Krefeld Die Ballade von der De-Greiff-Säule

Krefeld · Vor 60 Jahren gab es den letzten Versuch, die De-Greiff-Säule an ihrem historischen Standort auf dem Ostwall wiederaufzustellen. Es wurde eine traurige Posse. Wir erinnern an die Geschichte einer verpassten Chance - zugleich ein Plädoyer, es noch einmal zu versuchen.

 Das Wappentier von Cornelius de Greiff - ein bronzener Greif - krönt die Spitze des Denkmals.

Das Wappentier von Cornelius de Greiff - ein bronzener Greif - krönt die Spitze des Denkmals.

Foto: Thomas Lammertz

Einen Moment muss man innehalten, um zu ahnen, was für eine historische Chance Krefeld vertan hat. 1956 - das war zwei Jahre nach dem Gewinn der Fußballweltmeisterschaft, die als eine Art Seelengeburt des geläuterten Deutschland Geschichte schrieb und viel mehr war als ein sportlicher Erfolg. Die Deutschen kehrten zurück in die Völkerfamilie - ein Jahrhundertmärchen.

Und Krefeld, das sich 1956 anschickte, ein im Krieg zerstörtes Denkmal wieder aufzubauen? Auch das war viel mehr als ein Stück Nostalgie: Cornelius de Greiff war Krefelds Jahrhundertraum. Der mennonitische Kaufmann, der am Rande des Grabes sein gesamtes Vermögen der Stadt und vielen getreuen Menschen bis hin zu seinem Gärtner schenkte, stand für all die Traditionen, die gut waren in deutschen Landen: ehrbarer Kaufmann, verankert in mennonitisch-christlicher Tradition, ein Bürger mit Sinn fürs Gemeinwesen, auch einer, der verspielt genug war, mit einem Regenschirm ins kollektive Gedächtnis zu spazieren - also mit einem Ding, das damals eine brandneue Erfindung war, ein Männerspielzeug aus England, dabei durchaus nützlich. Man spürt es förmlich, das Kind im Manne de Greiff. Und lächelt das Lächeln aller großen Jungen, die ein Fahrtenmesser im Schreibtisch liegen haben, um sich damit in ein Indianerzelt zu träumen.

Der Wiederaufbau des De-Greiff-Denkmals hätte so gut in die Zeit gepasst: als Wegmarke für das bessere Krefeld. Doch es kam anders. Was seinen Lauf nahm, war eine Posse. Das Ding, was ein Denkmal sein wollte, wurde mit beißendem Spott überzogen und rasch in einer Nacht- und Nebelaktion wieder abgebaut. Ein Jammer. Die ehrwürdigen Reste verrotten heute auf einem Betriebshof der Stadt.

Dabei war das Denkmal stets präsent im kollektiven Gedächtnis. Schon 1948 gab es erste Stimmen, die Säule wieder aufzubauen - "als Zeichen wiedererwachten Bürgersinns", wie es hieß.

Das Original kam einst auf dem Ostwall zu stehen, etwa in Höhe des Dampfmühlenweges; auf historischen Bildern ist im Hintergrund die alte Post zu erkennen. In der Bombennacht im Juni 1943 wurde die Säule zerstört - wobei schon die Nazis mit der Zerstörung begannen, indem sie alles, wo Metall daran war, einschmolzen für den Krieg. Klar hatten die keinen Respekt vor einem Mann wie de Greiff.

1950 wurde öffentlich beklagt, dass die Reste des Denkmals in einer "Schrottecke" lagern; die "Traditionslosigkeit tritt mit erschreckender Deutlichkeit zutage", war in der Zeitung zu lesen. 1952 erinnerten die Zeitungen an die Einweihung des Denkmals. 1956 dann meldete die Rheinische Post: De Greiff kommt wieder auf den Ostwall, in ähnlicher Form, möglichst am gleichen Platz. Der Rat schrieb einen Wettbewerb aus - die neue Version der Säule sollte keine historische Rekonstruktion sein, sondern eine moderne Anverwandlung.

