kam, wie sie es sich gewünscht hatte."

Vater Nihal verdrängte lange einen möglichen Tod seiner Tochter und betete inständig für ihre Heilung. "Ich habe bis einen Monat vor Annes Tod fest daran geglaubt, dass alles gut wird. Als ich sah, dass es anders kommen würde, war ich erst bitter enttäuscht. Dann konnte ich aber mit Annes Hilfe loslassen und die letzten zwei Wochen nutzen, um mich von ihr zu verabschieden."

Durch Anne lernte der Vater, an einen Himmel zu glauben, in dem die Familie wieder vereint ist. Diese Perspektive lässt ihn sein Leben heute anders sehen. Auch wenn er sich vorher schon in der Freien Christengemeinde Krefeld engagierte, sich um Flüchtlinge kümmerte und Hilfe koordinierte, so kann er es jetzt noch auf einer anderen Ebene tun. "Der durch die Erlebnisse mit Anne gestärkte Glaube macht es mir möglich, auch auf Feinde meines Volkes zuzugehen. So kümmere ich mich im Moment um eine Familie aus Sri Lanka, meinem Heimatland. Ich bin Singhalese, sie sind Tamilen. Da ist eine Freundschaft bedingt durch die Erinnerungen an den Bürgerkrieg nicht selbstverständlich." Seit seiner Pensionierung kümmert sich der Programmierer intensiv um Hilfsbedürftige aller Nationalitäten. Er weiß aus eigener Erfahrung, wie Sprachprobleme einschränken. "Anne hat immer mein Deutsch korrigiert. Das hat mich manchmal richtig genervt. Dann habe ich gesagt: ,Hoffentlich ist heute kein Korrekturtag!' Ihre Antwort: ,Dann mach halt keine Fehler'."

Annes drei Geschwister, heute 35, 31 und 21 Jahre alt, versuchten, so viel Zeit wie möglich, mit ihrer Schwester zu verbringen. Ilse und Nihal Karunaratna widmeten sich sogar ganz der Pflege ihres todkranken Kindes. Die Grundschullehrerin ist dankbar für diese Zeit. "Die gemeinsamen Tage waren das größte Geschenk. Auch wenn es, wie nach der ersten Operation ganz schwierig war, weil Anne von heute auf morgen eigentlich gar nichts mehr konnte. Mein größter Wunsch war damals, dass sie wieder sprechen kann", sagt die heute 58-Jährige.

Anne schafft sogar noch mehr. Nach und nach kann sie wieder sprechen, laufen, schwimmen und sogar Rad fahren. Da ihr Kurzzeitgedächtnis jedoch stark eingeschränkt ist, braucht sie rund um die Uhr Pflege. "Wir wissen nicht, ob es an den Medikamenten oder der Krankheit lag, aber Anne hatte sich verändert. Sie war zwar immer ein unproblematisches und freundliches Kind, aber nach der Operation war sie geradezu überschwänglich, hat sich für alles bedankt und sich über jede Kleinigkeit gefreut."

Dankbar sind auch die Eltern - zum Beispiel für die tolle Betreuung durch das Team der Krefelder Kinderklinik. Oder die vielen Menschen, die ihnen nach Annes Tod schrieben und in der Trauer beistanden. Denn die Trauer über den Verlust ließ sich trotz aller positiver Gedanken nicht umgehen. "Natürlich trauern wir. Bis heute. Es sind oft Kleinigkeiten, wie ein Lied, die uns unverhofft an Anne erinnern und uns traurig werden lassen. Sie fehlt uns", sagt Mutter Ilse.

Noch immer erstaunt sie, mit welcher Klarheit Anne ihrem Schicksal begegnete. "Vor ihrer Beerdigung fand ich zufällig ein Testament, dass Anne acht Monate vor der Krebs-Diagnose in ihrem Philosophie-Kurs geschrieben hatte. Darin steht: ,Bitte seid nicht so traurig. Ich möchte, dass Ihr weiterlebt und Euch auf unser gemeinsames Leben nach dem Tod freut.' Wir geben uns alle Mühe, ihr diesen Wunsch zu erfüllen."

Buch: "Wir sehen uns im Himmel", Ilse Karunaratna, Christliche Verlagsgesellschaft, ISBN-10: 3863530985 oder ISBN-13: 978-3863530983, auch als Hörbuch erhältlich.

(RP)
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