Krefeld Das Seidenweberhaus - doch wertvoll?

Krefeld · Eine Ausstellung im Frankfurter Architekturmuseum widmet sich dem Brutalismus und plädiert für die Rettung auch des Seidenweberhauses. Ist in Krefeld also kostbares Architekturerbe bedroht? Eine Analyse.

Brutalismus - Beispiel aus der Frankfurter Ausstellung
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Brutalismus - Beispiel aus der Frankfurter Ausstellung

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Foto: Frankfurt Architekturmuseum / Wo

Seitdem das Seidenweberhaus in die Liste "SOS Brutalism" aufgenommen wurde, stellt sich die Frage, ob das Gebäude nicht doch architektonisch viel wertvoller ist, als hier in Krefeld angenommen. Die Rote Liste bedrohter Betonbauten war im Zuge der Ausstellung "SOS Brutalismus. Rettet die Betonmonster!" im Frankfurter Architekturmuseum erstellt worden; aufgezählt sind Gebäude, die dem Brutalismus zugerechnet werden und von Abriss bedroht sind. Ist Krefeld also verblendet; ist die Stadt drauf und dran, ein kostbares Gebäude zu zerstören?

Nein, im Gegenteil: Diese Platzierung auf der Liste spricht sogar gegen die Ausstellung und offenbart einen Webfehler, der auch in der Fachpresse kritisch gesehen wird. Der Appell im Titel ("Rettet . . . .") ist am Ende verräterisch. Die Macher gehen nicht vorbehaltlos an ihr Thema, sondern mit dem geheimen Vor-Urteil, dass das, worüber sie reflektieren, zu erhalten sei. Appell färbt Analyse: Ein klassischer methodischer Sündenfall.

Zunächst: Die Ausstellung ist sehenswert. Die vielen Beispiele für brutalistische Bauten skizzieren eine verblüffende Vielfalt und eine Lust an expressionistischer Wucht, die man als Neuling auf dem Gebiet nicht erwartet.

Die Geschichte des Brutalismus' wird in einem 182 Seiten starken Band über ein Symposium zum Thema akribisch beleuchtet - nach Theorie, Geschichte und Ländern. Auch hier ist man überrascht, welche große Namen auftauchen. So hat der Architekt Le Corbusier in Marseille 1947 bis 1952 mit der "Unité d'Habitation" (Wohneinheit) einen der frühen Klassiker des Brutalismus gebaut. Das Gebäude wirkt wie ein Urbild des Plattenbaus und ist auf massenhaftes Wohnen und serielles Bauen ausgelegt; neben Wohnraum werden auch andere Bereiche des täglichen Lebens integriert. Verblüffend ist, wie dieser Bau früh mit Metaphern aus Krieg und Mythologie beschrieben wird: "Die Unité ist ein Riese, ein Tempel, ein Flugzeugträger", heißt es da bei einem Zeitgenossen, "ihre pilotis sind die Beine eines Kolosses, die Reifen eines Bombers; die Formen ihres Dachs sind maritim, der Hangar ein Luftschiff. Das Dach selbst ist ein Berggipfel." Auffällig an der Beschreibung ist: Gewaltsamkeit und monströse Größe - diese Eindrücke nehmen schon früh das massive Unbehagen an dieser Art des Bauens vorweg. Auch ein anderer Begriff für den Bau zeigt, wie groß das Gefühl der Widernatürlichkeit dieses Stils war: "Wohnmaschine". Bei dieser Tonlage aus Furcht und Abscheu blieb es: "Ein Haus wie ein Ozeandampfer. Kurz hinter der Bucht von Marseille auf Grund gelaufen" - so beginnt eine Reportage des "Deutschlandfunk" über die Wohnanlage aus dem Jahr 2015.

