Krefeld Bodo Kirchhoffs spannende Erzählkunst in Zeitlupe

Krefeld · Der Schriftstelle, Träger des Deutschen Buchpreises 2016, las in der Volkshochschule aus seiner Novelle "Widerfahrnis".

 Bodo Kirchhoff erreicht mit seiner modulationssicheren Stimme, dass man ihm gern zuhört.

Bodo Kirchhoff erreicht mit seiner modulationssicheren Stimme, dass man ihm gern zuhört.

Foto: Thomas Lammertz

Der Gast aus Frankfurt - ihm ist sein Alter, 69, nur am weißen Haar anzumerken - braucht außer klarer Artikulation nichts weiter, um sein Publikum in Bann zu ziehen. Bodo Kirchhoff erreicht mit seiner modulationssicheren Stimme, dass man ihm gern zuhört.

Dass ein Meister der Sprache in der Volkshochschule zugegen ist, wissen Fans des Schriftstellers nicht erst seit dem Vorjahr, da Kirchhoff mit dem Deutschen Buchpreis hochklassig ausgezeichnet wurde. Nun konnten ihn Andreas Gräbner, Fachbereichsleiter Kulturelle Bildung an der VHS, und Wolfgang Behl vom Anderen Buchladen nach Krefeld lotsen. Zum zweiten Mal seit 1990, damals hatte Kirchhoff hier seinen Roman "Infanta" präsentiert.

Nun also "Widerfahrnis", eine Novelle, die er, wie der Autor betont, nur als Interimswerk während der Arbeit an einem größeren Romanprojekt, verfasst hat. Schon das vorgelesene Anfangskapitel offenbart den hohen künstlerischen Rang dieses Erzählers. Eine triviale Romanze um die zwei Hauptfiguren von "Widerfahrnis" hätte die Buchpreis-Jury auch wohl kaum zur Preisvergabe animiert. Die Handlung entspinnt sich, als der Ex- Verleger Reither in seiner Wohnung im Oberallgäu eines Abends überraschend Damenbesuch erhält. Vor seiner Tür steht Leonie Palmer, Leiterin eines Literaturkreises. Wie in Zeitlupe wird nun das Tableau bestückt, wobei der sezierende Blick auf Details und eine phänomenale Erzählkunst keine Sekunde langweilen. Virtuos streut Kirchhoff skurrile Wendungen ein, etwa wenn er Reither sagen lässt: "Wir sind hier nicht in einem Buch, wir stehen in einer Wohnung." In Kenntnis solcher Kniffe versprach Buchhändler Wolfgang Behl vom Anderen Buchladen den Zuhörern schon bei der Begrüßung: "Aus diesem Buch werden Sie das wirkliche Leben erfahren."

Wirklichkeit gemeinsam erleben Reither und Palm auf ihrer spontan beschlossenen Autoreise durch die Alpen bis nach Sizilien. Dort begegnet ihnen ein rätselhaftes Mädchen, das nicht spricht. Es bringt eine Wende in das Geschehen, wobei der Titel "Widerfahrnis", den Kirchhoff bei Heidegger und der Existenzphilosophie fand, im Sinne von einem Geschick, dem die Protagonisten ausgeliefert sind, Beglaubigung erlangt. "Meistens stecken die Titel tief in den Büchern verborgen", erklärt der Autor. Und fügt hinzu: "Man schreibt lange Romane, weil man nicht an kurze Antworten glaubt."

Als Zugabe liest Bodo Kirchhoff abschließend eine Passage aus seinem jüngsten Werk, der "Einladung zu einer Kreuzfahrt". An einer solchen hat er als "Edutainer" auf einem Schiff in der Karibik übrigens selbst teilgenommen. Da schlägt der Humor Purzelbäume - was belegt, dass dem Autor von Wälzern wie "Die Liebe in groben Zügen" auch das kleine Format liegt.

Bodo Kirchhoff: Widerfahrnis. Frankfurter Verlagsanstalt; 21 Euro

(RP)
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