Krefeld 81-jähriger Behinderter ans Haus gefesselt

Krefeld · Gerhard Müller wartet wegen eines fehlenden Papiers der Stadt seit rund einem Jahr auf eine Gerichtsentscheidung.

 Der 81-jährige Gerhard Müller klagt vor dem Sozialgericht gegen die Stadt. Der Ex-Bergmann wartet seit Monaten auf einen Eintrag in seinem Behindertenausweis. Es fehlt nur eine Stellungnahme der Verwaltung.

Der 81-jährige Gerhard Müller klagt vor dem Sozialgericht gegen die Stadt. Der Ex-Bergmann wartet seit Monaten auf einen Eintrag in seinem Behindertenausweis. Es fehlt nur eine Stellungnahme der Verwaltung.

Foto: Thomas Lammertz

Gerhard Müller ist ein Kämpfer an mehreren Fronten. Der 81-Jährige kämpft um sein Leben, um seine Mobilität - und er kämpft juristisch seit rund 18 Monaten gegen die Stadt Krefeld. Dabei ist sein Anliegen eigentlich ganz simpel: Müller will von der Stadtverwaltung den Eintrag "AG" in seinem Schwerbehindertenausweis. Jeder sieht, dass der Körper des ehemaligen Bergmanns, der 20 Jahre unter Tage geschuftet hat, verschlissen ist. Müller leidet unter massiver Atemnot. Staublunge nennt man unter Kumpels sein Leiden. Er kann nur noch wenige Schritte gehen, am Leben hält den fünffachen Familienvater ein Sauerstoffgerät, an das er 24 Stunden am Tag angeschlossen ist.

Die stationäre Anlage für die Nacht steht im Schlafzimmer, schon für den Weg zur Toilette benötigt er mobile Sauerstoffflaschen. Allerdings ist für ihn der Weg dorthin stets sehr lang. Nach wenigen Schritten muss er eine Pause einlegen. Außerhalb der Wohnung ist Müller nur durch sein Auto mobil. Und genau hier beginnt sein Problem: Auf einem Behindertenparkplatz darf der 81-Jährige sein Fahrzeug nicht abstellen: "Dafür brauche ich diese AG-Bescheinigung."

"AG" steht für "Außergewöhnliche Gehbehinderung". "Diesen Zusatz im Ausweis habe ich vor rund zwei Jahren bei der Stadt beantragt, sagt Müller. Auf das Ergebnis wartet die Familie bis heute. "Der verzögerten Beantwortung Ihrer Anfragen liegt eine Situation im Fachbereich Gesundheit der Stadt Krefeld zugrunde, die nicht den Standards entspricht", schreibt hierzu auch die Verwaltung - an das Sozialgericht Düsseldorf. Dort ruht seit mehreren Monaten eine Klage von Gerhard Müller, weil die Stadt Krefeld mehrere Anfragen des Gerichts nicht beantwortet hat. Zuvor hatte die Verwaltung am 26. Januar 2015 die Bitte des Krefelders bezüglich des "AG"-Eintrags abgelehnt. Der reichte daraufhin Klage gegen die Stadt beim Sozialgericht in der Landeshauptstadt ein. Medizinische Bescheinigungen über den Gesundheitszustand des Ex-Bergmanns hat das Gericht genug: Außer an der "Staublunge" leidet er an einer chronischen Bronchitis, vor fünf Jahren bekam er ein neues Kniegelenk, vor drei Jahren erlitt er einen Herzinfarkt, vor zwei Jahren wurde ihm ein Schrittmacher implantiert, es folgten noch zwei Rückenoperationen. Doch die Stellungnahme der Stadt fehlt. Tochter Christiane Müller ist verzweifelt: "Es kann nicht sein, dass wegen personeller Probleme in der Krefelder Verwaltung mein Vater seit rund einem Jahr auf eine Entscheidung des Gerichts warten muss."

In den vergangenen Monaten hat sich die Situation bei ihren Eltern weiter verschlechtert. Mutter Magdalene erleidet immer wieder Schwindelanfälle. Auch die 80-Jährige kann ohne Hilfe fast nicht mehr laufen. "Umso wichtiger wäre, dass mein Vater nahe an Geschäften parken kann." Doch selbst die Behindertenparkplätze der Supermärkte sind für ihn tabu. Sollte er seinen Wagen auf einem städtischen Behindertenparkplatz abstellen, wäre der Abschleppdienst schnell zur Stelle. "Ich wäre ja schon dankbar, wenn ich mein Auto in Tiefgaragen auf den beschilderten Parkplätzen nah am Ausgang abstellen dürfte. Aber das ist mit meinem Ausweis nicht erlaubt."

Für das Ehepaar Müller hat das Warten dramatische Folgen. "Wir fühlen uns manchmal wie Gefangene in unserer eigenen Wohnung", beschreibt Magdalene Müller die Situation. Die Kinder haben einen Familien-Fahrdienst eingerichtet, damit die Eltern zum Arzt oder in die Stadt kommen. Gerhard Müller gefällt das nicht: "Ich mag es nicht, immer von anderen anhängig zu sein. Das ist mir unangenehm."

Tochter Christiane ist von der Verwaltung und Oberbürgermeister Frank Meyer enttäuscht: "An dieser Stelle sei die Frage erlaubt, ob es richtig ist, dass hier auf Kosten Behinderter einfach nichts passiert. Es könnte ja sein, dass sich die Sache für die Verwaltung von allein erledigt. Ich meine damit, wenn mein Vater das Zeitliche segnet, braucht er keinen Eintrag in seinen Behindertenausweis mehr. Ich wünsche mir einfach, dass die Stadt Krefeld durch die Nutzung anderer Möglichkeiten hier Abhilfe schafft. Es kann doch nicht sein, dass Menschen mit Behinderungen offensichtlich nicht ernst genommen werden."

Gerhard Müller kann sich hierzu ein Lächeln nicht verkneifen: "Ich bin und bleibe eine Kämpfernatur. Ich werde so schnell nicht aufgeben. Ich habe in dieser Sache einen langen Atem."

(RP)
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