Das große Manko der Frankfurter Ausstellung ist: Die Frage, wie diese Architekturform aufgenommen wurde, wird kaum thematisiert, und so wird auch nicht gefragt, warum diese Bauten bald als "Monster" empfunden wurden. Der Titel spielt zwar darauf an - "Rettet die Betonmonster!", aber das Monströse an diesen Monstern wird außer Acht gelassen. Gewicht erhält vor allem der appellative Teil: "SOS Brutalismus - rettet die . . ." Die Frage, warum man eigentlich Monster retten und nicht viel mehr vernichten soll, wird ironisch weggelächelt.

Diese Kritik übt in wünschenswerter Deutlichkeit das Kunst-Magazin "Art" - und zwar in Bericht und Kommentar. Der Bericht ist geprägt von beißendem Sarkasmus. "Wer in einem ungeschliffenen Betonklotz aus den siebziger Jahren tagein tagaus sein Schülerdasein fristen musste und später auch noch seine Uni-Zeit in einem ebenso lichtlosen Ungetüm, ist aufgerufen, Nervenstärke zu demonstrieren, angesichts einer Ausstellung, die sich unter dem Titel "SOS Brutalismus - Rettet die Betonmonster" liebevoll der Täter annimmt, statt mit den traumatisierten Opfern mitzufühlen", schreibt Art-Autorin Alexandra Wach. Später fragt sie genauso bissig zu der "SOS Brutalism"-Liste (auf der ja auch das Seidenweberhaus gelandet ist): "Ob man sich dieser Kampagne anschließen möchte, hängt wohl vom Grad der persönlichen Misshandlung ab." Der Kommentar dazu vom Kunsthistoriker Raphael Dillhof ist überschrieben mit "Aber hier leben, nein danke". Kernthese: All die, die sich nun plötzlich für den Brutalismus einsetzen, kämen im Leben nicht auf die Idee, in solchen Betonmonstern zu leben. Die Generation Instagram, ätzt der Autor, flirtet mit dem Schrecklichen und lebt selbst in schicken Altbauwohnungen.

Der Blick in den Katalogband bestätigt die Berechtigung dieser erfrischenden Polemik. Das Monsterhafte an den Betonmonstern wird geflissentlich ausgeblendet und taucht ausdrücklich nur an einer Stelle auf. Die Denkmalschutzexpertin Ingrid Scheurmann geht in ihrem Beitrag für den Katalog auf die Wirkungsgeschichte brutalistischer Bauten ein. Ihr Artikel heißt: "Denkmalschutz für unwirtliche Baudenkmäler? Zu Wert- und Vermittlungsfragen von Bauten des Brutalismus". Sie kommt zu dem Ergebnis: Die Erhaltung brutalistischer Bauten setze eine gesellschaftliche und fachliche Wertschätzung voraus, "die gegenwärtig noch nicht erkennbar ist und deren Fehlen sich auch nicht reduzieren lässt auf vermeintliche Vermittlungsdefizite". Heißt ja wohl: Man ist kein ahnungsloser Provinzkopp, wenn man Brutalismus ablehnt; es gibt vielmehr gute Gründe dafür.

Doch warum diese Bauten von Anfang an als "unwirtlich" empfunden werden - darauf geht diese Ausstellung analytisch nicht ein, weil sie nicht darauf eingehen will. Dabei wäre genau das aufschlussreich für die Zunft der Architektur: Was ist strukturell schiefgelaufen, dass ein Stil kollektiv als monströs empfunden wird?

Was heißt das alles für Krefeld? Der Hinweis, das Seidenweberhaus sei als Vertreter des Brutalismus geadelt durch die Erwähnung in einer Ausstellung und quasi künstlerisch wertvoll, verfängt nicht. Diese Frankfurter Ausstellung ist kein Beleg für den ästhetischen Wert dieses Gebäudes. Ein Abriss, so er denn beschlossen wird, ist kein Sakrileg an wertvoller Architektur, sondern die Korrektur eines historischen Irrtums. Die Moderne hat manche Monster geboren. Der Brutalismus gehört dazu.

(RP)
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