Krefeld Das schreckliche Schicksal der Mary Turner

Krefeld · Das KWM zeigt Fabian Marcaccios Bild "The Lynching of Mary Turner". Zugrunde liegt ein wahrer Fall, der US-Gesetze revolutionierte.

 Mit einer Gedenktafel erinnert "The Mary Turner Project" an die grausamen Ereignisse vom 19. Mai 1918, als 28-jährige Schwangere gelyncht wurde.

Mit einer Gedenktafel erinnert "The Mary Turner Project" an die grausamen Ereignisse vom 19. Mai 1918, als 28-jährige Schwangere gelyncht wurde.

Foto: Foto; MTP

Die jüngste Neuerwerbung der Krefelder Kunstmuseen, das Bild "The Lynching Of Mary Turner" von Fabian Marcaccio, zählt zu den herausragenden Stücken der Eröffnungsausstellung im Kaiser-Wilhelm-Museum. Es erzählt eine erschütternde Geschichte, die angesichts erneut steigender Spannungen zwischen Schwarzen und Weißen in den USA nicht vergessen werden sollte.

Als Lynchjustiz bezeichnet man die eigenmächtige Hinrichtung tatsächlicher oder vermeintlicher Verbrecher oder unliebsamer Personen, ohne dass ein ordentliches Gerichtsverfahren vorausgegangen wäre. Charakteristisch für diese krasse Form illegaler Selbstjustiz ist, dass sie nicht von Einzeltätern verübt wird, sondern jeweils von einer fanatisierten Volksmenge, einem Mob. Nachdem die Sklaverei in den Vereinigten Staaten von Amerika 1865 offiziell abgeschafft worden war, bedienten sich besonders in den Südstaaten rassistische Organisationen wie der Ku-Klux-Klan, aber auch spontane Zusammenrottungen in der weißen Landbevölkerung dieser grausamen Praxis, um die unumschränkte Herrschaft der weißen Rasse zu demonstrieren und die schwarze Bevölkerung soweit einzuschüchtern, dass sie keine Gegenwehr wagte, wenn sie auf den Farmen übelst ausgebeutet, nicht selten gänzlich selbst um den kärgsten Lohn betrogen und außerdem auch noch körperlich misshandelt wurde. Bis in die 1960er Jahre hinein wurden schwarze Amerikaner, die sich größenteils nicht einmal der kleinsten Straftat schuldig gemacht hatten, Opfer der Lynchjustiz.

Zu den Plantagenbesitzern, die noch 1918 ihre schwarzen Arbeiter de facto völlig rechtlos hielten, gehörte auch der 31-jährige Hampton Smith in Brooks County (Georgia). Er war für seine Methoden weithin bekannt, doch als einer der von ihm Misshandelten und Geprellten, der 19-jährige Sidney Johnson, im Mai 1918 die Selbstbeherrschung verlor und auf seinen Peiniger schoss, ihn dabei tötete und dessen Ehefrau leicht verletzte, da richtete sich die moralische Empörung keineswegs gegen den skrupellosen Smith, sondern ausschließlich gegen den Schwarzen, der es gewagt hatte, sich gegen den weißen Herrn zu wehren.

Ein Mob, der im Laufe mehrerer Tage auf geschätzte 700 Täter anschwoll, übte blutige Rache und ließ es beim Lynchmord an Sidney Jones nicht bewenden. Mindestens 13 Menschen, möglicherweise mehr, fielen der Raserei zum Opfer, darunter auch der 26-jährige Hayes Turner. Der war zwar gar nicht in der Nähe gewesen, als die Schüsse auf den Plantagenbesitzer fielen, doch er hatte zu einem früheren Zeitpunkt einmal Smith bedroht, nachdem dieser Turners Frau geschlagen hatte. Das genügte, auch er wurde gelyncht.

Turners Frau war die 28-jährige Mary Hattie Turner, geborene Graham. Mit ihrem dritten Kind im achten Monat schwanger und um ihren ermordeten Mann trauernd, klagte sie öffentlich, dass der Mob einen Unschuldigen gelyncht habe und verlangte, die Täter müssten verhaftet werden. Diese Äußerungen wurden ihr in der Presse als "unwise remarks" (zu deutsch: "unkluge Bemerkungen") und Zeichen von "attitude" angekreidet. Und im Sprachgebrauch weißer US-Bürger in Bezug auf Schwarze war mit dem Wort "attitude" bis in die 1970er Jahre hinein keineswegs "innere Einstellung" in einem neutralen Sinne oder gar "Haltung" im Sinne charakterlicher Festigkeit gemeint, sondern stets "Anmaßung": die Anmaßung eines Schwarzen, zu glauben, dass er den Weißen gegenüber so etwas wie Rechte hätte. Der Mob reagierte sofort und beschloss, auch ihr "eine Lektion zu erteilen".

Zwar versuchte Mary Turner noch, zu fliehen, doch an der Folsom's Bridge auf der Grenze zwischen den Counties Brooks and Lowndes holte die blutrünstige Menge sie ein. Die Handlungen, mit denen man sie und gezielt auch ihr Ungeborenes umbrachte, waren von solch bestialischer Grausamkeit, dass sie hier nicht geschildert werden sollen. Der Fall Mary Turner ist jedoch ausführlich dokumentiert (Julie Armstrong Buckner, "Mary Turner and the Memory of Lynching", Georgia University Press, 2011 / Christopher Myers "Killing Them by the Wholesale: A Lynching Rampage in South Georgia", Georgia Historical Quarterly. Vol. XC. No. 2., 2006 / "Memorandum For Govenor Dorsey from Walter F. White," July 10, 1918, Papers of the NAACP, Group I. Series C, Box 353, Library of Congress, Washington, D.C.).

Ein Aufschrei, der daraufhin durch Teile der amerikanischen Öffentlichkeit ging, währte nur kurz. Obwohl Hugh Dorsey, seinerzeit Gouverneur von Georgia, einen ausführlichen Untersuchungsbericht mit 17 konkreten Täternamen erhielt, wurde niemand jemals angeklagt, geschweige denn verurteilt. Noch im Tatjahr 1918 brachte der republikanische Congress-Abgeordnete Leonidas C. Dyer aus Missouri seine "Dyer Anti-Lynching Bill" im Congress ein, wo sie vom Repräsentantenhaus akzeptiert und auch vom Senat wohlwollend kommentiert wurde. Doch die der Demokratischen Partei angehörenden Senatoren der Südstaaten blockierten das Gesetz in den Jahren 1922 bis '24 immer wieder. Gesellschaftlicher Fortschritt war in jener Zeit noch eher bei den Republikanern zuhause. Bei den Demokraten setzten sich die progressiven Kräfte erst ab etwa 1950 unter den Präsidenten Harry S.Truman und John F. Kennedy durch. Und erst im Juni 2005 bat der Congress in einer offiziellen Resolution um Entschuldigung dafür, bei der Verabschiedung eines Anti-Lynching-Gesetzes versagt zu haben, als es am dringendsten gebraucht wurde.

Abgeschlossen ist das aufwühlende Kapitel bis heute nicht. Die kleine Mahntafel, die man im Mai 2010 in der Nähe des Tatorts für Mary Turner errichtete, wurde im Juli 2013 von unbekannten Tätern beschossen und durchlöchert.

(RP)
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