Krefeld 99 praktische Tipps zur Integration

Krefeld · Tagrid Yousef, Leiterin des Krefelder Integrationszentrums, hat im renommierten Cornelsen Verlag ein Buch über die Förderung von Schülern mit Migrationshintergrund geschrieben. Es soll praktische Tipps für Lehrer geben.

Tagrid Yousef mit ihrem neuen Buch im Stadthaus, wo das Kommunale Integrationszentrum residiert. Das Buch ist in der Reihe "99 Tipps" des Cornelsen Verlages erschienen; Titel: "99 Tipps. Schüler/innen mit Migrationshintergrund fördern und begleiten", Cornelsen Verlag, 144 Seiten, 16,50 Euro.

Tagrid Yousef mit ihrem neuen Buch im Stadthaus, wo das Kommunale Integrationszentrum residiert. Das Buch ist in der Reihe "99 Tipps" des Cornelsen Verlages erschienen; Titel: "99 Tipps. Schüler/innen mit Migrationshintergrund fördern und begleiten", Cornelsen Verlag, 144 Seiten, 16,50 Euro.

Foto: Jens Voss

Tipp Nummer drei empfiehlt folgende Übung: Schüler stellen sich unter dem Motto "Ich" oder "Ich nicht" nach bestimmten Leitfragen im Klassenzimmer auf. Leitfragen wie "Wer ist Frühaufsteher?", "Wer spielt ein Instrument?" oder "Wer ist Linkshänder?" Sinn dieser "soziometrischen Aufstellung" ist es, am eigenen Leibe zu erfahren, dass man mal einer Minderheit, mal einer Mehrheit angehört. "Diese Übung", heißt es, "eignet sich gut zur Diskussion über das Thema Verschiedenheit".

Dieser Tipp ist einer von 99, die in dem Buch "99 Tipps. Schüler/innen mit Migrationshintergrund fördern und begleiten" versammelt sind. Die Autorinnen sind Tagrid Yousef, Leiterin des Kommunalen Integrationszentrums, und Susanne Munz-Thießen, die an einem Duisburger Berufskolleg arbeitet. Zwei Praktikerinnen also, die ihren Lehrerkollegen praktische Tipps geben wollen. So ist der Band auch relativ schmal und gut gegliedert. Zehn der 99 Tipps sind zudem für den eiligen Leser besonders hervorgehoben. Übungen, Handlungsanweisungen, Reflexionen: Dieses Buch atmet pädagogisch-didaktischen Geist, der den Unterricht befruchten soll.

Auffällig ist, dass der Begriff "Integration" nicht fällt. Tagrid Yousef mag ihn nicht besonders, weil er quasi einer stillen Vorentscheidung folgt: "Die Mehrheitsgesellschaft verlangt immer von denen, die kommen, sich zu integrieren. Aber Integrieren ist ein Geben und Nehmen und ein Voneinander-Lernen." So kreisen die Gedanken im Vorwort des Buches um Wahrnehmung kultureller Vielfalt und das Ziel eines friedlichen und erfolgreichen Zusammenlebens. "Unsere Tipps", heißt es, "sollen dazu beitragen, diese kulturelle Vielfalt in Bildungseinrichtungen wahrzunehmen und wertzuschätzen."

Aus diesem Satz spricht ein pädagogischer Optimismus, der Stärke und vielleicht auch Schwäche dieses Buches ist. Stärke: Es gibt wirklich eine Fülle praktischer Tipps, wie man im Unterricht Verschiedenheit thematisieren kann oder wie auch Lehrer sich ihrer inneren Einstellungen zu kulturellen Unterschieden bewusst werden können. So gibt es Tipps wie "Die eigenen Vorurteile erkennen", "Sich von Vorurteilen befreien" oder "Unvoreingenommenheit gegenüber Schülern leben". Lehrern wird etwa die Übung "Mein Lebensmantel" empfohlen: Man malt einen Mantel mit vielen Taschen und schreibt Botschaften aus der Kindheit über den Umgang mit Fremden auf - mit den Absendern, also Eltern, Nachbarn oder eben Lehrer, die man hatte. Die 15-minütige Übung soll die Reflexion über die eigenen Vor-Einstellungen ankurbeln und "den unbefangeneren Umgang mit eigenen Vorbehalten etwas leichter machen". Das Buch mag da an seine Grenzen stoßen, wo in der Realität wirklich harte Konflikte aufbrechen. Sie werden in dem Buch durchaus angesprochen; etwa wenn es um patriarchalische Strukturen geht. "Unsere Aufgabe als Lehrkraft ist es, Mädchen und junge Frauen in ihrer Persönlichkeit zu stärken und sie zu motivieren, ihren Weg zu gehen", heißt es dazu. Als Handlungsbeispiel wird das Berliner Projekt "HeRoes" genannt, das mittlerweile in vielen Städten Nachahmer gefunden hat. Dabei klären Mädchen und Jungen Mitschüler über die Mechanismen der Unterdrückung beim Ehrbegriff auf. Ob das im Alltag ausreichen mag? Man kann auch Geschichten von Lehrern hören, die von der Wucht kultureller Konflikte schockiert und überfordert sind. Es gibt eben auch Schüler und Eltern, die für pädagogische Übungen, die von gutem Willen leben, nicht erreichbar sind. Was tun, wenn es hart auf hart kommt? Hier hätte dem Buch noch ein Kapitel gutgetan. Grundsympathisch daran aber bleibt die Vision vom friedlichen Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen, die staunend das Wertvolle am anderen erkennen und wertschätzen.

Dieses Buch glaubt daran: Es gibt an jedem Ort der Welt für alle Menschen die Chance einer gemeinsamen Heimat, denn Heimat, so wird der Sänger Herbert Grönemeyer, zitiert, "ist kein Ort; Heimat ist ein Gefühl".

(RP)
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