Krefeld Den Vögeln im Latumer Bruch auf der Spur

Krefeld · Eine vogelkundliche Wanderung unter der Leitung des Ornithologen Jochen Schages ist eine ganz besondere Pirsch.

 Vogelkundler Jochen Schages mit einem Spektiv, das eine 40-fache Vergrößerung bietet.

Vogelkundler Jochen Schages mit einem Spektiv, das eine 40-fache Vergrößerung bietet.

Foto: Mark Mocnik

Ausgerüstet mit festem Schuhwerk, dessen Sohlen eine lautlose Annäherung an die scheuen Flugakrobaten des Latumer Bruchs ermöglichte, und einem stark vergrößernden Fernglas, war Walter Böke der erste Teilnehmer der vogelkundlichen Abendexkursion des Naturschutzbundes Deutschland (NABU), der aus dem 1899 gegründeten "Bund für Vogelschutz" hervorgegangen ist. "Vögel sind dämmerungsaktiv", sagt Böke, "auf dieser Wanderung kann ich mein Wissen über Vögel, ihre Rufe und ihren Gesang vertiefen." Neben seinem Fernglas trug der begeisterte Hobbyfotograf seine umfangreiche Kameraausrüstung mit sich.

Auch die übrigen Teilnehmer der 15-köpfigen Gruppe waren nicht zum ersten Mal auf der Pirsch nach Vogelarten, die in unserem Gebiet selten geworden sind. Ihre schon recht professionelle Ausrüstung wurde getoppt von dem dreibeinigen Spektiv, das Jochen Schages auf dem Rücken trug, der Leiter der ornithologischen Exkursion. Die 40-fache Vergrößerung des Spektivs ermöglichte scharfe Bilder auch weit entfernter Vögel und trug so wesentlich zur Begeisterung der Teilnehmer bei, die auch die Stechmücken in dem von zwei Altstromrinnen des Rheins inselartig umsäumten Bruchwald- und Feuchtgebiet nicht zu dämpfen vermochten.

Das 1982 unter Naturschutz gestellte Latumer Bruch ist eines von zehn Krefelder Naturschutzgebieten. "Für Krefelder Verhältnisse ist dieses Bruchgebiet ein Hotspot, weil es nicht so sehr im Mittelpunkt wie der Egelsberg oder der Hülser Berg steht", erklärte Experte Schages. "So lassen sich hier so seltene Vögel wie Neuntöter, Schwarzkehlchen, Bluthänfling, Stieglitz, Gartenrotschwanz und Feldschwirl beobachten. Im Bruch brüten der Rote und der Schwarze Milan."

Obwohl der Linner Mühlengraben und der Oelvebach in regenreichen Sommern Wasser einleiten und auch von der Meerbuscher Seite her Wasser zufließen sollte, ist das Latumer Bruch zu trocken. Länger als sieben Jahre sollte eine solche Trockenperiode nicht anhalten. Die Folgen für den Amphibienbestand und Feuchtgebietspflanzen wie Röhricht und Sumpfwolfsmilch wären katastrophal.

Einer fehlt noch: der Storch. Die NABU-Leute haben im Latumer Bruch einen Horst für Störche errichtet. "In den vergangenen beiden Jahren hat sich aber noch kein Storch blicken lassen, obwohl er hier ein reiches Nahrungsangebot vorfinden würde ", bedauerte der Ornithologe.

An einem Bauernhaus tollten ein paar Haussperlinge herum. Dahinter beginnen die Felder mit dem Futtergras Glatthafer. Diese werden extensiv bewirtschaftet. Die Mahd beginnt erst Mitte Juni, um die äußerst seltene Symbiose von dunklem Wiesenkopf und Ameisenbläuling zu schützen, wofür dem Latumer Bruch der EU-Titel Habitat verliehen wurde.

Hinter dem grün umrandeten Naturschutzgebietsschild kommt die Gruppe ins Stocken. Die Bewegungen erstarren und die Ferngläser richten sich auf einen Punkt auf einem Zaunpfahl, der kaum das hohe Gras überragt. "Da ist eine Goldammer", flüstert eine Teilnehmerin. Beim Blick durch das Spektiv erkennt man einen rundlichen Vogel, dessen Gefieder in einem warmen Gelb schimmert und eher an ein Küken erinnert. Der Goldammer fliegt auf, als ein Reh aufspringt, von dem nur die wie ein V aufgerichteten Ohren aus dem Gras zu erkennen waren. Mit zunehmender Dämmerung werden die Vögel aktiver. Plötzlich verharrt Schages mitten im Schritt: "Was sich hier wie ein Spielautomat anhört, ist der Gelbspötter. Diesen unscheinbaren Vogel bekommt man nur sehr selten zu Gesicht." Eine breite von Buschreihen umrandete Lichtung, auf der sich viele Einzelbüsche angesiedelt haben, zieht die Aufmerksamkeit der Gruppe an. Ferngläser und Kameras streichen unentwegt über das Gelände, dann verharren sie. Auf einem Zaunpfahl hockt ein Schwarzkehlchen, über ihm auf einem Ast ein zweites. "Ein Jungvogel, der auf Futter wartet", entnimmt Schages seinem Spektiv. "Man erkennt ihn an seinem farbfrischen Gefieder." Mit ihrem kurzen, aber kräftigen Rufen weist sich eine Dorngrasmücke aus.

Die an diesem Abschnitt des Weges wegen der Austrocknung des Latumer Bruchs erkennbare Verbuschung habe zwei Seiten, erklärte der Vogelkundler. Der Neuntöter spießt seine Beute auf Dornen von Brombeere und Weißdorn auf. Diese Vogelart bevorzugt ein relativ offenes Buschgelände. Daher sollten die Naturschützer eine Verbuschung nicht über zehn Prozent hinausgehen. "Um diesen Zustand zu erhalten, muss man schon mit der Raupe eingreifen", sagt der Ornithologe. Dann erscheint ein Neuntöter und setzt sich fotogerecht auf einen Pfahl, während aus der Buschreihe ein Kuckuck ruft, bis die Konzentration auf den Gesang einer Nachtigall umschwenkt. OTMAR SPROTHEN

(oes)
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