Krefeld A bisserl Amore, Baby!

Krefeld · Saufen, Sex, Rauchen und Bussi Baby: Die Wiener Band Wanda postuliert in der ausverkauften Kulturfabrik die Männlichkeit vergangener Tage. Die Leute lieben Wanda, obwohl oder weil ihr Konzert diabolisch wirkt. Versuch einer Annäherung.

 Marco Wanda hat das Sakko schon ausgezogen: Auf der Bühne der Kulturfabrik geht es gleich zur Sache. Die Wanda-Jungs zelebrieren ihr Verständnis von Männlichkeit, und die Fans im ausverkauften Saal feiern mit.

Marco Wanda hat das Sakko schon ausgezogen: Auf der Bühne der Kulturfabrik geht es gleich zur Sache. Die Wanda-Jungs zelebrieren ihr Verständnis von Männlichkeit, und die Fans im ausverkauften Saal feiern mit.

Foto: Thomas Lammertz

Ja, genau! Bloß weg mit diesem schrecklichen Sakko. Marco Wanda wackelt mit den Händen in der Luft und, Hoppalla, eine Pirouette. Dann wirft er das weiße Ding weg und knöpft sein Hemd auf. Das aber lässt er an und man ist unsicher, ob das eine gute Idee ist. Sein weißer Bauch blitzt nicht nur hervor, er drängt schlicht in die Öffentlichkeit. Wanda grinst breit, die Kippe in der einen, den Schnaps oder was auch immer er da trinkt, in der anderen Hand. Besonders behaart ist sein Körper nicht, jedenfalls der Teil, den man sieht. Aber rasiert ist Wandas Bauch auch nicht. Wozu auch? Er ist halt ein Mann, eh klar.

Marco Wanda ist nicht nur ein Mann, sondern auch ein Mann, der sich wohl überdurchschnittlich geil findet. Er findet sich nicht gut, nicht schön, nicht perfekt oder gelungen, er findet sich halt geil. Da hilft kein anderes Wort. Und für einen Abend auf der Bühne, im Konzert in der Kufa, finden ihn alle anderen auch einfach geil. Und Wanda genießt das, wippt herum, singt, raucht, macht obszöne Bewegungen mit seinen Hüften. "Ihr findet's nicht gut?", glaubt man in seinen Augen zu lesen. "Dann haut's halt ab!"

Wanda ist mit seiner Band auf dem Vormarsch, seit sich das Feuilleton auf sie gestürzt hat. Die Wiener laufen rauf und runter im Radio; "1, 2, 3, 4" oder "Bologna" sind das, was man heute Hits nennt. Will man sie klassifizieren, einordnen in ein Genre, dann droht man zu scheitern. Ist das Rock? Pop? Oder, Obacht, Schlager? Man hört Falco leise im Ohr, oder auch ein bisschen lauter - und leider auch Andreas Gabalier. Man weiß gar nicht, wen dieser unfreiwillige Vergleich mehr beleidigen würde und will sich gleich dafür entschuldigen.

Es sind wunderbare Melodien, die Wanda spielt, nahezu perfekt. Schon beim ersten Hören hämmern sich die Takte ins Hirn, sie diktieren Stimmung, Bewegung und was man beim Spazieren vor sich her pfeift. Wirklich bewundernswert schön ist das. Man könnte auf einem Balkon stehen, mitten in der Nacht, melancholisch in die unsichtbare Ferne blicken und auch als Nichtraucher dazu rauchen und Marillenschnaps saufen. Dann träumt man, denkt an gestern, an heute und morgen. Und mitten rein schreit Wanda: "Du wirst von Sternen high, ich bin da nicht so frei, ich brauch' schon Schnaps oder irgendwas."

Es sind hin und wieder Allgemeinplätze, die Wanda verkünden. Und es ist auch erst recht nicht immer alles klug. "Fahr mit ihr in eine schöne Bar. Darauf legt sie sehr viel Wert. Sag ihr, sie hat wunderschönes Haar. Dass ich das so selten sagte, darüber hat sich beschwert", singen sie etwa in "Nimm sie, wenn du's brauchst". Ja, du lieber Himmel, was wollen sie denn damit sagen? Frauen sind alle doof? Sind für 20 Cent zu haben, wenn man ihnen eine schöne Bar anbietet und ihr Haar lobt? Sicher nicht.

Dieser obszöne Wiener Schmäh, dieses arrogante, versnobte Gespöks, das hat auch etwas Diabolisches. Es ist nicht zwingend fröhlich, was hier passiert. Keiner ist einfach so beschwingt von Wanda. Man kann zwar mitsingen, tanzen und, ja, auch durchdrehen und Stagediving betreiben. Aber man kann auch da stehen, an der Wand lehnen, ein Bier trinken, und sich schrecklich fühlen. Wanda, das ist ein Ritt durch Himmel und Hölle. Ohne gesicherte Erkenntnis, in welchem Teil man landet.

Amore ist die Antwort auf alles bei Wanda. "Wenn jemand fragt, wofür du stehst, sag' für Amore, Amore", schreit Wanda mit einer Stimme, die nur ein Kettenraucher haben kann. Das alles postuliert eine Männlichkeit vergangener Zeit, wo Männer glaubten, noch ungestraft Schnaps saufen, Kippen rauchen und die Frau ins Bett beordern zu können. Ob es diese Zeit jemals gab, darf mit einigem Recht bezweifelt werden. Aber Wanda ruft diese Zeit jetzt aus, als sei Saufen und ungehemmte Brustbehaarung Ausdruck von Männlichkeit. Das hat auch etwas Verzweifeltes, es offenbart, dass auch Wanda keine Antwort auf die Frage nach dem Mann 2016 zu haben scheint. Außer: Amore! Bussi, Baby! Eh!

Und wer geht zu Wanda? Männer mit kurzem Haar, Männer mit langem Haar, Männer mit Pferdeschwänzen oder Gelfrisur, Männer mit und ohne Mütze. Also eigentlich jeder über 30. Wer Wanda gut findet, darf sich besonders fühlen, auserwählt, weil Wanda zwar ziemlich gut, aber doch nicht Mainstream ist. Jeder, der glaubt, anders als andere zu sein, ist hier. Wanda verspricht Individualität in Stilfragen.

Das Konzert beginnt erst eine Stunde später und ist nach 80 Minuten auch schon wieder vorbei. Na und? Amore. Ist eh klar.

(her)
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