Krefeld Der versteckte Marmorboden

Krefeld · Die Wandmalerei Johan Thorn Prikkers war lange vor den Nationalsozialisten versteckt. Später entzog Museumsdirektor Gerhard Storck den Zyklus den Blicken des Publikums. Nie zu sehen ist der kostbare Boden, der dem Marmorsaal seinen Namen gab. Er wurde jetzt aufwendig im Sinne des Denkmalschutzes restauriert und sofort wieder mit einem neutralen Belag überdeckt. Lediglich die Marmorsockel deuten auf den Schatz, der schon 1923 wegen seiner Dominanz den Künstler in seiner Arbeit störte.

 Die schwarzen, rund 50 Zentimeter hohen Sockel aus Marmor im Thorn-Prikker-Raum geben einen Eindruck davon, wie der denkmalwerte und aufwendig restaurierte, aber durch hellen Naturstein verdeckte Fußboden aussehen könnte.

Die schwarzen, rund 50 Zentimeter hohen Sockel aus Marmor im Thorn-Prikker-Raum geben einen Eindruck davon, wie der denkmalwerte und aufwendig restaurierte, aber durch hellen Naturstein verdeckte Fußboden aussehen könnte.

Foto: TL

Man muss kunst- und denkmalbegeistert sein, um den Sinn solcher Aktionen nachzuvollziehen. Einen Schatz heben, ihn hüten und pflegen und ihn dann wieder verstecken. Das hat die Stadt beim 17,7 Millionen Euro teuren Umbau des Kaiser-Wilhelm-Museums mit dem Fußboden im berühmten Marmorsaal gemacht. Dieser Raum mit den Wandmalereien Johan Thorn Prikkers von 1923 und dem Marmorboden im Schachbrettmuster ist etwas Besonderes und schützenswert. Andererseits ist diese Umgebung für ein modernes Museum für zeitgenössische Kunst denkbar ungeeignet. Die Kuratoren lieben neutrale Räume, in denen die ausgestellten Werke ohne Störfaktoren wirken können. So galt es, zwischen Museumsanspruch und Denkmalschutz einen Kompromiss zu finden - und der verursachte entsprechende Kosten.

Der Marmorfußboden, der die Gliederung der drei Fenster aufgenommen hat, wurde Platte für Platte von einer Fachfirma gelöst und später in ihrer Originalstruktur wieder verlegt. Fußbodenheizung und Kühlung waren zuvor installiert worden. Später kam ein neutraler Belag aus hellem Naturstein über den Originalboden, der sich nicht vom Belag in den anderen Räumen unterscheidet. Vom sorgsam restaurierten Marmorfußboden ist seitdem nichts mehr zu sehen, bis zu den geplanten, seltenen Gelegenheiten, wenn er für die Besucher wieder freigelegt werden soll. In der Vergangenheit war er durch einen simplen Teppichboden verdeckt und geschützt, berichtet Angela Naebers, Architektin beim Zentralen Gebäudemanagement der Stadt. Und als sei das noch nicht Aufwand genug, mussten die bauausführenden Firmen den Thorn-Prikker-Raum um "drei bis vier Zentimeter anheben", berichtete Monika Risse-Richter von der Unteren Denkmalbehörde der Stadt. Um eine Stolperkante zu vermeiden, begann der Niveauausgleich schon in den angrenzenden Räumen. Darüber hinaus haben die Verantwortlichen Änderungen an der Fensterfront aus den 1960-er Jahren wieder rückgängig gemacht und die Fensterbrüstungen wieder vergrößert. Thorn Prikkers Wandgemäldezyklus "Das Leben" droht ein ähnliches Schicksal wie dem Fußboden. Das Kunstwerk könnte zeitweise mit Blenden verdeckt und nur zu besonderen Anlässen gezeigt werden. Darüber soll die neue Museumsleitung entscheiden.

Der in Den Haag geborene Künstler hatte seit Anfang des 20. Jahrhunderts bereits eine Beziehung nach Krefeld; seine Frau war mit einer dem Museum nahestehenden Familie befreundet. 1904 siedelte er nach Deutschland über. Auf Vermittlung von Friedrich Deneken, seinerzeit Direktor des Kaiser-Wilhelm-Museums, kam er an die neu gegründete Handwerker- und Kunstgewerbeschule, war Lehrer von Heinrich Campendonk und Helmuth Macke. Er verließ Krefeld 1910, um sich der Werkbund-Bewegung zu widmen, und kooperierte mit dem Begründer des Folkwang-Museums in Essen - dem Kunstmäzen Karl Ernst Osthaus. Im Inflationsjahr 1923 erhielt er den Ruf an die Kunstakademie Düsseldorf, im selben Jahr beauftragte ihn der Krefelder Museumsdirektor Max Creutz für die Ausgestaltung des Marmorsaals mit Wandbildern. Das Geld stammte von Privatpersonen. Es entsprach Thorn Prikkers Auffassung von Kunst, Gebäude und Gemälde in Einklang zu bringen.

Im Sommer 1923 traf Thorn Prikker in Krefeld ein und begann mit der Wandmalerei. Im November des selben Jahres war er bereits fertig. Creutz wünschte sich als Oberthema das "Leben", in vier Bildern stellt der Künstler Lebensphasen dar. Die stellvertretende Museumsdirektorin Silvia Martin betont: "Man muss die Bilder wie einen Zyklus lesen." Immer sind Paare zentrales Motiv der Bilder. Auf dem ersten sind zwei Babys zu sehen, umgeben von anderen Personen. Auf dem zweiten Bild sind Erwachsene zu sehen, auf dem dritten Bild eine Familie, auf dem vierten wiederum ältere Menschen.

Wer das Museum komplett durchläuft, muss diesen Saal zwingend durchschreiten. Auch dieses Durchgehen des Raumes kann symbolisch gesehen werden - man tritt durch den Eingang mit dem Bild der Babys, man verlässt ihn durch den Eingang mit dem Bild der Alten.

Wer die Bilder im Detail betrachtet, der erkennt Kompositionsideen: Eine formale Einheit der Werke lässt sich erkennen, die nackten Figuren sind nur in Schemen dargestellt. Schwarze Diagonalen und dicke Konturen ziehen sich durch die Bilder. "Sie nehmen den großen Flächen das Plakative", sagt Sylvia Martin. Wer noch näher an die Bilder herantritt, der erkennt, wie einzelne Farbflächen schraffiert sind und dem Werk eine unerwartete Transparenz und Leichtigkeit verleihen.

Zwar wurde Thorn Prikker aufgrund seiner monumentalen Bildsprache zu seiner Zeit als sehr "deutscher" Künstler wahrgenommen, den Nationalsozialisten widerstrebten aber seine Formensprache und die Abstraktion. 1936 wurde der Zyklus deshalb hinter Mauern versteckt. "Das Gemälde war in Gefahr", sagt Sylvia Martin.

Als Paul Wember 1946 die Leitung des Kaiser-Wilhelm-Museums übernahm - er war Freund der Kunst Thorn Prikkers - ließ er die Wandgemälde wieder freilegen. Direktor Gerhard Storck wollte dann in den 1970-er Jahren mehr Platz für moderne Kunst im Museum und ließ die Wandgemälde abermals überbauen. Seit 1976 waren die Bilder verschalt und nicht mehr zu sehen. In mühevoller Detailarbeit wurden von der Kölner Restauratorin Melanie Münchau die Schäden an den Bildern behoben.

(RP)
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