Krefeld Ballettfans feiern Jacques Offenbach

Krefeld · Mit großem Jubel quittierte das Publikum die Premiere des Ballett-Doppelabends "Petruschka/Offenbach". Chefchoreograf Robert North hat einen humorvollen und feinsinnigen Tanz- und Bilderreigen vorgelegt, der besonders im zweiten Teil begeisterte.

 Petruschka (Alessandro Borghesani) umgarnt die schöne Ballerina (Elisa Rossignoli). Doch die ziert sich gehörig.

Petruschka (Alessandro Borghesani) umgarnt die schöne Ballerina (Elisa Rossignoli). Doch die ziert sich gehörig.

Foto: Matthias Stutte

Was für ein Offenbach: Wenn er die lange spitze Nase durch den roten Raffvorhang streckt, mit frechem Blick hinter den Brillengläsern ins Publikum zwinkert - und dann Arme und Beine sehen lässt, die schon aus anatomischen Gründen nicht zu ihm gehören können, dann hat er die Hälfte des Publikums erobert. Die zweite Hälfte verfällt seinem kauzigen Charme, wenn er zu tanzen beginnt - in so atemberaubendem Tempo wie ein Duracell-Hase und so elegisch elegant wie es einem aus der Hölle in ein himmlisches Leben beförderten Schöngeist geziemt: Paolo Franco scheint die Rolle des Jacques Offenbach auf den Leib choreografiert. Als Komponist, der nach seinem ergreifenden Tod am Dirigentenpult von den Göttern der Unterwelt eine Gnadenfrist gewährt bekommt und sich unversehens 40 Jahre in der Zukunft in den wilden Zwanzigern im übersprudelnden Pariser Künstlerleben findet, kann der italienische Solotänzer alle seine Trümpfe ausspielen: hohe Sprünge, rasante Tempi und eine betörende Beweglichkeit. Dazu ein unfehlbares Gespür, mit feinsten Details Humor zu zeigen, wenn er sich von der anmutigen "Seele von Paris" (Karine Andrei-Sutter) durch die neue Welt führen lässt. Mit riesigem Jubel feierte ihn das Premierenpublikum.

 Bei Offenbachs Musik hebt nicht nur der Komponist (Paolo Franco) ab, auch die Eiffeltürmchen und Soldaten geraten ordentlich in Schwung in der Choreografie "Offenbach".

Bei Offenbachs Musik hebt nicht nur der Komponist (Paolo Franco) ab, auch die Eiffeltürmchen und Soldaten geraten ordentlich in Schwung in der Choreografie "Offenbach".

Foto: © Matthias Stutte

In seinem Ballett-Doppelabend "Petruschka/Offenbach" blättert Robert North einen fulminanten Bilderfächer auf. Er lässt Offenbach die Aufbruchsstimmung der französischen Metropole nach dem Ersten Weltkrieg inhalieren, konfrontiert ihn mit den großen und kleinen Revolutionen der Kunst. Da taucht Picasso mit bahnbrechend abstrakter Malerei auf, aus seinen Bildern entsteigen Figuren, die so ganz anders sind als die Formschön-Ästhetik einer Rodin-Skulptur (die Jessica Gillo und Robin Perizonius als Marmor-Wesen traumschön tanzen). Igor Strawinsky fordert Meister Jacques mit dem Dirigentenstab zum Duell. Doch natürlich gewinnt der Operettenkönig - mit dem von Picasso gemopsten Pinsel. Dazu diese Musik, die nach Bewegung schreit: North kombiniert die Ohrwürmer aus "Orpheus in der Unterwelt, "Pariser Leben" und "Die schöne Helena" mit Strawinsky-Etüden, um das Kraftfeld auszuloten, in dem die Kunstwelt damals Funken sprühte. Die Operetten-Ohrwürmer treffen auf die Disharmonien der Moderne. Unter der Leitung von Alexander Steinitz geben die Niederrheinischen Sinfoniker dazu ordentlich Dampf. Das hat Spritzigkeit und Frische - und selbst der Cancan kann überraschen, wenn unter dem roten Plüschvorhang nur flinke Füße blitzen.

Da hat Strawinsky einen schweren Stand. Auch nach 100 Jahren ist seine wilde, eruptive, oft bis zur Schrillheit gepeitschte Musik noch schräg und vielen fremd. Für "Petruschka" hat North das alte Jahrmarktsmärchen vom Puppenspieler und seinen zum Leben erwachenden Puppen modernisiert: Der Puppenspieler (Luca Ponti) ist ein doppelgesichtiger Scharlatan, mal alter Mann, mal personifizierter Tod, der sich in einen Glamour-Showman verwandelt und die Geschicke seiner Wesen beobachtet. Der traurige Petruschka(Alessandro Borghesani klinisch-weiß gekleidet wie ein Spital-Insasse) und der fiese Geheimdienstler (im Original der Mohr), den Raphael Peter mit dunkler Sonnenbrille und gehöriger Schmierigkeit darstellt, werben um dieselbe Frau, eine kapriziöse Tänzerin (sehr agil: Elisa Rossignoli). Dass da am Ende eine Bombe platzen wird, ist klar. Das geschieht höchst originell.

Beide Choreografien sind vor 20 Jahren entstanden, jetzt sind sie erstmals zusammengefügt und bilden eine homogene Einheit voller frischer Ideen und unglaublicher Bewegung. Andrew Storer hat dazu schillernde Kostüme und Bühnenbilder entwickelt, die den jeweiligen Zeitgeist umreißen. Der große Applaus galt der gesamten Compagnie. Für den erkrankten North nahm Ballettmeisterin Sheri Cook die Ovationen stellvertretend an.

(RP)
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