Krefeld Deutschland lernen

Krefeld · Jens Wenglarz betreut 450 Flüchtlinge in zwei Krefelder Einrichtungen und gilt nach fünf Monaten im Bereich der Flüchtlingsversorgung als dienstältester Sozialarbeiter. Wir baten ihn, aus seinem Alltag zu berichten.

 Jens Wenglarz sagt: Probleme habe es schon mal mit jungen Männern gegeben, "die hier den Alkohol kennenlernen und dann etwas trinken"; wirkliche Konflikte seien daraus bislang nicht entstanden.

Jens Wenglarz sagt: Probleme habe es schon mal mit jungen Männern gegeben, "die hier den Alkohol kennenlernen und dann etwas trinken"; wirkliche Konflikte seien daraus bislang nicht entstanden.

Foto: Lammertz

Seit vier Monaten leben in Hüls 150 Flüchtlinge in einer Traglufthalle. Unter den Großunterkünften gilt die Einrichtung am Reepenweg als Positivbeispiel. Es gibt wenig Konflikte und eine auffallend hohe Bereitschaft der Bevölkerung, die Flüchtlinge zu unterstützen. "Hüls ist ein sehr schöner Ort", sagt Jens Wenglarz. Schön heißt in diesem Falle wohl auch gut für die Flüchtlinge, denn der 56-Jährige sagt auch: "Hier kann man lernen, wie Deutschland funktioniert." Seit Januar ist der Sozialpädagoge bei der Stadt Krefeld angestellt. Er betreut 450 Flüchtlinge in zwei Krefelder Einrichtungen und gilt nach nur fünf Monaten im Bereich der Flüchtlingsversorgung als dienstältester Sozialarbeiter.

Er berichtet über den Alltag in der ländlich gelegenen Traglufthalle, über die positive Wirkung eines freundlichen Ortes, über Dankbarkeit, Geduld und die Hoffnung irgendwann dem "ständigen Basisgeräusch" der Großunterkunft wieder zu entkommen. "Das Leben in einer Traglufthalle ist keine schöne Situation", erklärt Wenglarz, für manchen kann die Aufenthaltsdauer dort zwischen sechs und zwölf Monaten liegen. Oft vergehe bereits ein halbes Jahr bis zur Antragstellung auf Asyl und dann weitere sechs Monate für die Bearbeitung. Die Aussicht auf Unterbringung in einer Wohnung ist von der Bleibeperspektive (entscheidend ist das Herkunftsland) und von der Familiensituation abhängig. Am längsten warten alleinreisende junge Männer.

Bei Familien mit sehr kleinen Kindern bemühe man sich, dass sie nicht in der Halle leben müssen. Profitieren tue bei diesem Vorgehen nicht nur die Familie. "Säuglinge haben ein Eigenleben, sind nicht nach der Uhr zu regeln und dadurch auch eine Belastung für die Gemeinschaft." Stille herrsche allerdings sowieso nie, es gebe immer ein "Basisgeräusch" in der Halle. "Deshalb bemühen wir uns, alle Aktivitäten aus dem Camp heraus zu legen" , erklärt Wenglarz. Hilfreich seien die Angebote der Sportvereine, außerdem gebe es das Jugendzentrum sowie mehrere Cafes, die regelmäßig besucht werden und wo Kontakte entstehen. Bei der Bevölkerung herrsche eine hohe Bereitschaft, die Flüchtlinge "beim Fußfassen" zu unterstützen. Durch Ehrenamtler sei man in der Lage, jedem Flüchtling einen "Basis-Sprachkursus" anzubieten. Dass Menschen dafür ihre Freizeit opfern, werde von den Flüchtlingen als "Geschenk" empfunden. Die Kontakte zwischen Einheimischen und Flüchtlingen wirken sich laut Wenglarz "unheimlich positiv" auf die Stimmung in der Halle aus ("Die positive Stimmung im Ort spiegelt sich in der Halle"). Die meisten Flüchtlinge akzeptieren die Halle als vorübergehende Situation, da ihnen bewusst sei, "es wird hier viel für mich getan". Deutschland sei für die Flüchtlinge "neu". Bis zu ihrer Ankunft in Krefeld seien sie nur in großen Sammelunterkünften untergebracht gewesen. "Doch das ist noch nicht das wirkliche Leben", meinte der Sozialarbeiter "da findet noch kein Kontakt zur Bevölkerung statt". Das ändere sich mit der Ankunft in Hüls, hier lerne man Tagesabläufe und Wesensart der Menschen kennen.

Dazu gehöre neben den Fragen "wie funktioniert Deutschland, was muss ich beachten, worauf wird Wert gelegt" auch das Kennenlernen von Brauchtum. Kurz nach Bezug der Halle sei das der Karneval gewesen. Natürlich gebe es auch gelegentlich Konflikte. In der Regel seien sie jedoch durch die Unterkunftsbetreuer zu klären. Auslöser seien oft Lautstärke, "oder wenn die Waschmaschine von jemandem genutzt wird, der nicht dran ist." Die Probleme haben nach Erfahrung des Sozialarbeiters häufig mehr mit der Persönlichkeit der Menschen zu tun als mit der Unterbringung. Nur selten fänden die Menschen nicht den Weg zueinander. In Einzelfällen erfolge dann die Unterbringung in einer anderen Einrichtung. Mancher Flüchtling brauche einfach eine Ruhephase, und die "berühmte Posttraumatische Belastungsstörung" sei auch ein Thema. Aber man dürfe dieses Thema nicht "überzeichnen". Viele der Menschen seien sehr robust, nicht jeder sei "mit einem Schlauchboot über das Mittelmeer" gekommen. Probleme habe es schon mal mit jungen Männern gegeben, "die hier den Alkohol kennenlernen und dann etwas trinken". Wirkliche Konflikte seien daraus bislang nicht entstanden. "Das regelt sich in so einer Gemeinschaft relativ schnell, weil dann viele drauf gucken und die jungen Männer sich da sehr schnell wieder zurücknehmen."

Vielfach sehr gut verlaufe die Eingliederung der Kinder. In der Hülser Traglufthalle sind es 50, wobei es auch andernorts so ist, dass die Gruppe der unter 18-Jährigen ein Drittel der Flüchtlinge ausmacht. Nach Auffassung von Jens Wenglarz ist bei ihnen durch den Kindertages- und Schulbesuch "die Integration in das Gemeinwesen schon passiert". Es wundert daher nicht, dass zwar bei allen Hallenbewohnern der Wunsch nach einer Wohnung besteht, aber außerhalb der Gemeinde muss sie nicht liegen. Jens Wenglarz wird die Flüchtlinge noch eine Zeitlang begleiten.

Dem Sozialpädagogen macht das neue Arbeitsfeld, in dem das Dienstalter noch in Monaten gerechnet wird, Spaß. Und so richtig neu findet Jens Wenglarz seinen Arbeitsbereich eigentlich auch nicht. "Die Menschen sind vielleicht neu, aber die Wege der Hilfe sind immer die gleichen."

(RP)
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