Interview mit Helmut Schroers "Das hat mich sehr verletzt"

Krefeld · Ende August geht Helmut Schroers, Leiter der Mediothek, in den Ruhestand. Wir sprachen mit ihm über die Ungeduld der Seele eines Bücherfreundes, über Entwicklungen im Bibliothekswesen - und über Verletzungen im politischen Tageskampf.

 Buchmensch voller Ungeduld der Seele: Helmut Schroers in der Mediothek. Er verteidigt die Schließungen von Stadtteilbibliotheken - auch wenn es ihn schmerzt, sieht er keine Alternative.

Buchmensch voller Ungeduld der Seele: Helmut Schroers in der Mediothek. Er verteidigt die Schließungen von Stadtteilbibliotheken - auch wenn es ihn schmerzt, sieht er keine Alternative.

Foto: Lammertz

Wenn Helmut Schroers vom Schreibtisch hochschaut, fällt sein Blick auf ein Plakat mit einem Zitat von Fernando Pessoa: "Alles in mir neigt dazu, weiterzugehen und etwas anderes zu werden; es ist eine Ungeduld der Seele mit sich selbst wie mit einem lästigen Kind; eine wachsende, immer gleiche Unruhe. Alles fesselt mich und nichts hält mich." Ein Lebensmotto? Schroers kam 1991 als stellvertretender Leiter der Stadtbücherei nach Krefeld. Seit 2000 leitet er das Haus, plante und begleitete den Neubau und die neue Ausrichtung der heutigen Mediothek. Ende des Monats geht der 60-Jährige in den vorgezogenen Ruhestand.

Herr Schroers, verspüren Sie auch diese Ungeduld der Seele?

Helmut Schroers Absolut. Deshalb ist es erstaunlich, dass ich 25 Jahre in Krefeld geblieben bin.

Lag das daran, dass Sie hier eine sehr spannende Zeit erlebt haben ? Aus der alten Stadtbücherei ist die Mediothek geworden, die als Vorzeige-Bibliothek überregional gilt, und das Buch hat Konkurrenz durch neue Medien bekommen.

Schroers Ich bin froh, dass ich den Neubau der Mediothek mitgestalten durfte, das ist eine einmalige Chance gewesen. Wenn wir in die Historie blicken, bedauere ich, dass ich das Goldene Zeitalter der Bibliotheken in den 70er und 80er Jahren nicht erlebt habe, als überall Zweigstellen aus dem Boden schossen. Allein Duisburg hatte damals 30 Zweigstellen. Aus dem Wirtschaftswundergedanken heraus wurde die Infrastruktur gebaut mit zahlreichen Bibliotheken, Jugendzentren, Stadthallen, Bädern. Man hat sich damals nicht vorgestellt, dass man sich das mal nicht mehr würde leisten können. So fällt in meine Zeit auch die schmerzhafte Erfahrung, dass eine Bücherei nach der anderen geschlossen wurde.

In Krefeld ging die Schließung der Zweigstelle Uerdingen mit viel Protest einher. Noch immer gibt es die Montagslesungen, in der Hoffnung, den Ratsbeschluss noch einmal umzukehren. Sie haben sich nicht gegen die Schließung positioniert. Warum nicht?

Schroers Natürlich schmerzt jede Schließung. Unter den finanziellen Rahmenbedingungen gab es aber keine Alternative. Wir können uns nur eine Zentralstelle leisten. Zuvor waren ja bereits Fischeln geschlossen und der Bücherbus eingestellt worden. Die Schließung in Uerdingen war für mich ein traumatisches Erlebnis, weil ich zum ersten Mal erlebt habe, dass ich persönlich angegriffen wurde. Das hat mich sehr verletzt.

Glauben Sie, die Uerdinger Bücherei hat eine Chance auf Wiedereröffnung?

Schroers Das wäre sehr schwierig, weil es immens viel Geld kostet. Solange der städtische Etat so eng ist, ist das nicht möglich. Ich hätte es für sinnführender gehalten, wenn die Proteste darauf gezielt hätten, dass Mittel für die Bibliothek nicht gekürzt würden. Die Zentralstelle bündelt die Ressourcen, um für alle Stadtteile ein gerechtes Angebot zu machen.

