Krefeld Die Blaumeisen-Mutter von Hüls

Krefeld · Susanne Somma hat vier halbverhungerte Blaumeisen-Küken entdeckt und aufgezogen. In diesen Tagen werden die vier Federbällchen in die Freiheit entlassen. Sie hatten Glück: Somma weiß, wie man Wildvögel aufzieht.

 Susanne Somma mit ihren vier Blaumeisen-Jungen; die Vögel suchen sofort ihre Nähe, wenn sie aus dem Käfig herausgelassen

Susanne Somma mit ihren vier Blaumeisen-Jungen; die Vögel suchen sofort ihre Nähe, wenn sie aus dem Käfig herausgelassen

Foto: Lammertz Thomas

Sie selbst sagt irgendwann, das sei doch nun nicht so etwas Besonderes - doch wer ihren Facebook-Eintrag gesehen hat, der wird erst einmal gestaunt haben. Da zieht eine Frau vier Blaumeisenküken auf. Bitte was? Somma lacht: Keine Hexerei. Und Mehlwürmer hatte sie ohnehin da, weil sie auch eine Vogelspinne hält. Doch der Reihe nach.

Es war am Sonntag vor 14 Tagen, als Susanne Somma (28) aus Hüls in einem angemieteten Garten am Hülser Berg am Fuß eines Baums eine tote Blaumeise entdeckte. Darüber am Baumstamm: ein Meisenkasten. Es war still dort und nicht auf Anhieb zu erkennen, ob noch Leben in dem Kasten steckte. Somma arbeitete erst einmal weiter, beobachtete den Kasten und stellte fest: Keine Blaumeise flog ihn an. Schließlich beschloss sie, den Kasten abzunehmen und zu Hause zu öffnen - "und dann lagen die vier da im Nest", erinnert sich Somma. Die vier, das waren vier unterkühlte, ausgehungerte, apathische Blau-meisenküken.

 Das Foto zeigt einen der vier Jungvögel kurz nach dem Fund der Tiere vor 14 Tagen.

Das Foto zeigt einen der vier Jungvögel kurz nach dem Fund der Tiere vor 14 Tagen.

Foto: Lammertz (2) / Somma (2).

Die Waisen hatten Glück: Susanne Somma hatte acht Jahre bei Fressnapf und danach in einer Tierarztpraxis gearbeitet; sie weiß eine Menge über die Aufzucht von jungen Wildvögeln und hatte sogar Futter parat: Heimchen und Mehlwürmer, denn sie unterhält zu Hause ein Terrarium mit einer Vogelspinne. Auch dies wusste Somma: "Bevor man solchen Vögeln zu trinken gibt, muss man die Körpertemperatur anheben." So bastelte sie aus Papier, Handtuch und Heizdecke ein provisorisches Nest, in dem die Küken aufgewärmt wurden. "Sie sind dann auch munterer geworden und haben die Schnäbel zum Füttern aufgerissen", berichtet Somma.

Da die Augen der Vögel geöffnet waren, mussten die Tiere mindestens zehn Tage alt sein. Sie waren noch zu jung für lebende Mehlwürmer, und so bekamen sie erst einmal kleingehackte Würmer, angerührt mit etwas Wasser. Dieses Gemisch muss dem Futter, das die Elterntiere für die Jungen im Kropf sammeln und vorverdauen, sehr ähnlich gewesen sein: Die Kleinen gediehen prächtig. Somma wusste viel, hielt aber Kontakt zu einer Aufzuchtstation, auf die sie bei Facebook gestoßen war. So ging es quasi Schlag auf Schlag weiter.

 Als sie wieder aufgewärmt waren, sperrten die vier jungen Blaumeisen den Schnabel auf.

Als sie wieder aufgewärmt waren, sperrten die vier jungen Blaumeisen den Schnabel auf.

Foto: Somma

Die Kleinen waren sofort auf ihre Menschenersatzmutter fixiert: Wann immer sich Somma dem Vogelkäfig nähert, der nun Heimat für die Blaumeisen ist, flattern sie aufgeregt zum Gitter, reißen die Schnäbel auf und machen für so kleine Federbällchen ein Mordsspektakel. Als Susanne Somma die Käfigtür öffnet, sind die vier im Nu an ihrem T-Shirt: ein zauberhafter Anblick.

Vorausgegangen war Phase zwei in der Aufzucht: die Gewöhnung an lebendes Futter und der Beginn der "Ästlingszeit", wenn die jungen Vögel also erste Flatterversuche auf Ästen außerhalb des Nestes machen und fliegen lernen. "Das geht sehr schnell", sagt Somma.

 Noch ist ein Käfig das Zuhause der vier jungen Vögel.

Noch ist ein Käfig das Zuhause der vier jungen Vögel.

Foto: Lammertz Thomas

Der Fütterungsrhythmus wurde nun von stündlich auf zweimal am Tag umgestellt. Die Tiere mussten selbstständig Mehlwürmer am Käfigboden suchen. Zudem bekamen sie im Käfig eine Bademöglichkeit - "damit die Talgproduktion angeregt wird", sagt Somma. So wird das Federkleid geschützt.

Als sie all das erzählt, ist bereits Phase drei angelaufen - und die ist nicht ganz einfach für die Vogelmutter: Liebesentzug. Die jungen Vögel müssen vom Menschen entwöhnt werden. Somma durfte nicht mehr oft zum Käfig kommen, um die Fixierung der Tiere auf sie zu lockern. "Der Wildtrieb setzt sehr schnell ein, wenn man am Ball bleibt mit Liebesentzug", sagt Somma. Und seufzt. Natürlich sind ihr die Kleinen ans Herz gewachsen. "Aber", so sagt sie, "die Freiheit ist natürlich etwas anderes." Und so gab sie dem Quartett auch keine Namen: "Ich möchte mich nicht an sie gewöhnen", sagt Somma.

In diesen Tagen, vielleicht schon an diesem Wochenende, werden die vier dann in die Freiheit entlassen -wenn sie soweit sind und den Käfig von sich aus verlassen. Nach einer Übergangszeit von ein paar Tagen, in denen die Vögel noch zum Balkon der Familie Somma für letzte Fütterungen kommen werden, heißt es dann: Abschied nehmen.

Dann erst ist die Operation Blaumeise geglückt. In Zeiten, in denen die Zahl der Vögel besorgniserregend schwindet, eine schöne Nachricht.

(RP)
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