Die Geschichte des Wettbewerbs ist verwickelt; insbesondere gab es Streit um die Gestaltung des Kopfes - im Original ein Greif. Dokumentiert sind drei Varianten: ein quasi dekonstruktivistisch modernisierter Greif, der das Original deutlich zitiert; eine bronzene Krone und eine abstrakte Plastik. Die Krone hat sich durchgesetzt; sie krönte eine nackte Säule; von der klassizistischen Eleganz des Originals war nichts mehr übrig.

Als diese Säule dann am 31. März 1959 aufgestellt war, waren die Reaktionen aus der Bürgerschaft verheerend. Spott, Wut, Fassungslosigkeit. Die WZ nannte das Denkmal einen "graugriesen Granit-Wechselbalg", die RP sprach von einem "überdimensionalen Rohrkrepierer", der schlicht "abscheulich" sei - "der alte Cornelius hätte ein geschmackvolles Erinnerungsstück verdient", hieß es.

Im Laufe des Jahres wurde der Sockel noch etwas verändert, sprich verbreitert, doch zu retten war das Ganze nicht. Noch im Oktober 1959 war klar: "Diese Säule kommt weg". Sie wurde dann tatsächlich in einer Nacht- und Nebelaktion abgebaut. Presse und Bürgerschaft waren dennoch präsent; in den Zeitungsberichten wird erwähnt, dass die Karnevalsgesellschaft Mösche-Männekes mit einer Musikkapelle einen Trauer- und Spottgesang intonierte. Krefeld hatte einen historischen Moment verpasst. Die Wunde ist nie richtig verheilt. 1961 wurde die De-Greiff-Säule als "Symbol einer großen Vergangenheit" gewürdigt, 1970 fand der "umrankte Rest" Erwähnung in der Zeitung - gemeint war der traurige Anblick der Trümmer. 1982 gab es einen Versuch, die De-Greiff-Säule vor der Dionysiuskirche in einem abgesenkten Geviert wieder aufzustellen - als nackte Säule, ohne Krone. Auch das wurde demontiert.

In der Rheinischen Post wurde 1959 beim Abbau der Säule auch die Frage aufgeworfen, die auf der Hand lag und liegt: Warum eigentlich hat man die Säule nicht in der Art wieder aufgerichtet, wie sie früher auf dem Ostall stand? Nun, reine historische Rekonstruktionen waren verpönt, und zwar noch lange danach. 1986 flackerte in Krefeld die Diskussion auf, ob man die Säule nicht in einer detailgenauen Rekonstruktion wieder aufbauen sollte - die Kosten dafür wurden auf 900.000 Mark geschätzt. Doch die Idee setzte sich nicht durch; der Historiker Reinhard Feinendegen brachte den zentralen Einwand auf den Punkt: "Wir können die Zeit nicht zurückdrehen und den Ostwall so möblieren, wie es früher einmal war. Der Torso ist ein geschichtliches Denkmal und erinnert an den Bombenangriff. Es hat somit dokumentarischen Wert."

Das war richtig und falsch zugleich. Zum einen: Die zerstörte De-Greiff-Säule erinnerte natürlich an den Krieg. Aber das originalgetreu rekonstruierte Denkmal hätte auch an etwas erinnert: nämlich an die Zeit vor Krieg und Nazi-Verbrechen, an all das, woran Krefeld und Deutschland nach dem Untergang des Dritten Reiches anknüpfen konnte, um den Weg zurück in die Völkerfamilie zu finden.

Zum anderen sind wir heute um einige Rekonstruktionserfahrungen reicher. Der Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche ist das vielleicht bewegendste Beispiel, wie ein originalgetreuer Wiederaufbau als Einspruch gegen die zerstörerische Kraft der Geschichte, als Zeichen der Versöhnung und der Hoffnung gelingen kann. Das Denkmal für Cornelius de Greiff würde auch in diese Kategorie gehören.

(RP)
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