Macht das wachsende Angebot an neuen Medien dem Buch Konkurrenz? Hält es vom Lesen ab, statt Leselust zu fördern?

Schroers Darüber mag man diskutieren. In den 1950er und 60er Jahren haben sich Bibliotheken als Institute mit erzieherischem Auftrag verstanden, die den Leuten gute Literatur nahe bringen und bestrebt sind, mit qualitativ Hochwertigem den Geschmack zu beeinflussen. Das ist heute anders. Wir werden von den Steuergeldern aller Bürger bezahlt, deshalb, so finde ich, müssen wir auch Angebote für alle machen. Mit den sogenannten buchfernen Medien wie Filmen und Computerspielen locken wir Leute an, die dann erst wahrnehmen, dass es Bücher gibt. In den Bibliotheksleitungen gibt es unterschiedliche Positionen. Meine Eltern kommen aus kleinen Verhältnissen, für mich galt als Leitlinie, eine Bibliothek zu haben, in die hineinzugehen sie sich getraut hätten.

Bedeutet das auch einen Wandel im Bestand - wie in den Buchhandlungen: weniger Klassiker, mehr Unterhaltung, Krimis und Kochbücher?

Schroers Wir haben immer schon Krimis und Science Fiction geführt. Das ist wichtig, weil viele Leute zur Entspannung und zur Unterhaltung lesen. Wir haben auch eine kleine Ecke mit erotischer Literatur. Bei den Sachbüchern sind unsere Schwerpunkte Medizin und Reise. In anderen Bereichen ist das Interesse an Sachbüchern drastisch gesunken - als Folge des Internets. Bei den Klassikern haben wir eine Auswahl - die sind immer dann gefragt, wenn sie im Theater gespielt werden.

Glauben Sie an die Zukunft des Buches?

Schroers Absolut. Bücher wird es immer geben, weil es immer Menschen gibt, die es schätzen, mit einem Buch im Bett zu liegen oder im Sessel zu sitzen.

Lässt sich jedes Kind fürs Lesen begeistern?

Schroers Fast jedes Kind. Es ist wichtig, den richtigen Rahmen zu schaffen, eine entspannte Umgebung, und das richtige Buch ist entscheidend. Grundsätzlich ist es heute für Kinder schwieriger, sich längere Zeit auf ein Buch zu konzentrieren. Entscheidend ist, wann Kinder mit Literatur konfrontiert werden. Wenn sie in die Schule kommen und lesen lernen, ist es dafür meist zu spät. Studien belegen, dass sich das Medienverhalten im dritten bis vierten Lebensjahr entscheidet. Deshalb sind Bilderbücher und Vorlesen wichtig. Lesen ist die unverrückbare Grundtechnik, die alle anderen kulturellen Fähigkeiten erst ermöglicht. Darum ist es uns wichtig, dass wir alle Kitas mit den sogenannten Zwergenbibliotheken ausstatten.

Können Sie sich ein Leben ohne Bücher vorstellen?

Schroers Nein. Als Kind habe ich alles von Karl May verschlungen. Vom Ersparten habe ich mir als Schüler eine Brockhaus-Ausgabe gekauft. Während meines Berufslebens hatte ich wenig Zeit, privat zu lesen. Wenn, dann am liebsten Alpenkrimis von Jörg Maurer oder Eifelkrimis von Jacques Berndorf zur Unterhaltung. Das wird sich künftig vielleicht ändern.

Verspüren Sie nach so vielen Jahren zwischen den Büchern Lust, selbst zu schreiben?

Schroers Auf gar keinen Fall. Ich konzentriere mich auf meine beiden Enkelkinder und auf die Musik. Ich spiele in zwei Bands, "X Nights Only" und dem Kölsch-Katholischen Ensemble. In meiner Heimatstadt Mönchengladbach werde ich mich einem Session-Kreis anschließen. Und ich möchte mir noch viel von der Welt angucken.

DAS GESPRÄCH FÜHRTE PETRA DIEDERICHS

(RP)
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