Korschenbroich Michelis mahnt: Verspielt mir Europa nicht

Korschenbroich · Zum 25. Mal würdigte die Stadt Korschenbroich den Tag der Deutschen Einheit mit einem Festakt. Politikredakteur Michelis referierte über "Deutschlands neue Grenzen": "Die Flüchtlingskrise wird eine Bewährungsprobe für Europa."

 Empfang zum Tag der Deutschen Einheit im Technischen Rathaus: Bürgermeister Heinz Josef Dick mit Gastredner Helmut Michelis (rechts), Politik-Redakteur der Rheinischen Post und Oberst der Reserve.

Empfang zum Tag der Deutschen Einheit im Technischen Rathaus: Bürgermeister Heinz Josef Dick mit Gastredner Helmut Michelis (rechts), Politik-Redakteur der Rheinischen Post und Oberst der Reserve.

Foto: Detlef Ilgner

"Wir sollten konsequenter zu Veränderungen bereit sein und uns fragen, ob unsere Moralvorstellungen, unsere Gesetze und Vorgehensweise noch auf die Herausforderungen der neuen Zeit passen. Darüber hinaus müssen wir wieder einen nationalen Konsens herstellen, wie wir in der Innen- und Außenpolitik vorgehen." Das sind die Kernforderungen, die Helmut Michelis, Politikredakteur unserer Zeitung, vor rund 100 Zuhörern anlässlich des Festaktes zum Tag der Deutschen Einheit erhob.

Wer wie gewohnt in die Alte Schule geeilt war, stand jedoch vor verschlossenen Türen: Zum ersten Mal hatte Bürgermeister Heinz Josef Dick zur Feierstunde in den neuen Ratssaal im Technischen Rathaus geladen. "1990 schien alles offen. Droht 25 Jahre später wieder ein 'Eiserner Vorhang' in Europa?", sorgt sich Dick. Dieser Frage ging auch Helmut Michelis in seinem mit Anekdoten gewürzten Vortrag nach.

Dass der Eiserne Vorhang von innen verrostet und ohne Blutvergießen zerfallen sei, wertete er als eine beispielhafte friedliche Revolution. Sie sei aber auch ein Verdienst der glaubwürdigen Abschreckungspolitik der Nato-Staaten gewesen. Heute wirke die Bundeswehr kaum noch abschreckend, befürchtete er und sprach sich gegen die Abschaffung der Wehrpflicht aus. Von der Zukunft zeichnete er ein beklemmendes Bild. Die Welt scheine aus den Fugen geraten: Staaten zerfielen, internationale Verträge würden gebrochen, religiöser Fanatismus wüte ungebremst. "Die Dimension scheint nicht mehr beherrschbar", sagte Michelis. Nicht nur die arabischen Staaten seien vom Verfall bedroht, auch Deutschland drifte auseinander. Als Beispiel nannte Michelis rechtsfreie Räume ohne Polizei in Duisburg oder Randalierer und brennende Flüchtlingsheime in Sachsen: "Das ist inakzeptabel und bedroht unsere Demokratie." Auch auf die Flüchtlingsproblematik ging er ein: Sie sei nach dem Mauerfall und dem Terroranschlag des 9/11 die dritte Wendemarke in unserer jüngsten Geschichte. "Wenn die EU das Thema nicht in den Griff bekommt, droht die Gemeinschaft auseinanderzubrechen", sagte Michelis. "Verspielt mir Europa nicht", gab er den Zuhörern, darunter vielen Schülern des Gymnasiums Korschenbroich, mit auf den Weg. Integration und die Möglichkeit, dass Flüchtlinge arbeiten dürfen, sind für ihn wichtige Lösungsansätze.

Gleichzeitig forderte er die Zuhörer auf, positiv und breiter zu denken und nicht nur das Schlechte zu suchen. Das machte er am Beispiel der Arche Noah deutlich: Heute würde sich der Nachbar über das Hämmern beschweren, das Ordnungsamt nach der Erlaubnis fragen und Tierschützer die wenig artgerechte Unterbringung der Tiere beklagen. Zum Schluss zeigte er sich zuversichtlich: Deutschland könne auf eine beispiellose Erfolgsgeschichte zurückblicken. "Deshalb müssen wir jetzt die Dimension der Herausforderung akzeptieren."

(NGZ)
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