Krefeld Alarmstufe rot: Wie Seniorinnen sich wehren können

Krefeld · Im Selbstverteidigungskursus lernten Frauen über 60, sich in Konflikten und gegen Angreifer durchzusetzen.

Krefeld: Alarmstufe rot: Wie Seniorinnen sich wehren können
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Martina Kuschel ist eine starke Frau. Ihre Körperhaltung ist aufrecht, ihre Antworten sind direkt, ihr Blick sucht beständig den Augenkontakt. Und wenn sie möchte, ist sie richtig laut - trotz einer Erkältung. "Das, was ich mache, kann jede Frau. Sie muss es nur wollen und ihre Fähigkeiten richtig einsetzen", sagt die WenDo-Trainerin, die Selbstverteidigungskurse anbietet. An diesem Abend beginnt ein Kursus für Frauen ab 60.

 Trainerin Martina Kuschel (mit Mütze) spielt einen jungen Mann, der eine Gruppe Frauen belästigt. Die Seniorinnen wehren sich zunächst mit Worten, signalisieren dann durch ihre Handhaltungen, dass sie in Ruhe gelassen werden wollen, und gehen am Ende sogar gegen den Angreifer vor. Der Mann hat keine Chance.

Trainerin Martina Kuschel (mit Mütze) spielt einen jungen Mann, der eine Gruppe Frauen belästigt. Die Seniorinnen wehren sich zunächst mit Worten, signalisieren dann durch ihre Handhaltungen, dass sie in Ruhe gelassen werden wollen, und gehen am Ende sogar gegen den Angreifer vor. Der Mann hat keine Chance.

Foto: Martina Kuschel

Sieben Teilnehmerinnen kommen in den Übungsraum im DRK- Haus Burchartzhof. Einige sind unsicher, haben vorher lange überlegt, ob Selbstverteidigung etwas für sie sein könnte. "Keiner muss jede Übung mitmachen, alles ist freiwillig. Jeder sollte nur das machen, wozu er körperlich in der Lage ist", erklärt Martina Kuschel. Sie interessiert, welche Situationen den Frauen Angst machen, in welchen sie sich hilflos gefühlt haben. Denn Angst und Hilflosigkeit schränken ein. Das wird schnell deutlich, als die Teilnehmerinnen erzählen. Nach einem Vorfall mit einem Exhibitionisten geht eine Seniorin nicht mehr alleine in den Wald, den sie eigentlich so liebt. Eine andere fährt nach dem Theaterbesuch schnell nach Hause, statt den Abend gemütlich in einer Gaststätte ausklingen zu lassen, weil sie ungern alleine durch das dunkle Parkhaus geht. "Das Parkhaus ist der Klassiker", stellt die Trainerin fest. Das weibliche Kopfkino springt an, und die eigene Hilflosigkeit verstärkt noch das Angstgefühl. Aber sind Seniorinnen wirklich hilflos?

"Nein. Ganz und gar nicht", sagt Martina Kuschel und beweist den Teilnehmerinnen in zahlreichen Übungen das Gegenteil.

Die Frauen, die vorher so verzagt wirkten, brüllen in Rollenspielen ihren Angreifer an, gehen mutig auf ihn zu und weisen ihn mit bestimmten Worten, eisigen Blicken und eindeutigen Handzeichen in seine Schranken. In der Konfrontation scheinen sie zu wachsen, machen sich extra groß und stehen mit beiden Füßen fest auf dem Boden. Und auch vor den Fäusten der über 60-Jährigen sollte Mann sich in acht nehmen. Sie zerschlagen mühelos Bretter - zur Not auch mit links. Man mag sich gar nicht vorstellen, was sie mit der Nase eines Angreifers anrichten könnten.

Martina Kuschel erklärt: "Frauen machen sich häufig zu viele Gedanken über die Folgen ihres Handelns und ob aggressives Verhalten in dieser Situation erlaubt ist. Richtig ist: Wenn mich jemand angreift, darf ich mich wehren und zwar mit allen Mitteln, die mir zur Verfügung stehen. Ich darf unfair sein, laut, böse und gemein. Und ich darf weh tun. Tu ich es nicht, wird mir weh getan."

Laut sein, muss gelernt werden. Mit einem Schrei schlägt die Seniorin Martina Kuschel ein Polster aus den Händen und erfährt: Schreien ist gut. Wer schreit, erzeugt Aufmerksamkeit und verschreckt Angreifer.

Aber auch die Kraft wächst mit jedem Schrei, während Panik durch das regelmäßige Ausatmen beim Schreien verhindert wird. "Panik entsteht durch Sauerstoffmangel im Gehirn. Wenn wir Angst haben, halten wir unbewusst die Luft an. Das Adrenalin, das eigentlich die physische Kraft steigert, wenn jemand normal atmet, lähmt den Körper in zu großen Mengen."

Die Trainerin zeigt, welche Stellen am Körper gerieben werden müssen, um erst gar keine Panik aufkommen zu lassen (unterhalb des Schlüsselbeins oder unter und über der Lippe).

Frauen sollen keine Opfer sein - doch sie sollen auch nicht um jeden Preis die Konfrontation suchen. Häufig gibt es andere Möglichkeiten. Weglaufen zum Beispiel, an Häusern klingeln, in Geschäfte gehen, Passanten ansprechen oder Autofahrer anhalten. Ist die Situation ausweglos, rät Martina Kuschel zum Angriff. Dabei kann es schon reichen, dem vermeintlichen Täter mit festem Schritt entgegen zu gehen, ihn mit kühlem Blick zu taxieren und direkt anzusprechen. "Die meisten suchen ein Opfer, das sie schnell überwältigen können. Durch offensives Verhalten durchbricht man diese Rolle und verschiebt die Kräfteverhältnisse. Damit rechnen die meisten Täter nicht und lassen von ihrem Opfer ab."

Am Ende des Kursus ist klar: Auch Frauen über 60 sind alles andere als wehrlos. Mit neuem Selbstbewusstsein und dem Gefühl, auf Angstsituation besser vorbereitet zu sein, verlassen die Teilnehmerinnen den Burchartzhof. Sie wollen sich nicht mehr klein machen lassen - weder von überheblichen Gesprächspartnern, noch von aufdringlichen Männern oder pöbelnden Jugendlichen. Und wenn doch Selbstzweifel kommen, denkt Frau an das Brett. Das hatte gegen ihre Faust auch keine Chance.

(RP)
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